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Kurz, Hermann: Der Sonnenwirth. Frankfurt (Main), 1855.

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Das ist ein bescheidener Wunsch! erwiderte Bettelmelcher lachend,
und doch muß man, wenn man sich auch nur bescheidentlich fortbringen
will, die Augen offen haben und in viele Sättel gerecht sein. Wer
träumt und dröselt, kommt nicht weit. Mit silbernen Löffeln speisen,
ist wohl angenehm, nicht wahr? aber das kann Jeder, dessen Eltern
so gescheid gewesen sind, ihm ein gute Erbschaft zu hinterlassen. Wer
keine so gescheiden Eltern gehabt hat, der muß selbst den Verstand
brauchen. Ich möchte wohl wissen, ob die junge Frau in dem Wirths¬
haus da die Hälfte von dem bemerkt hat, was zu sehen und zu be¬
obachten gewesen ist. So ein Wirth meint Wunder, wie klug er seine
Sachen einrichte, und vergißt Alles drüber, wenn er drei Pfaffen im
Cabinet sitzen hat.

O, ich hab' auch meine Augen, sagte Christine, die sich durch den
Zweifel an ihrer Beobachtungsgabe verletzt fühlte; ich habe wohl ge¬
sehen, wie der Wirth seine Löffel in ein Schublädle gethan hat, nach¬
dem sie ausbraucht gewesen sind, und wie er das Geld von uns und
von den drei Herren in ein Glas in dem nämlichen Schublädle ge¬
than hat, hab' auch gesehen, daß ein Goldstück in dem Glas ge¬
wesen ist.

Bettelmelcher sah sie erstaunt mit einem gewissen Ausdruck von
Achtung an: Wahrhaftig, die Frau ist nicht so -- träumerisch, wie
sie aussieht, sagte er, sie kann noch brauchbar werden. Er schlug bald
nachher einen andern Weg ein, um, wie er sagte, seinen Geschäften
nachzugehen.

Das Paar setzte seine Wanderung bis in den Nachmittag fort, da
stand ein alter Bettler mit weißem Bart und lang herabhängenden weißen
Haaren am Wege und bat um ein Almosen. Wir haben ja selber
nichts! fuhr ihn Christine verdrießlich an, während ihr Mann nach
einer Kupfermünze suchte. Wenn das der Fall ist, sagte der Bettler,
so soll mir's auf eine kleine Beisteuer nicht ankommen. Mit diesen
Worten zog er unter dem Wams eine kleine Pfanne hervor und über¬
reichte sie ihr. Sie ist zwar nicht mehr ganz neu, sagte er, aber ein
Schelm gibt's besser als er's hat.

Du Spitzbub'! rief Friedrich lachend, diesmal hast du mich selbst
getäuscht; ich hätte dich an keinem Zug erkannt, nicht einmal an
deinen nichtsnutzigen Augen.

Das iſt ein beſcheidener Wunſch! erwiderte Bettelmelcher lachend,
und doch muß man, wenn man ſich auch nur beſcheidentlich fortbringen
will, die Augen offen haben und in viele Sättel gerecht ſein. Wer
träumt und dröſelt, kommt nicht weit. Mit ſilbernen Löffeln ſpeiſen,
iſt wohl angenehm, nicht wahr? aber das kann Jeder, deſſen Eltern
ſo geſcheid geweſen ſind, ihm ein gute Erbſchaft zu hinterlaſſen. Wer
keine ſo geſcheiden Eltern gehabt hat, der muß ſelbſt den Verſtand
brauchen. Ich möchte wohl wiſſen, ob die junge Frau in dem Wirths¬
haus da die Hälfte von dem bemerkt hat, was zu ſehen und zu be¬
obachten geweſen iſt. So ein Wirth meint Wunder, wie klug er ſeine
Sachen einrichte, und vergißt Alles drüber, wenn er drei Pfaffen im
Cabinet ſitzen hat.

O, ich hab' auch meine Augen, ſagte Chriſtine, die ſich durch den
Zweifel an ihrer Beobachtungsgabe verletzt fühlte; ich habe wohl ge¬
ſehen, wie der Wirth ſeine Löffel in ein Schublädle gethan hat, nach¬
dem ſie ausbraucht geweſen ſind, und wie er das Geld von uns und
von den drei Herren in ein Glas in dem nämlichen Schublädle ge¬
than hat, hab' auch geſehen, daß ein Goldſtück in dem Glas ge¬
weſen iſt.

Bettelmelcher ſah ſie erſtaunt mit einem gewiſſen Ausdruck von
Achtung an: Wahrhaftig, die Frau iſt nicht ſo — träumeriſch, wie
ſie ausſieht, ſagte er, ſie kann noch brauchbar werden. Er ſchlug bald
nachher einen andern Weg ein, um, wie er ſagte, ſeinen Geſchäften
nachzugehen.

Das Paar ſetzte ſeine Wanderung bis in den Nachmittag fort, da
ſtand ein alter Bettler mit weißem Bart und lang herabhängenden weißen
Haaren am Wege und bat um ein Almoſen. Wir haben ja ſelber
nichts! fuhr ihn Chriſtine verdrießlich an, während ihr Mann nach
einer Kupfermünze ſuchte. Wenn das der Fall iſt, ſagte der Bettler,
ſo ſoll mir's auf eine kleine Beiſteuer nicht ankommen. Mit dieſen
Worten zog er unter dem Wams eine kleine Pfanne hervor und über¬
reichte ſie ihr. Sie iſt zwar nicht mehr ganz neu, ſagte er, aber ein
Schelm gibt's beſſer als er's hat.

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deinen nichtsnutzigen Augen.

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[397/0413] Das iſt ein beſcheidener Wunſch! erwiderte Bettelmelcher lachend, und doch muß man, wenn man ſich auch nur beſcheidentlich fortbringen will, die Augen offen haben und in viele Sättel gerecht ſein. Wer träumt und dröſelt, kommt nicht weit. Mit ſilbernen Löffeln ſpeiſen, iſt wohl angenehm, nicht wahr? aber das kann Jeder, deſſen Eltern ſo geſcheid geweſen ſind, ihm ein gute Erbſchaft zu hinterlaſſen. Wer keine ſo geſcheiden Eltern gehabt hat, der muß ſelbſt den Verſtand brauchen. Ich möchte wohl wiſſen, ob die junge Frau in dem Wirths¬ haus da die Hälfte von dem bemerkt hat, was zu ſehen und zu be¬ obachten geweſen iſt. So ein Wirth meint Wunder, wie klug er ſeine Sachen einrichte, und vergißt Alles drüber, wenn er drei Pfaffen im Cabinet ſitzen hat. O, ich hab' auch meine Augen, ſagte Chriſtine, die ſich durch den Zweifel an ihrer Beobachtungsgabe verletzt fühlte; ich habe wohl ge¬ ſehen, wie der Wirth ſeine Löffel in ein Schublädle gethan hat, nach¬ dem ſie ausbraucht geweſen ſind, und wie er das Geld von uns und von den drei Herren in ein Glas in dem nämlichen Schublädle ge¬ than hat, hab' auch geſehen, daß ein Goldſtück in dem Glas ge¬ weſen iſt. Bettelmelcher ſah ſie erſtaunt mit einem gewiſſen Ausdruck von Achtung an: Wahrhaftig, die Frau iſt nicht ſo — träumeriſch, wie ſie ausſieht, ſagte er, ſie kann noch brauchbar werden. Er ſchlug bald nachher einen andern Weg ein, um, wie er ſagte, ſeinen Geſchäften nachzugehen. Das Paar ſetzte ſeine Wanderung bis in den Nachmittag fort, da ſtand ein alter Bettler mit weißem Bart und lang herabhängenden weißen Haaren am Wege und bat um ein Almoſen. Wir haben ja ſelber nichts! fuhr ihn Chriſtine verdrießlich an, während ihr Mann nach einer Kupfermünze ſuchte. Wenn das der Fall iſt, ſagte der Bettler, ſo ſoll mir's auf eine kleine Beiſteuer nicht ankommen. Mit dieſen Worten zog er unter dem Wams eine kleine Pfanne hervor und über¬ reichte ſie ihr. Sie iſt zwar nicht mehr ganz neu, ſagte er, aber ein Schelm gibt's beſſer als er's hat. Du Spitzbub'! rief Friedrich lachend, diesmal haſt du mich ſelbſt getäuſcht; ich hätte dich an keinem Zug erkannt, nicht einmal an deinen nichtsnutzigen Augen.

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Zitationshilfe: Kurz, Hermann: Der Sonnenwirth. Frankfurt (Main), 1855, S. 397. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/kurz_sonnenwirth_1855/413>, abgerufen am 08.07.2024.