Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Kurz, Hermann: Der Sonnenwirth. Frankfurt (Main), 1855.

Bild:
<< vorherige Seite

Müller in's Andenken geschrieben, indem er ihn mit einem Schuß
durch das Fenster begrüßte, der aber, da er von unten nach oben
ging und in die Decke schlug, nicht in gefährlicher Absicht versendet
sein konnte.

Von diesem Tage an wurde der ausgestoßene Sohn des Sonnen¬
wirths von dem im Banne des tiefsten Aberglaubens befangenen Volk
zum Helden einer Sage erhoben, welche sein wunderbares Entkommen
aus Mauern und Banden dem Bunde mit der Hölle zuschrieb. Der
Amtmann war in Verzweiflung, da dieser Hexenglaube vollends alle
Thatkraft lähmte und den zur Rache entflammten Flüchtling, dessen
hellem Geiste sich hier ein neues Schreckmittel darbot, zum unum¬
schränkten Herrn des Fleckens zu machen drohte. Der Fischer und der
Müller, dem sein Knecht blindlings folgte, erholten sich zuerst von den
Schrecken jener Nacht, indem bei ihnen die Wuth über den Aberglauben
siegte. Besonders wurde der Fischer durch die Spöttereien des von
ihm herausgeforderten Invaliden aufgestachelt, welcher keine Gelegenheit
vorüber ließ, auf die heimlichen Gastfreunde, die der Sonnenwirthle
im Flecken habe, anzuspielen; und er betheuerte sich zu wiederholten
Malen, daß er einen Schuß an die ausgesetzten hundert Gulden rücken
wolle, verschwor sich auch förmlich mit den beiden andern Theilhabern
seiner Rache, dem Verhaßten aufzupassen und ihn lieber todt als le¬
bendig dem Amte zu überliefern. Die übrigen Bürger aber fühlten
wenig Lust, es mit einem Zauberer aufzunehmen, der vor seinen Ver¬
folgern sich in eine Halbmaßflasche verkriechen oder in Pudelgestalt
davonrennen konnte. So geschah es einst, daß zehn mit Schaufeln
bewaffnete Männer, die ihm nahe bei dem Flecken begegneten, unge¬
achtet des auf seinen Kopf gesetzten Preises ihn nicht anzugreifen
wagten. Sogar im Schlaf erweckte er Furcht, da man glaubte, daß
er mit geschlossenen Augen zu sehen vermöge. Zwei Postknechte fanden
ihn neben der Landstraße an einem Raine sorglos eingeschlafen; einer
hatte nicht das Herz sich ihm zu nähern und ritt davon; der andere
aber wagte ihn zu wecken und ihm bemerklich zu machen, daß er hier
nicht sicher sei. Ob jedoch bei solchen Vorgängen nur die Furcht und
nicht auch eine menschliche Theilnahme an dem Loose des Unglücklichen
mitgewirkt habe, das ist eine Frage, über welche das menschliche Herz
wohl kaum einen Zweifel haben wird.

Müller in's Andenken geſchrieben, indem er ihn mit einem Schuß
durch das Fenſter begrüßte, der aber, da er von unten nach oben
ging und in die Decke ſchlug, nicht in gefährlicher Abſicht verſendet
ſein konnte.

Von dieſem Tage an wurde der ausgeſtoßene Sohn des Sonnen¬
wirths von dem im Banne des tiefſten Aberglaubens befangenen Volk
zum Helden einer Sage erhoben, welche ſein wunderbares Entkommen
aus Mauern und Banden dem Bunde mit der Hölle zuſchrieb. Der
Amtmann war in Verzweiflung, da dieſer Hexenglaube vollends alle
Thatkraft lähmte und den zur Rache entflammten Flüchtling, deſſen
hellem Geiſte ſich hier ein neues Schreckmittel darbot, zum unum¬
ſchränkten Herrn des Fleckens zu machen drohte. Der Fiſcher und der
Müller, dem ſein Knecht blindlings folgte, erholten ſich zuerſt von den
Schrecken jener Nacht, indem bei ihnen die Wuth über den Aberglauben
ſiegte. Beſonders wurde der Fiſcher durch die Spöttereien des von
ihm herausgeforderten Invaliden aufgeſtachelt, welcher keine Gelegenheit
vorüber ließ, auf die heimlichen Gaſtfreunde, die der Sonnenwirthle
im Flecken habe, anzuſpielen; und er betheuerte ſich zu wiederholten
Malen, daß er einen Schuß an die ausgeſetzten hundert Gulden rücken
wolle, verſchwor ſich auch förmlich mit den beiden andern Theilhabern
ſeiner Rache, dem Verhaßten aufzupaſſen und ihn lieber todt als le¬
bendig dem Amte zu überliefern. Die übrigen Bürger aber fühlten
wenig Luſt, es mit einem Zauberer aufzunehmen, der vor ſeinen Ver¬
folgern ſich in eine Halbmaßflaſche verkriechen oder in Pudelgeſtalt
davonrennen konnte. So geſchah es einſt, daß zehn mit Schaufeln
bewaffnete Männer, die ihm nahe bei dem Flecken begegneten, unge¬
achtet des auf ſeinen Kopf geſetzten Preiſes ihn nicht anzugreifen
wagten. Sogar im Schlaf erweckte er Furcht, da man glaubte, daß
er mit geſchloſſenen Augen zu ſehen vermöge. Zwei Poſtknechte fanden
ihn neben der Landſtraße an einem Raine ſorglos eingeſchlafen; einer
hatte nicht das Herz ſich ihm zu nähern und ritt davon; der andere
aber wagte ihn zu wecken und ihm bemerklich zu machen, daß er hier
nicht ſicher ſei. Ob jedoch bei ſolchen Vorgängen nur die Furcht und
nicht auch eine menſchliche Theilnahme an dem Looſe des Unglücklichen
mitgewirkt habe, das iſt eine Frage, über welche das menſchliche Herz
wohl kaum einen Zweifel haben wird.

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <p><pb facs="#f0374" n="358"/>
Müller in's Andenken ge&#x017F;chrieben, indem er ihn mit einem Schuß<lb/>
durch das Fen&#x017F;ter begrüßte, der aber, da er von unten nach oben<lb/>
ging und in die Decke &#x017F;chlug, nicht in gefährlicher Ab&#x017F;icht ver&#x017F;endet<lb/>
&#x017F;ein konnte.</p><lb/>
        <p>Von die&#x017F;em Tage an wurde der ausge&#x017F;toßene Sohn des Sonnen¬<lb/>
wirths von dem im Banne des tief&#x017F;ten Aberglaubens befangenen Volk<lb/>
zum Helden einer Sage erhoben, welche &#x017F;ein wunderbares Entkommen<lb/>
aus Mauern und Banden dem Bunde mit der Hölle zu&#x017F;chrieb. Der<lb/>
Amtmann war in Verzweiflung, da die&#x017F;er Hexenglaube vollends alle<lb/>
Thatkraft lähmte und den zur Rache entflammten Flüchtling, de&#x017F;&#x017F;en<lb/>
hellem Gei&#x017F;te &#x017F;ich hier ein neues Schreckmittel darbot, zum unum¬<lb/>
&#x017F;chränkten Herrn des Fleckens zu machen drohte. Der Fi&#x017F;cher und der<lb/>
Müller, dem &#x017F;ein Knecht blindlings folgte, erholten &#x017F;ich zuer&#x017F;t von den<lb/>
Schrecken jener Nacht, indem bei ihnen die Wuth über den Aberglauben<lb/>
&#x017F;iegte. Be&#x017F;onders wurde der Fi&#x017F;cher durch die Spöttereien des von<lb/>
ihm herausgeforderten Invaliden aufge&#x017F;tachelt, welcher keine Gelegenheit<lb/>
vorüber ließ, auf die heimlichen Ga&#x017F;tfreunde, die der Sonnenwirthle<lb/>
im Flecken habe, anzu&#x017F;pielen; und er betheuerte &#x017F;ich zu wiederholten<lb/>
Malen, daß er einen Schuß an die ausge&#x017F;etzten hundert Gulden rücken<lb/>
wolle, ver&#x017F;chwor &#x017F;ich auch förmlich mit den beiden andern Theilhabern<lb/>
&#x017F;einer Rache, dem Verhaßten aufzupa&#x017F;&#x017F;en und ihn lieber todt als le¬<lb/>
bendig dem Amte zu überliefern. Die übrigen Bürger aber fühlten<lb/>
wenig Lu&#x017F;t, es mit einem Zauberer aufzunehmen, der vor &#x017F;einen Ver¬<lb/>
folgern &#x017F;ich in eine Halbmaßfla&#x017F;che verkriechen oder in Pudelge&#x017F;talt<lb/>
davonrennen konnte. So ge&#x017F;chah es ein&#x017F;t, daß zehn mit Schaufeln<lb/>
bewaffnete Männer, die ihm nahe bei dem Flecken begegneten, unge¬<lb/>
achtet des auf &#x017F;einen Kopf ge&#x017F;etzten Prei&#x017F;es ihn nicht anzugreifen<lb/>
wagten. Sogar im Schlaf erweckte er Furcht, da man glaubte, daß<lb/>
er mit ge&#x017F;chlo&#x017F;&#x017F;enen Augen zu &#x017F;ehen vermöge. Zwei Po&#x017F;tknechte fanden<lb/>
ihn neben der Land&#x017F;traße an einem Raine &#x017F;orglos einge&#x017F;chlafen; einer<lb/>
hatte nicht das Herz &#x017F;ich ihm zu nähern und ritt davon; der andere<lb/>
aber wagte ihn zu wecken und ihm bemerklich zu machen, daß er hier<lb/>
nicht &#x017F;icher &#x017F;ei. Ob jedoch bei &#x017F;olchen Vorgängen nur die Furcht und<lb/>
nicht auch eine men&#x017F;chliche Theilnahme an dem Loo&#x017F;e des Unglücklichen<lb/>
mitgewirkt habe, das i&#x017F;t eine Frage, über welche das men&#x017F;chliche Herz<lb/>
wohl kaum einen Zweifel haben wird.</p><lb/>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[358/0374] Müller in's Andenken geſchrieben, indem er ihn mit einem Schuß durch das Fenſter begrüßte, der aber, da er von unten nach oben ging und in die Decke ſchlug, nicht in gefährlicher Abſicht verſendet ſein konnte. Von dieſem Tage an wurde der ausgeſtoßene Sohn des Sonnen¬ wirths von dem im Banne des tiefſten Aberglaubens befangenen Volk zum Helden einer Sage erhoben, welche ſein wunderbares Entkommen aus Mauern und Banden dem Bunde mit der Hölle zuſchrieb. Der Amtmann war in Verzweiflung, da dieſer Hexenglaube vollends alle Thatkraft lähmte und den zur Rache entflammten Flüchtling, deſſen hellem Geiſte ſich hier ein neues Schreckmittel darbot, zum unum¬ ſchränkten Herrn des Fleckens zu machen drohte. Der Fiſcher und der Müller, dem ſein Knecht blindlings folgte, erholten ſich zuerſt von den Schrecken jener Nacht, indem bei ihnen die Wuth über den Aberglauben ſiegte. Beſonders wurde der Fiſcher durch die Spöttereien des von ihm herausgeforderten Invaliden aufgeſtachelt, welcher keine Gelegenheit vorüber ließ, auf die heimlichen Gaſtfreunde, die der Sonnenwirthle im Flecken habe, anzuſpielen; und er betheuerte ſich zu wiederholten Malen, daß er einen Schuß an die ausgeſetzten hundert Gulden rücken wolle, verſchwor ſich auch förmlich mit den beiden andern Theilhabern ſeiner Rache, dem Verhaßten aufzupaſſen und ihn lieber todt als le¬ bendig dem Amte zu überliefern. Die übrigen Bürger aber fühlten wenig Luſt, es mit einem Zauberer aufzunehmen, der vor ſeinen Ver¬ folgern ſich in eine Halbmaßflaſche verkriechen oder in Pudelgeſtalt davonrennen konnte. So geſchah es einſt, daß zehn mit Schaufeln bewaffnete Männer, die ihm nahe bei dem Flecken begegneten, unge¬ achtet des auf ſeinen Kopf geſetzten Preiſes ihn nicht anzugreifen wagten. Sogar im Schlaf erweckte er Furcht, da man glaubte, daß er mit geſchloſſenen Augen zu ſehen vermöge. Zwei Poſtknechte fanden ihn neben der Landſtraße an einem Raine ſorglos eingeſchlafen; einer hatte nicht das Herz ſich ihm zu nähern und ritt davon; der andere aber wagte ihn zu wecken und ihm bemerklich zu machen, daß er hier nicht ſicher ſei. Ob jedoch bei ſolchen Vorgängen nur die Furcht und nicht auch eine menſchliche Theilnahme an dem Looſe des Unglücklichen mitgewirkt habe, das iſt eine Frage, über welche das menſchliche Herz wohl kaum einen Zweifel haben wird.

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde von OCR-Software automatisch erfasst und anschließend gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien von Muttersprachlern nachkontrolliert. Es wurde gemäß dem DTA-Basisformat in XML/TEI P5 kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/kurz_sonnenwirth_1855
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/kurz_sonnenwirth_1855/374
Zitationshilfe: Kurz, Hermann: Der Sonnenwirth. Frankfurt (Main), 1855, S. 358. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/kurz_sonnenwirth_1855/374>, abgerufen am 27.11.2024.