hinhört, wie die Leut' von einander reden, so hört man: Den Kerl mach' ich kalt, ich hau' ihm 'n Flügel vom Leib, hin muß er sein, nicht lebendig soll er mir vom Platz kommen, oder: die ganz' Famile muß mir ausgerottet sein, es soll Keiner übrig bleiben, der an die Wand pißt, mit Respect zu melden, wie's in der Bibel heißt. Ist's denn viel ärger, wenn Einer droht, er zünd' den Flecken an, daß den Leuten die Häuser über'm Kopf abbrennen, und das Kind im Mutter¬ leib dürf' ihm nicht davon kommen? Ist nicht ein Geschwätz so dumm wie das ander', und ist aus'm einen mehr worden als aus'm andern? Was hat er denn gethan? frag' ich.
Das Murren war allmählich zum Geschrei gestiegen, und einzelne Stimme riefen bereits: Schmeißet ihn 'naus!
Redet ihr feiner? fuhr der Invalide mit erhobener Stimme fort. Ihr seid auch grob wie ungespalten Holz, aber ihr wisset's nicht, weil ihr euch selber vor eurem eigenen Schreien nicht höret. Ihn aber höret ihr, weil er mit seiner Bärenstimm' Manns genug ist, euch Alle in's Stroh zu schreien, und weil er noch trotziger und wilder und wüster als ihr reden kann, wenn er verzürnt ist. Das nehmet ihr dann als baare Münz', wiewohl er euch den Flecken noch lang nicht anzünd't hat, aber was Gut's an ihm ist, das wollet ihr nicht für baar gelten lassen.
Der Invalide blickte ruhig in den jetzt ausbrechenden Sturm, auf nichts als seine Gebrechlichkeit vertrauend, obgleich wenig darauf zu wetten war, ob er mit heiler Haut davon kommen würde; denn nicht nur war das Geschrei gegen ihn zum tobenden Gebrüll geworden, sondern es hatten sich auch Fäuste gegen ihn erhoben, und darunter die beiden derben Schlagwerkzeuge des Müllerknechts, der es durchaus nicht in seinen Kopf bringen konnte, daß man einen Menschen in Schutz nehme, der ihm, seinem Freund und Gutthäter, das Messer in den Arm gestoßen hatte.
Mir scheint's, man muß den Flecken noch besser säubern, schrie der Fischer, dessen Stimme nur noch in der nächsten Umgebung zu verstehen war. Wenn ein Fleckenräuber so Freund' im Ort selber hat, so ist's kein Wunder, daß er sich bei Tag und Nacht ohne Gefahr hier aufhalten kann.
Er ist in der ganzen Zeit nicht ein einigsmal bei mir gewesen,
hinhört, wie die Leut' von einander reden, ſo hört man: Den Kerl mach' ich kalt, ich hau' ihm 'n Flügel vom Leib, hin muß er ſein, nicht lebendig ſoll er mir vom Platz kommen, oder: die ganz' Famile muß mir ausgerottet ſein, es ſoll Keiner übrig bleiben, der an die Wand pißt, mit Reſpect zu melden, wie's in der Bibel heißt. Iſt's denn viel ärger, wenn Einer droht, er zünd' den Flecken an, daß den Leuten die Häuſer über'm Kopf abbrennen, und das Kind im Mutter¬ leib dürf' ihm nicht davon kommen? Iſt nicht ein Geſchwätz ſo dumm wie das ander', und iſt aus'm einen mehr worden als aus'm andern? Was hat er denn gethan? frag' ich.
Das Murren war allmählich zum Geſchrei geſtiegen, und einzelne Stimme riefen bereits: Schmeißet ihn 'naus!
Redet ihr feiner? fuhr der Invalide mit erhobener Stimme fort. Ihr ſeid auch grob wie ungeſpalten Holz, aber ihr wiſſet's nicht, weil ihr euch ſelber vor eurem eigenen Schreien nicht höret. Ihn aber höret ihr, weil er mit ſeiner Bärenſtimm' Manns genug iſt, euch Alle in's Stroh zu ſchreien, und weil er noch trotziger und wilder und wüſter als ihr reden kann, wenn er verzürnt iſt. Das nehmet ihr dann als baare Münz', wiewohl er euch den Flecken noch lang nicht anzünd't hat, aber was Gut's an ihm iſt, das wollet ihr nicht für baar gelten laſſen.
Der Invalide blickte ruhig in den jetzt ausbrechenden Sturm, auf nichts als ſeine Gebrechlichkeit vertrauend, obgleich wenig darauf zu wetten war, ob er mit heiler Haut davon kommen würde; denn nicht nur war das Geſchrei gegen ihn zum tobenden Gebrüll geworden, ſondern es hatten ſich auch Fäuſte gegen ihn erhoben, und darunter die beiden derben Schlagwerkzeuge des Müllerknechts, der es durchaus nicht in ſeinen Kopf bringen konnte, daß man einen Menſchen in Schutz nehme, der ihm, ſeinem Freund und Gutthäter, das Meſſer in den Arm geſtoßen hatte.
Mir ſcheint's, man muß den Flecken noch beſſer ſäubern, ſchrie der Fiſcher, deſſen Stimme nur noch in der nächſten Umgebung zu verſtehen war. Wenn ein Fleckenräuber ſo Freund' im Ort ſelber hat, ſo iſt's kein Wunder, daß er ſich bei Tag und Nacht ohne Gefahr hier aufhalten kann.
Er iſt in der ganzen Zeit nicht ein einigsmal bei mir geweſen,
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hinhört, wie die Leut' von einander reden, ſo hört man: Den Kerl
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nicht lebendig ſoll er mir vom Platz kommen, oder: die ganz' Famile
muß mir ausgerottet ſein, es ſoll Keiner übrig bleiben, der an die
Wand pißt, mit Reſpect zu melden, wie's in der Bibel heißt. Iſt's
denn viel ärger, wenn Einer droht, er zünd' den Flecken an, daß den
Leuten die Häuſer über'm Kopf abbrennen, und das Kind im Mutter¬
leib dürf' ihm nicht davon kommen? Iſt nicht ein Geſchwätz ſo dumm
wie das ander', und iſt aus'm einen mehr worden als aus'm andern?
Was hat er denn gethan? frag' ich.
Das Murren war allmählich zum Geſchrei geſtiegen, und einzelne
Stimme riefen bereits: Schmeißet ihn 'naus!
Redet ihr feiner? fuhr der Invalide mit erhobener Stimme fort.
Ihr ſeid auch grob wie ungeſpalten Holz, aber ihr wiſſet's nicht,
weil ihr euch ſelber vor eurem eigenen Schreien nicht höret. Ihn
aber höret ihr, weil er mit ſeiner Bärenſtimm' Manns genug iſt,
euch Alle in's Stroh zu ſchreien, und weil er noch trotziger und
wilder und wüſter als ihr reden kann, wenn er verzürnt iſt. Das
nehmet ihr dann als baare Münz', wiewohl er euch den Flecken noch
lang nicht anzünd't hat, aber was Gut's an ihm iſt, das wollet ihr
nicht für baar gelten laſſen.
Der Invalide blickte ruhig in den jetzt ausbrechenden Sturm, auf
nichts als ſeine Gebrechlichkeit vertrauend, obgleich wenig darauf zu
wetten war, ob er mit heiler Haut davon kommen würde; denn nicht
nur war das Geſchrei gegen ihn zum tobenden Gebrüll geworden,
ſondern es hatten ſich auch Fäuſte gegen ihn erhoben, und darunter
die beiden derben Schlagwerkzeuge des Müllerknechts, der es durchaus
nicht in ſeinen Kopf bringen konnte, daß man einen Menſchen in
Schutz nehme, der ihm, ſeinem Freund und Gutthäter, das Meſſer
in den Arm geſtoßen hatte.
Mir ſcheint's, man muß den Flecken noch beſſer ſäubern, ſchrie
der Fiſcher, deſſen Stimme nur noch in der nächſten Umgebung zu
verſtehen war. Wenn ein Fleckenräuber ſo Freund' im Ort ſelber hat,
ſo iſt's kein Wunder, daß er ſich bei Tag und Nacht ohne Gefahr
hier aufhalten kann.
Er iſt in der ganzen Zeit nicht ein einigsmal bei mir geweſen,
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Kurz, Hermann: Der Sonnenwirth. Frankfurt (Main), 1855, S. 348. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/kurz_sonnenwirth_1855/364>, abgerufen am 28.11.2024.
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