auch, und wer bei ihnen ist, wird alle Tag' satt. Ich hab' oft Nachts vor'm Einschlafen dran denken müssen, wie mir's so gut geht, und wo du jetzt auch umirren werdest, und ob meine arme Kinderle satt in's Bett gangen seien, denn ich sag' dir's ungern, aber 's ist hohe Zeit, daß wir nach ihnen sehen: meiner Mutter ist das Tischtuch lieber als das Hungertuch, sie hat zwar nie viel gehabt, aber je ärmer sie wird, desto schleckiger ist sie, sie verschleckt Alles was sie kann.
Das muß aufhören, sagte er. Heut Abend sind die Kinder da, wo sie hingehören: bei uns. Jetzt ist nur noch die Frage, wie ich mich mit meinem Vater aus einander setzen soll. Seine Antwort hat mich wenig kümmert, ich hab' vorher mit dir einig sein wollen. Hättest du jetzt eher Lust, aus deinem Paradies heraus mit mir nach Pennsylvanien zu gehen?
In den Mond, wenn's nicht anders sein kann, erwiderte sie. Die Hauptsach' ist, daß wir bei einander sind, wir und die Kinder, drum hat's mir auch kein' Augenblick zweifelt, was ich thun soll. Aber hör', wenn's dein Vetter so gut mit dir meint, wie du sagst, könnten wir denn nicht bei dem ein Plätzle finden oder thät' er uns nicht zu einem verhelfen, daß wir nicht so weit stiegen müssen und unterwegs vielleicht die Flügel verstauchen?
Ja sieh, antwortete er, der Vetter hat's freilich gut mit mir vor, aber Welt ist überall Welt, er sieht auch auf's Greifbare und fragt nicht darnach, ob's Motten und Rost fressen. Darum hätt' ich ihm nicht meine ganze Absicht anvertrauen mögen, weil er mir mit einem einzigen Wort dazwischen hätt' fahren können. Wenn ich aber mit dir und den Kindern da bin, so kann er auf keinen Fall verlangen, daß ich euch wieder heimschicken soll; und wenn alle Sträng' brechen, nun, dann ziehen wir eben weiter, bringen uns im Krieg mit Mar¬ ketendern fort, oder gehen über's Meer.
Sie sah ihn zweifelhaft an und schwieg, aber der heitere Schimmer von Hoffnung, der ihr Antlitz neu zu beleben begonnen hatte, wich allmählich wieder aus ihm, und jener Zug leidender Geduld und Ent¬ sagung, der den Frauen aus dem Volke einen so mitleiderregenden Gesichtsausdruck geben kann, nahm seine alte Stelle ein.
Der Wald öffnete sich und vor den beiden Wanderern lag die Alb, an deren Fuße sich eine schmale Straße hinzog. Wollen uns
auch, und wer bei ihnen iſt, wird alle Tag' ſatt. Ich hab' oft Nachts vor'm Einſchlafen dran denken müſſen, wie mir's ſo gut geht, und wo du jetzt auch umirren werdeſt, und ob meine arme Kinderle ſatt in's Bett gangen ſeien, denn ich ſag' dir's ungern, aber 's iſt hohe Zeit, daß wir nach ihnen ſehen: meiner Mutter iſt das Tiſchtuch lieber als das Hungertuch, ſie hat zwar nie viel gehabt, aber je ärmer ſie wird, deſto ſchleckiger iſt ſie, ſie verſchleckt Alles was ſie kann.
Das muß aufhören, ſagte er. Heut Abend ſind die Kinder da, wo ſie hingehören: bei uns. Jetzt iſt nur noch die Frage, wie ich mich mit meinem Vater aus einander ſetzen ſoll. Seine Antwort hat mich wenig kümmert, ich hab' vorher mit dir einig ſein wollen. Hätteſt du jetzt eher Luſt, aus deinem Paradies heraus mit mir nach Pennſylvanien zu gehen?
In den Mond, wenn's nicht anders ſein kann, erwiderte ſie. Die Hauptſach' iſt, daß wir bei einander ſind, wir und die Kinder, drum hat's mir auch kein' Augenblick zweifelt, was ich thun ſoll. Aber hör', wenn's dein Vetter ſo gut mit dir meint, wie du ſagſt, könnten wir denn nicht bei dem ein Plätzle finden oder thät' er uns nicht zu einem verhelfen, daß wir nicht ſo weit ſtiegen müſſen und unterwegs vielleicht die Flügel verſtauchen?
Ja ſieh, antwortete er, der Vetter hat's freilich gut mit mir vor, aber Welt iſt überall Welt, er ſieht auch auf's Greifbare und fragt nicht darnach, ob's Motten und Roſt freſſen. Darum hätt' ich ihm nicht meine ganze Abſicht anvertrauen mögen, weil er mir mit einem einzigen Wort dazwiſchen hätt' fahren können. Wenn ich aber mit dir und den Kindern da bin, ſo kann er auf keinen Fall verlangen, daß ich euch wieder heimſchicken ſoll; und wenn alle Sträng' brechen, nun, dann ziehen wir eben weiter, bringen uns im Krieg mit Mar¬ ketendern fort, oder gehen über's Meer.
Sie ſah ihn zweifelhaft an und ſchwieg, aber der heitere Schimmer von Hoffnung, der ihr Antlitz neu zu beleben begonnen hatte, wich allmählich wieder aus ihm, und jener Zug leidender Geduld und Ent¬ ſagung, der den Frauen aus dem Volke einen ſo mitleiderregenden Geſichtsausdruck geben kann, nahm ſeine alte Stelle ein.
Der Wald öffnete ſich und vor den beiden Wanderern lag die Alb, an deren Fuße ſich eine ſchmale Straße hinzog. Wollen uns
<TEI><text><body><divn="1"><p><pbfacs="#f0333"n="317"/>
auch, und wer bei ihnen iſt, wird alle Tag' ſatt. Ich hab' oft Nachts<lb/>
vor'm Einſchlafen dran denken müſſen, wie mir's ſo gut geht, und wo<lb/>
du jetzt auch umirren werdeſt, und ob meine arme Kinderle ſatt in's<lb/>
Bett gangen ſeien, denn ich ſag' dir's ungern, aber 's iſt hohe Zeit,<lb/>
daß wir nach ihnen ſehen: meiner Mutter iſt das Tiſchtuch lieber als<lb/>
das Hungertuch, ſie hat zwar nie viel gehabt, aber je ärmer ſie wird,<lb/>
deſto ſchleckiger iſt ſie, ſie verſchleckt Alles was ſie kann.</p><lb/><p>Das muß aufhören, ſagte er. Heut Abend ſind die Kinder da, wo<lb/>ſie hingehören: bei uns. Jetzt iſt nur noch die Frage, wie ich mich<lb/>
mit meinem Vater aus einander ſetzen ſoll. Seine Antwort hat mich<lb/>
wenig kümmert, ich hab' vorher mit dir einig ſein wollen. Hätteſt du<lb/>
jetzt eher Luſt, aus deinem Paradies heraus mit mir nach Pennſylvanien<lb/>
zu gehen?</p><lb/><p>In den Mond, wenn's nicht anders ſein kann, erwiderte ſie. Die<lb/>
Hauptſach' iſt, daß wir bei einander ſind, wir und die Kinder, drum<lb/>
hat's mir auch kein' Augenblick zweifelt, was ich thun ſoll. Aber<lb/>
hör', wenn's dein Vetter ſo gut mit dir meint, wie du ſagſt, könnten<lb/>
wir denn nicht bei <hirendition="#g">dem</hi> ein Plätzle finden oder thät' er uns nicht zu<lb/>
einem verhelfen, daß wir nicht ſo weit ſtiegen müſſen und unterwegs<lb/>
vielleicht die Flügel verſtauchen?</p><lb/><p>Ja ſieh, antwortete er, der Vetter hat's freilich gut mit mir vor,<lb/>
aber Welt iſt überall Welt, er ſieht auch auf's Greifbare und fragt<lb/>
nicht darnach, ob's Motten und Roſt freſſen. Darum hätt' ich ihm<lb/>
nicht meine ganze Abſicht anvertrauen mögen, weil er mir mit einem<lb/>
einzigen Wort dazwiſchen hätt' fahren können. Wenn ich aber mit<lb/>
dir und den Kindern da bin, ſo kann er auf keinen Fall verlangen,<lb/>
daß ich euch wieder heimſchicken ſoll; und wenn alle Sträng' brechen,<lb/>
nun, dann ziehen wir eben weiter, bringen uns im Krieg mit Mar¬<lb/>
ketendern fort, oder gehen über's Meer.</p><lb/><p>Sie ſah ihn zweifelhaft an und ſchwieg, aber der heitere Schimmer<lb/>
von Hoffnung, der ihr Antlitz neu zu beleben begonnen hatte, wich<lb/>
allmählich wieder aus ihm, und jener Zug leidender Geduld und Ent¬<lb/>ſagung, der den Frauen aus dem Volke einen ſo mitleiderregenden<lb/>
Geſichtsausdruck geben kann, nahm ſeine alte Stelle ein.</p><lb/><p>Der Wald öffnete ſich und vor den beiden Wanderern lag die<lb/>
Alb, an deren Fuße ſich eine ſchmale Straße hinzog. Wollen uns<lb/></p></div></body></text></TEI>
[317/0333]
auch, und wer bei ihnen iſt, wird alle Tag' ſatt. Ich hab' oft Nachts
vor'm Einſchlafen dran denken müſſen, wie mir's ſo gut geht, und wo
du jetzt auch umirren werdeſt, und ob meine arme Kinderle ſatt in's
Bett gangen ſeien, denn ich ſag' dir's ungern, aber 's iſt hohe Zeit,
daß wir nach ihnen ſehen: meiner Mutter iſt das Tiſchtuch lieber als
das Hungertuch, ſie hat zwar nie viel gehabt, aber je ärmer ſie wird,
deſto ſchleckiger iſt ſie, ſie verſchleckt Alles was ſie kann.
Das muß aufhören, ſagte er. Heut Abend ſind die Kinder da, wo
ſie hingehören: bei uns. Jetzt iſt nur noch die Frage, wie ich mich
mit meinem Vater aus einander ſetzen ſoll. Seine Antwort hat mich
wenig kümmert, ich hab' vorher mit dir einig ſein wollen. Hätteſt du
jetzt eher Luſt, aus deinem Paradies heraus mit mir nach Pennſylvanien
zu gehen?
In den Mond, wenn's nicht anders ſein kann, erwiderte ſie. Die
Hauptſach' iſt, daß wir bei einander ſind, wir und die Kinder, drum
hat's mir auch kein' Augenblick zweifelt, was ich thun ſoll. Aber
hör', wenn's dein Vetter ſo gut mit dir meint, wie du ſagſt, könnten
wir denn nicht bei dem ein Plätzle finden oder thät' er uns nicht zu
einem verhelfen, daß wir nicht ſo weit ſtiegen müſſen und unterwegs
vielleicht die Flügel verſtauchen?
Ja ſieh, antwortete er, der Vetter hat's freilich gut mit mir vor,
aber Welt iſt überall Welt, er ſieht auch auf's Greifbare und fragt
nicht darnach, ob's Motten und Roſt freſſen. Darum hätt' ich ihm
nicht meine ganze Abſicht anvertrauen mögen, weil er mir mit einem
einzigen Wort dazwiſchen hätt' fahren können. Wenn ich aber mit
dir und den Kindern da bin, ſo kann er auf keinen Fall verlangen,
daß ich euch wieder heimſchicken ſoll; und wenn alle Sträng' brechen,
nun, dann ziehen wir eben weiter, bringen uns im Krieg mit Mar¬
ketendern fort, oder gehen über's Meer.
Sie ſah ihn zweifelhaft an und ſchwieg, aber der heitere Schimmer
von Hoffnung, der ihr Antlitz neu zu beleben begonnen hatte, wich
allmählich wieder aus ihm, und jener Zug leidender Geduld und Ent¬
ſagung, der den Frauen aus dem Volke einen ſo mitleiderregenden
Geſichtsausdruck geben kann, nahm ſeine alte Stelle ein.
Der Wald öffnete ſich und vor den beiden Wanderern lag die
Alb, an deren Fuße ſich eine ſchmale Straße hinzog. Wollen uns
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Sie haben einen Fehler gefunden?
Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform
DTAQ melden.
Kommentar zur DTA-Ausgabe
Dieses Werk wurde von OCR-Software automatisch erfasst und anschließend
gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien
von Muttersprachlern nachkontrolliert. Es wurde gemäß dem
DTA-Basisformat in XML/TEI P5 kodiert.
Kurz, Hermann: Der Sonnenwirth. Frankfurt (Main), 1855, S. 317. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/kurz_sonnenwirth_1855/333>, abgerufen am 22.11.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.