ich thät dich mindestens auf Sechsunddreißig schätzen. Schad' ist's, daß du oft auf einmal ein bisle wild und bös aussehen kannst, so daß man sich schier fürchten könnt'. Aber ich darf freilich gar nichts sagen. Sieh' mich an, was ich alt worden bin. Ach, ich muß oft denken, du könnest an meinen Runzeln keinen großen Gefallen mehr haben.
Er hatte sie bereits betrachtet und in der Stille die Veränderun¬ gen wahrgenommen, die Zeit und Schicksal an ihr hervorgebracht hatten. Nicht eben Runzeln, aber hart eingegrabene Furchen zogen sich unter dem nicht mehr so weichen und hellgelben Scheitel quer über die Stirne und eine senkte sich wie ein tiefer Einschnitt zwischen den Augen hinab. Doch lag in diesen Spuren nicht die eigentliche Verwüstung, die in dem einst so freundlichen Gesichte vorgegangen war. Auch sah es an sich selbst nicht auffallend gealtert aus und in den treugeblie¬ benen Zügen hatte keine häßliche Entstellung, wie sie oft mit den Jah¬ ren kommt, ihren Wohnsitz aufgeschlagen; aber die jugendliche Frische, die lieblich malende Zuversicht und Lebenslust war aus ihnen ver¬ schwunden und hatte sie verwandelt hinterlassen, wie das Morgenlicht, wenn es von einer Landschaft Abschied nimmt, dieselbe Gegend zwar in unveränderter Gestalt, aber arm, nüchtern und verkümmert hinterläßt.
Du bist die Mutter meiner Kinder, sagte er, kannst nicht ewig jung bleiben. Diese Furchen sind mein Werk, denn du hast viel um mich leiden müssen; aber du siehst nicht so alt aus, wie du meinst, und wenn du einmal eine glückliche Hausmutter bist, so wirst du wie¬ der jünger werden.
Gott geb's, erwiderte sie, denn so wie ich jetzt bin, bin ich doch zu alt für dich. -- Ach, wenn ich dran denk', wie der Friederle auf die Welt kommen ist, 's sind jetzt bald sechs Jahr', wie bin ich da¬ mals in Einem Umsehen so elend und wieder so reich gewesen! Wie ich gemerkt hab', daß mein Stündle kommen will, hab' ich meinem Jammer kein End' gewußt, bin allein auf der Bühne gelegen, mein' Mutter hat gesagt, sie könn' vom kranken Vater nicht weg, und mein Jerg hat sich verdingt gehabt nach Faurndau zum Dreschen. Ueber einmal hör' ich auf'm Stiegle 'n Mannstritt, so gibt's bloß Ein' in der Welt, und wer kommt mir vor's Bett und nimmt mich in Arm, während ich ihn im Zuchthaus gemeint hab'? Und wie du mir die
ich thät dich mindeſtens auf Sechsunddreißig ſchätzen. Schad' iſt's, daß du oft auf einmal ein bisle wild und bös ausſehen kannſt, ſo daß man ſich ſchier fürchten könnt'. Aber ich darf freilich gar nichts ſagen. Sieh' mich an, was ich alt worden bin. Ach, ich muß oft denken, du könneſt an meinen Runzeln keinen großen Gefallen mehr haben.
Er hatte ſie bereits betrachtet und in der Stille die Veränderun¬ gen wahrgenommen, die Zeit und Schickſal an ihr hervorgebracht hatten. Nicht eben Runzeln, aber hart eingegrabene Furchen zogen ſich unter dem nicht mehr ſo weichen und hellgelben Scheitel quer über die Stirne und eine ſenkte ſich wie ein tiefer Einſchnitt zwiſchen den Augen hinab. Doch lag in dieſen Spuren nicht die eigentliche Verwüſtung, die in dem einſt ſo freundlichen Geſichte vorgegangen war. Auch ſah es an ſich ſelbſt nicht auffallend gealtert aus und in den treugeblie¬ benen Zügen hatte keine häßliche Entſtellung, wie ſie oft mit den Jah¬ ren kommt, ihren Wohnſitz aufgeſchlagen; aber die jugendliche Friſche, die lieblich malende Zuverſicht und Lebensluſt war aus ihnen ver¬ ſchwunden und hatte ſie verwandelt hinterlaſſen, wie das Morgenlicht, wenn es von einer Landſchaft Abſchied nimmt, dieſelbe Gegend zwar in unveränderter Geſtalt, aber arm, nüchtern und verkümmert hinterläßt.
Du biſt die Mutter meiner Kinder, ſagte er, kannſt nicht ewig jung bleiben. Dieſe Furchen ſind mein Werk, denn du haſt viel um mich leiden müſſen; aber du ſiehſt nicht ſo alt aus, wie du meinſt, und wenn du einmal eine glückliche Hausmutter biſt, ſo wirſt du wie¬ der jünger werden.
Gott geb's, erwiderte ſie, denn ſo wie ich jetzt bin, bin ich doch zu alt für dich. — Ach, wenn ich dran denk', wie der Friederle auf die Welt kommen iſt, 's ſind jetzt bald ſechs Jahr', wie bin ich da¬ mals in Einem Umſehen ſo elend und wieder ſo reich geweſen! Wie ich gemerkt hab', daß mein Stündle kommen will, hab' ich meinem Jammer kein End' gewußt, bin allein auf der Bühne gelegen, mein' Mutter hat geſagt, ſie könn' vom kranken Vater nicht weg, und mein Jerg hat ſich verdingt gehabt nach Faurndau zum Dreſchen. Ueber einmal hör' ich auf'm Stiegle 'n Mannstritt, ſo gibt's bloß Ein' in der Welt, und wer kommt mir vor's Bett und nimmt mich in Arm, während ich ihn im Zuchthaus gemeint hab'? Und wie du mir die
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ich thät dich mindeſtens auf Sechsunddreißig ſchätzen. Schad' iſt's,
daß du oft auf einmal ein bisle wild und bös ausſehen kannſt, ſo
daß man ſich ſchier fürchten könnt'. Aber ich darf freilich gar nichts
ſagen. Sieh' mich an, was ich alt worden bin. Ach, ich muß oft
denken, du könneſt an meinen Runzeln keinen großen Gefallen mehr
haben.
Er hatte ſie bereits betrachtet und in der Stille die Veränderun¬
gen wahrgenommen, die Zeit und Schickſal an ihr hervorgebracht hatten.
Nicht eben Runzeln, aber hart eingegrabene Furchen zogen ſich unter
dem nicht mehr ſo weichen und hellgelben Scheitel quer über die
Stirne und eine ſenkte ſich wie ein tiefer Einſchnitt zwiſchen den Augen
hinab. Doch lag in dieſen Spuren nicht die eigentliche Verwüſtung,
die in dem einſt ſo freundlichen Geſichte vorgegangen war. Auch ſah
es an ſich ſelbſt nicht auffallend gealtert aus und in den treugeblie¬
benen Zügen hatte keine häßliche Entſtellung, wie ſie oft mit den Jah¬
ren kommt, ihren Wohnſitz aufgeſchlagen; aber die jugendliche Friſche,
die lieblich malende Zuverſicht und Lebensluſt war aus ihnen ver¬
ſchwunden und hatte ſie verwandelt hinterlaſſen, wie das Morgenlicht,
wenn es von einer Landſchaft Abſchied nimmt, dieſelbe Gegend zwar
in unveränderter Geſtalt, aber arm, nüchtern und verkümmert hinterläßt.
Du biſt die Mutter meiner Kinder, ſagte er, kannſt nicht ewig
jung bleiben. Dieſe Furchen ſind mein Werk, denn du haſt viel um
mich leiden müſſen; aber du ſiehſt nicht ſo alt aus, wie du meinſt,
und wenn du einmal eine glückliche Hausmutter biſt, ſo wirſt du wie¬
der jünger werden.
Gott geb's, erwiderte ſie, denn ſo wie ich jetzt bin, bin ich doch
zu alt für dich. — Ach, wenn ich dran denk', wie der Friederle auf
die Welt kommen iſt, 's ſind jetzt bald ſechs Jahr', wie bin ich da¬
mals in Einem Umſehen ſo elend und wieder ſo reich geweſen! Wie
ich gemerkt hab', daß mein Stündle kommen will, hab' ich meinem
Jammer kein End' gewußt, bin allein auf der Bühne gelegen, mein'
Mutter hat geſagt, ſie könn' vom kranken Vater nicht weg, und mein
Jerg hat ſich verdingt gehabt nach Faurndau zum Dreſchen. Ueber
einmal hör' ich auf'm Stiegle 'n Mannstritt, ſo gibt's bloß Ein' in
der Welt, und wer kommt mir vor's Bett und nimmt mich in Arm,
während ich ihn im Zuchthaus gemeint hab'? Und wie du mir die
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Kurz, Hermann: Der Sonnenwirth. Frankfurt (Main), 1855, S. 310. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/kurz_sonnenwirth_1855/326>, abgerufen am 22.11.2024.
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