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Kurz, Hermann: Der Sonnenwirth. Frankfurt (Main), 1855.

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Wie hat Er's verthan? rief der Amtmann wild.
Versoffen! antwortete er trotzig.

Du Hallunk! schrie sein Vormund, während der Amtmann erschöpft
in den Sessel zurücksank. Nachdem dieser etwas Athem geschöpft, rich¬
tete er sich wieder auf und sagte gleichmüthig: Ich muß und will an¬
nehmen, daß Er die Wahrheit sagt; in diesem Fall kommt eben zu
Seinen andern Reaten auch noch der Punkt des asotischen Lebenswan¬
dels hinzu. Ich hab's ihm ja erklärt, daß es ganz bei Ihm stehe,
wie Sein Protokoll ausfallen werde.

Der Amtmann war im Ganzen nicht unzufrieden mit dem Er¬
gebniß der Untersuchung, das ihm ziemlich ausgiebig erschien. Er
hielt dem Gefangenen seine Hauptvergehen vor und ging schließlich
in den Ton der Rüge und Ermahnung über. Hat Er denn ganz
vergessen, rief er, was ich Ihm damals so eindringlich gesagt habe,
als Er das erstemal auf Seinen bösen Wegen betreten wurde, und
was ich Ihm dann wieder gepredigt habe, als Er von Seiner ersten
Strafe zurückkam?

Nein, Herr Amtmann, ich weiß es noch, antwortete der Gefangene:
Sie haben gesagt, das Zuchthaus sei eine Schule des Lasters, und
ich solle mich wohl in Obacht nehmen, daß ich nicht wieder hinein¬
komme.

Und was hat Er von sich selbst denken müssen, daß Er doch wie¬
der hineingekommen ist, und was muß Er heute von sich denken, daß
Er abermals, und zwar tertia vice bei solcher Jugend, reif dafür
geworden ist?

Ich hab' gedacht und denk', für einen jungen Menschen, an dem
noch nicht Alles verloren sein kann, sei es doch hart, wenn er in die
Schule des Lasters gethan wird, wie Sie's ja selber nennen.

So? rief der Amtmann zornig: wenn Ihm das Zuchthaus nicht
gut genug ist, so kann man Ihn ja für Seine Mord- und Diebsthaten
auf die Schandbühne und von da auf die Galeere bringen, vermit¬
telst des Vertrags, den gnädigste Herrschaft mit der Republik Venedig
geschlossen hat!

Den Gefangenen überlief es, daß seine Kette klirrte. Ich muß
freilich ausessen, was man mir kochen will, sagte er, ich bin ja schon

Wie hat Er's verthan? rief der Amtmann wild.
Verſoffen! antwortete er trotzig.

Du Hallunk! ſchrie ſein Vormund, während der Amtmann erſchöpft
in den Seſſel zurückſank. Nachdem dieſer etwas Athem geſchöpft, rich¬
tete er ſich wieder auf und ſagte gleichmüthig: Ich muß und will an¬
nehmen, daß Er die Wahrheit ſagt; in dieſem Fall kommt eben zu
Seinen andern Reaten auch noch der Punkt des aſotiſchen Lebenswan¬
dels hinzu. Ich hab's ihm ja erklärt, daß es ganz bei Ihm ſtehe,
wie Sein Protokoll ausfallen werde.

Der Amtmann war im Ganzen nicht unzufrieden mit dem Er¬
gebniß der Unterſuchung, das ihm ziemlich ausgiebig erſchien. Er
hielt dem Gefangenen ſeine Hauptvergehen vor und ging ſchließlich
in den Ton der Rüge und Ermahnung über. Hat Er denn ganz
vergeſſen, rief er, was ich Ihm damals ſo eindringlich geſagt habe,
als Er das erſtemal auf Seinen böſen Wegen betreten wurde, und
was ich Ihm dann wieder gepredigt habe, als Er von Seiner erſten
Strafe zurückkam?

Nein, Herr Amtmann, ich weiß es noch, antwortete der Gefangene:
Sie haben geſagt, das Zuchthaus ſei eine Schule des Laſters, und
ich ſolle mich wohl in Obacht nehmen, daß ich nicht wieder hinein¬
komme.

Und was hat Er von ſich ſelbſt denken müſſen, daß Er doch wie¬
der hineingekommen iſt, und was muß Er heute von ſich denken, daß
Er abermals, und zwar tertia vice bei ſolcher Jugend, reif dafür
geworden iſt?

Ich hab' gedacht und denk', für einen jungen Menſchen, an dem
noch nicht Alles verloren ſein kann, ſei es doch hart, wenn er in die
Schule des Laſters gethan wird, wie Sie's ja ſelber nennen.

So? rief der Amtmann zornig: wenn Ihm das Zuchthaus nicht
gut genug iſt, ſo kann man Ihn ja für Seine Mord- und Diebsthaten
auf die Schandbühne und von da auf die Galeere bringen, vermit¬
telſt des Vertrags, den gnädigſte Herrſchaft mit der Republik Venedig
geſchloſſen hat!

Den Gefangenen überlief es, daß ſeine Kette klirrte. Ich muß
freilich auseſſen, was man mir kochen will, ſagte er, ich bin ja ſchon

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[282/0298] Wie hat Er's verthan? rief der Amtmann wild. Verſoffen! antwortete er trotzig. Du Hallunk! ſchrie ſein Vormund, während der Amtmann erſchöpft in den Seſſel zurückſank. Nachdem dieſer etwas Athem geſchöpft, rich¬ tete er ſich wieder auf und ſagte gleichmüthig: Ich muß und will an¬ nehmen, daß Er die Wahrheit ſagt; in dieſem Fall kommt eben zu Seinen andern Reaten auch noch der Punkt des aſotiſchen Lebenswan¬ dels hinzu. Ich hab's ihm ja erklärt, daß es ganz bei Ihm ſtehe, wie Sein Protokoll ausfallen werde. Der Amtmann war im Ganzen nicht unzufrieden mit dem Er¬ gebniß der Unterſuchung, das ihm ziemlich ausgiebig erſchien. Er hielt dem Gefangenen ſeine Hauptvergehen vor und ging ſchließlich in den Ton der Rüge und Ermahnung über. Hat Er denn ganz vergeſſen, rief er, was ich Ihm damals ſo eindringlich geſagt habe, als Er das erſtemal auf Seinen böſen Wegen betreten wurde, und was ich Ihm dann wieder gepredigt habe, als Er von Seiner erſten Strafe zurückkam? Nein, Herr Amtmann, ich weiß es noch, antwortete der Gefangene: Sie haben geſagt, das Zuchthaus ſei eine Schule des Laſters, und ich ſolle mich wohl in Obacht nehmen, daß ich nicht wieder hinein¬ komme. Und was hat Er von ſich ſelbſt denken müſſen, daß Er doch wie¬ der hineingekommen iſt, und was muß Er heute von ſich denken, daß Er abermals, und zwar tertia vice bei ſolcher Jugend, reif dafür geworden iſt? Ich hab' gedacht und denk', für einen jungen Menſchen, an dem noch nicht Alles verloren ſein kann, ſei es doch hart, wenn er in die Schule des Laſters gethan wird, wie Sie's ja ſelber nennen. So? rief der Amtmann zornig: wenn Ihm das Zuchthaus nicht gut genug iſt, ſo kann man Ihn ja für Seine Mord- und Diebsthaten auf die Schandbühne und von da auf die Galeere bringen, vermit¬ telſt des Vertrags, den gnädigſte Herrſchaft mit der Republik Venedig geſchloſſen hat! Den Gefangenen überlief es, daß ſeine Kette klirrte. Ich muß freilich auseſſen, was man mir kochen will, ſagte er, ich bin ja ſchon

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Zitationshilfe: Kurz, Hermann: Der Sonnenwirth. Frankfurt (Main), 1855, S. 282. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/kurz_sonnenwirth_1855/298>, abgerufen am 18.05.2024.