Am Sonntag Morgen berief der Amtmann, innerlich vergnügt über diese gute Gelegenheit, die Predigt seines geistlichen Mitbeamten zu schwänzen, seine beiden Scabinen oder Gerichtsbeisitzer, welche als amtliche Zeugen bei dem Untersuchungsverfahren, das sie bewachen sollten, aber häufiger beschliefen, den faulsten Ueberrest der alten Volksgerichtsbarkeit bildeten. Er befahl dem Schützen, den er als Diener der Gemeindebehörde benutzte, den Gefangenen vorzuführen. Der Schütz fand denselben auf einer Bank ruhig schlafend und mußte ihn mit einigen Stößen wecken. -- Er hat, scheint's, Alles vergessen, was gestern vorkommen ist, brummte er ihn an. -- Nein, sagte Friedrich, die Augen ausreibend, es fällt mir Alles wieder ein, auch daß Ihr mich losgebunden habt und ich Euch mein Wort gegeben hab', über Nacht nicht durchzugehen. -- Sein Wort hat er gehalten, das muß ich Ihm lassen, versetzte der Schütz: jetzt muß ich Ihn aber wieder handfest machen, damit's der Herr nicht merkt, daß Er über Nacht frei gewesen ist, sonst bin ich um den Dienst. -- Friedrich streckte gutwillig die Hände hin und der Schütz legte ihm Fesseln an, worauf er ihn nach dem Amtszimmer führte.
Er ist von der ganzen Bürgerschaft wie auch von Seiner eigenen Familie wegen gemeingefährlicher Aufführung, dann auch wegen mör¬ derischen Attentats gegen einen Seiner Nebenmenschen und wegen Dieb¬ stahls an Seinem leiblichen Vater angeklagt und hat sich allhier zu verantworten, begann der Amtmann, nachdem er den Eingang des Protokolls geschrieben hatte.
Friedrich blickte auf seine Ketten und schwieg.
Der Amtmann, der ihn eine Weile aufmerksam betrachtet hatte, hielt ihm in Kürze die Hauptpunkte der Anklage vor und fragte: Was hat Er hierauf zu erwidern?
Der Gefangene verharrte in seinem störrischen Schweigen.
Muß ich Ihn durch Prügel zum Geständniß bringen? fuhr der Amtmann auf.
Ein Zucken lief über den Körper des Gefangenen, so daß seine Kette klirrte, aber er that den Mund nicht auf.
Dich sollt' man im Mörser zerstoßen! rief Friedrich's unvermeid¬ licher Vormund, der neben einem kleinen Spezereigeschäft allerlei mehr
Am Sonntag Morgen berief der Amtmann, innerlich vergnügt über dieſe gute Gelegenheit, die Predigt ſeines geiſtlichen Mitbeamten zu ſchwänzen, ſeine beiden Scabinen oder Gerichtsbeiſitzer, welche als amtliche Zeugen bei dem Unterſuchungsverfahren, das ſie bewachen ſollten, aber häufiger beſchliefen, den faulſten Ueberreſt der alten Volksgerichtsbarkeit bildeten. Er befahl dem Schützen, den er als Diener der Gemeindebehörde benutzte, den Gefangenen vorzuführen. Der Schütz fand denſelben auf einer Bank ruhig ſchlafend und mußte ihn mit einigen Stößen wecken. — Er hat, ſcheint's, Alles vergeſſen, was geſtern vorkommen iſt, brummte er ihn an. — Nein, ſagte Friedrich, die Augen ausreibend, es fällt mir Alles wieder ein, auch daß Ihr mich losgebunden habt und ich Euch mein Wort gegeben hab', über Nacht nicht durchzugehen. — Sein Wort hat er gehalten, das muß ich Ihm laſſen, verſetzte der Schütz: jetzt muß ich Ihn aber wieder handfeſt machen, damit's der Herr nicht merkt, daß Er über Nacht frei geweſen iſt, ſonſt bin ich um den Dienſt. — Friedrich ſtreckte gutwillig die Hände hin und der Schütz legte ihm Feſſeln an, worauf er ihn nach dem Amtszimmer führte.
Er iſt von der ganzen Bürgerſchaft wie auch von Seiner eigenen Familie wegen gemeingefährlicher Aufführung, dann auch wegen mör¬ deriſchen Attentats gegen einen Seiner Nebenmenſchen und wegen Dieb¬ ſtahls an Seinem leiblichen Vater angeklagt und hat ſich allhier zu verantworten, begann der Amtmann, nachdem er den Eingang des Protokolls geſchrieben hatte.
Friedrich blickte auf ſeine Ketten und ſchwieg.
Der Amtmann, der ihn eine Weile aufmerkſam betrachtet hatte, hielt ihm in Kürze die Hauptpunkte der Anklage vor und fragte: Was hat Er hierauf zu erwidern?
Der Gefangene verharrte in ſeinem ſtörriſchen Schweigen.
Muß ich Ihn durch Prügel zum Geſtändniß bringen? fuhr der Amtmann auf.
Ein Zucken lief über den Körper des Gefangenen, ſo daß ſeine Kette klirrte, aber er that den Mund nicht auf.
Dich ſollt' man im Mörſer zerſtoßen! rief Friedrich's unvermeid¬ licher Vormund, der neben einem kleinen Spezereigeſchäft allerlei mehr
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Am Sonntag Morgen berief der Amtmann, innerlich vergnügt
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amtliche Zeugen bei dem Unterſuchungsverfahren, das ſie bewachen
ſollten, aber häufiger beſchliefen, den faulſten Ueberreſt der alten
Volksgerichtsbarkeit bildeten. Er befahl dem Schützen, den er als
Diener der Gemeindebehörde benutzte, den Gefangenen vorzuführen.
Der Schütz fand denſelben auf einer Bank ruhig ſchlafend und mußte
ihn mit einigen Stößen wecken. — Er hat, ſcheint's, Alles vergeſſen, was
geſtern vorkommen iſt, brummte er ihn an. — Nein, ſagte Friedrich, die
Augen ausreibend, es fällt mir Alles wieder ein, auch daß Ihr mich
losgebunden habt und ich Euch mein Wort gegeben hab', über Nacht
nicht durchzugehen. — Sein Wort hat er gehalten, das muß ich Ihm
laſſen, verſetzte der Schütz: jetzt muß ich Ihn aber wieder handfeſt
machen, damit's der Herr nicht merkt, daß Er über Nacht frei geweſen
iſt, ſonſt bin ich um den Dienſt. — Friedrich ſtreckte gutwillig die
Hände hin und der Schütz legte ihm Feſſeln an, worauf er ihn nach
dem Amtszimmer führte.
Er iſt von der ganzen Bürgerſchaft wie auch von Seiner eigenen
Familie wegen gemeingefährlicher Aufführung, dann auch wegen mör¬
deriſchen Attentats gegen einen Seiner Nebenmenſchen und wegen Dieb¬
ſtahls an Seinem leiblichen Vater angeklagt und hat ſich allhier zu
verantworten, begann der Amtmann, nachdem er den Eingang des
Protokolls geſchrieben hatte.
Friedrich blickte auf ſeine Ketten und ſchwieg.
Der Amtmann, der ihn eine Weile aufmerkſam betrachtet hatte,
hielt ihm in Kürze die Hauptpunkte der Anklage vor und fragte: Was
hat Er hierauf zu erwidern?
Der Gefangene verharrte in ſeinem ſtörriſchen Schweigen.
Muß ich Ihn durch Prügel zum Geſtändniß bringen? fuhr der
Amtmann auf.
Ein Zucken lief über den Körper des Gefangenen, ſo daß ſeine
Kette klirrte, aber er that den Mund nicht auf.
Dich ſollt' man im Mörſer zerſtoßen! rief Friedrich's unvermeid¬
licher Vormund, der neben einem kleinen Spezereigeſchäft allerlei mehr
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Kurz, Hermann: Der Sonnenwirth. Frankfurt (Main), 1855, S. 270. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/kurz_sonnenwirth_1855/286>, abgerufen am 24.11.2024.
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