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Kurz, Hermann: Der Sonnenwirth. Frankfurt (Main), 1855.

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ohne meine tägliche viele Schmerzen, wodurch ich und mein Weib
und Kind in die äußerste Armuth versetzt und samtlich verderbt wor¬
den sind.

Nu, nu, Kreuzwirth, sagte die Adlerwirthin aus der Nachbarschaft,
so gar arg ist's doch grad nicht, wenn man die Leut' hört. Weiß
wohl, die Zeiten sind hart; man kann sich auch ein bisle verspeculiren,
wenn man den Nagel gar zu b'häb auf den Kopf treffen will. Und
mit der Bresthaftigkeit ist's auch nicht so schlimm: Ihr seid von jeher
ein dünn's Pappelbäumle gewesen, und 's kann ja auch nicht Jeder
ein Eichenbaum sein.

Ja, aber mein Arm! klagte der Kreuzwirth. Der Mordbub' hat
mir ihn halb auseinander geschlagen. Da sehet selber, Adlerwirthin,
wie er mir geschweint (geschwunden) ist.

Die Frau streifte ihm ohne Umstände den schlotternden Rockärmel
auf und besah sich den Arm mit prüfendem Blicke. Das ist nicht die
Schweine, sagte sie, seid nur ganz ruhig, das hat nicht viel zu bedeu¬
ten. Der Arm ist eben ein wenig dürrer als der ander'. Das kommt
oft vor, auch ohne Schläg'. Waschet ihn fleißig mit ein wenig Wein
oder auch mit Kirschengeist, daß er wieder zu Kräften kommt. Hunds¬
schmalz drauf gebunden, soll auch gut sein; ich hab's aber nie probirt.

Ihr seid ja ein ganzer Docter, sagte der Kreuzwirth. Ja, ja,
lenkte er wieder in das vorige Gespräch ein, der Sonnenwirth hat heut'
einen sauren Tag erlebt. Dem sitzt gewiß kein Storch mehr auf's
Dach. Aber die Zuchtruth' ist ihm gesund, er soll nur fein demüthiger
werden, er hat's nöthig. Das ist mir ein Christenthum, wenn man
durch eigennützige Concession im Metzgerhandwerk seinen Mitmenschen
das Brod vom Maul wegnimmt, durch Geld und Arglist mehr Frei¬
heit im Handwerk an sich reißt als ein anderer ehrlicher Meister. Nun
zeigt sich's was das fruchtet. Der Gewinner, sagt das Sprichwort,
muß einen Verthuner haben. Das Auge Gottes siehet Alles, höret
Alles, straft Alles zu seiner Zeit. Das Wort des großen Gottes ge¬
schahe zu dem Propheten Eli: Darum daß du nicht sauer gesehen hast
zu dieser deiner Kinder Bosheit, so soll die Missethat an dem Hause
Eli nicht versöhnet werden, weder mit Speisopfer noch Rauchopfer
ewiglich, im ersten Buch Samuelis, im dritten. An den Früchten
erkennet man den Baum. Kann man auch Trauben lesen von den

ohne meine tägliche viele Schmerzen, wodurch ich und mein Weib
und Kind in die äußerſte Armuth verſetzt und ſamtlich verderbt wor¬
den ſind.

Nu, nu, Kreuzwirth, ſagte die Adlerwirthin aus der Nachbarſchaft,
ſo gar arg iſt's doch grad nicht, wenn man die Leut' hört. Weiß
wohl, die Zeiten ſind hart; man kann ſich auch ein bisle verſpeculiren,
wenn man den Nagel gar zu b'häb auf den Kopf treffen will. Und
mit der Breſthaftigkeit iſt's auch nicht ſo ſchlimm: Ihr ſeid von jeher
ein dünn's Pappelbäumle geweſen, und 's kann ja auch nicht Jeder
ein Eichenbaum ſein.

Ja, aber mein Arm! klagte der Kreuzwirth. Der Mordbub' hat
mir ihn halb auseinander geſchlagen. Da ſehet ſelber, Adlerwirthin,
wie er mir geſchweint (geſchwunden) iſt.

Die Frau ſtreifte ihm ohne Umſtände den ſchlotternden Rockärmel
auf und beſah ſich den Arm mit prüfendem Blicke. Das iſt nicht die
Schweine, ſagte ſie, ſeid nur ganz ruhig, das hat nicht viel zu bedeu¬
ten. Der Arm iſt eben ein wenig dürrer als der ander'. Das kommt
oft vor, auch ohne Schläg'. Waſchet ihn fleißig mit ein wenig Wein
oder auch mit Kirſchengeiſt, daß er wieder zu Kräften kommt. Hunds¬
ſchmalz drauf gebunden, ſoll auch gut ſein; ich hab's aber nie probirt.

Ihr ſeid ja ein ganzer Docter, ſagte der Kreuzwirth. Ja, ja,
lenkte er wieder in das vorige Geſpräch ein, der Sonnenwirth hat heut'
einen ſauren Tag erlebt. Dem ſitzt gewiß kein Storch mehr auf's
Dach. Aber die Zuchtruth' iſt ihm geſund, er ſoll nur fein demüthiger
werden, er hat's nöthig. Das iſt mir ein Chriſtenthum, wenn man
durch eigennützige Conceſſion im Metzgerhandwerk ſeinen Mitmenſchen
das Brod vom Maul wegnimmt, durch Geld und Argliſt mehr Frei¬
heit im Handwerk an ſich reißt als ein anderer ehrlicher Meiſter. Nun
zeigt ſich's was das fruchtet. Der Gewinner, ſagt das Sprichwort,
muß einen Verthuner haben. Das Auge Gottes ſiehet Alles, höret
Alles, ſtraft Alles zu ſeiner Zeit. Das Wort des großen Gottes ge¬
ſchahe zu dem Propheten Eli: Darum daß du nicht ſauer geſehen haſt
zu dieſer deiner Kinder Bosheit, ſo ſoll die Miſſethat an dem Hauſe
Eli nicht verſöhnet werden, weder mit Speisopfer noch Rauchopfer
ewiglich, im erſten Buch Samuelis, im dritten. An den Früchten
erkennet man den Baum. Kann man auch Trauben leſen von den

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[264/0280] ohne meine tägliche viele Schmerzen, wodurch ich und mein Weib und Kind in die äußerſte Armuth verſetzt und ſamtlich verderbt wor¬ den ſind. Nu, nu, Kreuzwirth, ſagte die Adlerwirthin aus der Nachbarſchaft, ſo gar arg iſt's doch grad nicht, wenn man die Leut' hört. Weiß wohl, die Zeiten ſind hart; man kann ſich auch ein bisle verſpeculiren, wenn man den Nagel gar zu b'häb auf den Kopf treffen will. Und mit der Breſthaftigkeit iſt's auch nicht ſo ſchlimm: Ihr ſeid von jeher ein dünn's Pappelbäumle geweſen, und 's kann ja auch nicht Jeder ein Eichenbaum ſein. Ja, aber mein Arm! klagte der Kreuzwirth. Der Mordbub' hat mir ihn halb auseinander geſchlagen. Da ſehet ſelber, Adlerwirthin, wie er mir geſchweint (geſchwunden) iſt. Die Frau ſtreifte ihm ohne Umſtände den ſchlotternden Rockärmel auf und beſah ſich den Arm mit prüfendem Blicke. Das iſt nicht die Schweine, ſagte ſie, ſeid nur ganz ruhig, das hat nicht viel zu bedeu¬ ten. Der Arm iſt eben ein wenig dürrer als der ander'. Das kommt oft vor, auch ohne Schläg'. Waſchet ihn fleißig mit ein wenig Wein oder auch mit Kirſchengeiſt, daß er wieder zu Kräften kommt. Hunds¬ ſchmalz drauf gebunden, ſoll auch gut ſein; ich hab's aber nie probirt. Ihr ſeid ja ein ganzer Docter, ſagte der Kreuzwirth. Ja, ja, lenkte er wieder in das vorige Geſpräch ein, der Sonnenwirth hat heut' einen ſauren Tag erlebt. Dem ſitzt gewiß kein Storch mehr auf's Dach. Aber die Zuchtruth' iſt ihm geſund, er ſoll nur fein demüthiger werden, er hat's nöthig. Das iſt mir ein Chriſtenthum, wenn man durch eigennützige Conceſſion im Metzgerhandwerk ſeinen Mitmenſchen das Brod vom Maul wegnimmt, durch Geld und Argliſt mehr Frei¬ heit im Handwerk an ſich reißt als ein anderer ehrlicher Meiſter. Nun zeigt ſich's was das fruchtet. Der Gewinner, ſagt das Sprichwort, muß einen Verthuner haben. Das Auge Gottes ſiehet Alles, höret Alles, ſtraft Alles zu ſeiner Zeit. Das Wort des großen Gottes ge¬ ſchahe zu dem Propheten Eli: Darum daß du nicht ſauer geſehen haſt zu dieſer deiner Kinder Bosheit, ſo ſoll die Miſſethat an dem Hauſe Eli nicht verſöhnet werden, weder mit Speisopfer noch Rauchopfer ewiglich, im erſten Buch Samuelis, im dritten. An den Früchten erkennet man den Baum. Kann man auch Trauben leſen von den

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Zitationshilfe: Kurz, Hermann: Der Sonnenwirth. Frankfurt (Main), 1855, S. 264. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/kurz_sonnenwirth_1855/280>, abgerufen am 17.05.2024.