Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Kurz, Hermann: Der Sonnenwirth. Frankfurt (Main), 1855.

Bild:
<< vorherige Seite

Dies ärgerte zwar den Sonnenwirth ein wenig, doch glaubte er darin
ein Zeichen von vielem Menschenverstand erkennen zu müssen.

Ja, er ist sein Lebtag ein besonderer Kopf gewesen, sagte der
Bräutigam. Aber das muß man ihm doch lassen, hilfreich ist er und
meint's vielmals gut. Denkt's Euch noch, wo er die Schramm' her
hat, die man immer noch auf seiner Stirn sieht? Da ist einmal
der Todtengräber mit seinem Weib und seinem Mädle am Burggarten
'runtergefahren, haben ein Wägele mit Heu, glaub' ich, geführt, und
wie eben die Leut' vergeßlich sind, oder vielleicht auch aus Armuth
haben sie keine Kette bei sich gehabt, und ein mageres Kühle vorge¬
spannt, und haben die Weibsleut' den Radschuh machen müssen, wie's
auch sonst im Leben oft vorkommt.

Die Gesellschaft lachte. Ist auch oft nöthig, rief eine rüstige
dicke Frau, die für die Braut den Mund aufthat. Wenn ein Mann
Kopf über Kopf unter bergabe will, so thut's ihm wohl Noth, daß
er ein tüchtigs Weib hat, das ihm den Rappen anhält und den
Wagen sperrt.

Ueber das, fuhr der Müller fort, ist das Wägele in Schuß kom¬
men, das Kühle hat's nicht mehr verheben können, und wer weiß wie's
gangen wär', da kommt auf einmal der Frieder des Wegs daher,
sieht den Unstern und springt bei, er ist schier kaum sechszehn Jahr'
alt gewesen. Anhalten hat er das Wägele auch nicht mehr können,
aber 'rum hat er's sammt dem Kühle gerissen, so daß das Rad am
Mäuerle aufgefahren ist und am Vorsprung festgesessen. Kuh und
Wagen und Leut', keinem hat's was gethan, aber den Frieder hat's
mit der Stirn an die Mauer hingeschlenkert, daß man ihm hätt' mit
einer Latern' in Kopf hineinzünden können.

Ja, ich weiß wohl noch, wie man mir den gottlosen Buben halb¬
todt in's Haus 'bracht hat, sagte der Sonnenwirth.

Die Thüre ging auf und Friedrich erschien mit den Flaschen. Der
Müller, der sich entweder sehen lassen oder auch vielleicht das Gespräch
noch länger fortsetzen wollte, rief: Was, das ist Alles? Gleich wieder
in Keller! Der ganz' Tisch muß vollgepfropft sein. Kann dir nicht
helfen, Friederle, heut muß ich dir müde Füß' machen.

O ich thu's ja gern, rief Friedrich und eilte wieder in den
Keller.

Dies ärgerte zwar den Sonnenwirth ein wenig, doch glaubte er darin
ein Zeichen von vielem Menſchenverſtand erkennen zu müſſen.

Ja, er iſt ſein Lebtag ein beſonderer Kopf geweſen, ſagte der
Bräutigam. Aber das muß man ihm doch laſſen, hilfreich iſt er und
meint's vielmals gut. Denkt's Euch noch, wo er die Schramm' her
hat, die man immer noch auf ſeiner Stirn ſieht? Da iſt einmal
der Todtengräber mit ſeinem Weib und ſeinem Mädle am Burggarten
'runtergefahren, haben ein Wägele mit Heu, glaub' ich, geführt, und
wie eben die Leut' vergeßlich ſind, oder vielleicht auch aus Armuth
haben ſie keine Kette bei ſich gehabt, und ein mageres Kühle vorge¬
ſpannt, und haben die Weibsleut' den Radſchuh machen müſſen, wie's
auch ſonſt im Leben oft vorkommt.

Die Geſellſchaft lachte. Iſt auch oft nöthig, rief eine rüſtige
dicke Frau, die für die Braut den Mund aufthat. Wenn ein Mann
Kopf über Kopf unter bergabe will, ſo thut's ihm wohl Noth, daß
er ein tüchtigs Weib hat, das ihm den Rappen anhält und den
Wagen ſperrt.

Ueber das, fuhr der Müller fort, iſt das Wägele in Schuß kom¬
men, das Kühle hat's nicht mehr verheben können, und wer weiß wie's
gangen wär', da kommt auf einmal der Frieder des Wegs daher,
ſieht den Unſtern und ſpringt bei, er iſt ſchier kaum ſechszehn Jahr'
alt geweſen. Anhalten hat er das Wägele auch nicht mehr können,
aber 'rum hat er's ſammt dem Kühle geriſſen, ſo daß das Rad am
Mäuerle aufgefahren iſt und am Vorſprung feſtgeſeſſen. Kuh und
Wagen und Leut', keinem hat's was gethan, aber den Frieder hat's
mit der Stirn an die Mauer hingeſchlenkert, daß man ihm hätt' mit
einer Latern' in Kopf hineinzünden können.

Ja, ich weiß wohl noch, wie man mir den gottloſen Buben halb¬
todt in's Haus 'bracht hat, ſagte der Sonnenwirth.

Die Thüre ging auf und Friedrich erſchien mit den Flaſchen. Der
Müller, der ſich entweder ſehen laſſen oder auch vielleicht das Geſpräch
noch länger fortſetzen wollte, rief: Was, das iſt Alles? Gleich wieder
in Keller! Der ganz' Tiſch muß vollgepfropft ſein. Kann dir nicht
helfen, Friederle, heut muß ich dir müde Füß' machen.

O ich thu's ja gern, rief Friedrich und eilte wieder in den
Keller.

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <p><pb facs="#f0263" n="247"/>
Dies ärgerte zwar den Sonnenwirth ein wenig, doch glaubte er darin<lb/>
ein Zeichen von vielem Men&#x017F;chenver&#x017F;tand erkennen zu mü&#x017F;&#x017F;en.</p><lb/>
        <p>Ja, er i&#x017F;t &#x017F;ein Lebtag ein be&#x017F;onderer Kopf gewe&#x017F;en, &#x017F;agte der<lb/>
Bräutigam. Aber das muß man ihm doch la&#x017F;&#x017F;en, hilfreich i&#x017F;t er und<lb/>
meint's vielmals gut. Denkt's Euch noch, wo er die Schramm' her<lb/>
hat, die man immer noch auf &#x017F;einer Stirn &#x017F;ieht? Da i&#x017F;t einmal<lb/>
der Todtengräber mit &#x017F;einem Weib und &#x017F;einem Mädle am Burggarten<lb/>
'runtergefahren, haben ein Wägele mit Heu, glaub' ich, geführt, und<lb/>
wie eben die Leut' vergeßlich &#x017F;ind, oder vielleicht auch aus Armuth<lb/>
haben &#x017F;ie keine Kette bei &#x017F;ich gehabt, und ein mageres Kühle vorge¬<lb/>
&#x017F;pannt, und haben die Weibsleut' den Rad&#x017F;chuh machen mü&#x017F;&#x017F;en, wie's<lb/>
auch &#x017F;on&#x017F;t im Leben oft vorkommt.</p><lb/>
        <p>Die Ge&#x017F;ell&#x017F;chaft lachte. I&#x017F;t auch oft nöthig, rief eine rü&#x017F;tige<lb/>
dicke Frau, die für die Braut den Mund aufthat. Wenn ein Mann<lb/>
Kopf über Kopf unter bergabe will, &#x017F;o thut's ihm wohl Noth, daß<lb/>
er ein tüchtigs Weib hat, das ihm den Rappen anhält und den<lb/>
Wagen &#x017F;perrt.</p><lb/>
        <p>Ueber das, fuhr der Müller fort, i&#x017F;t das Wägele in Schuß kom¬<lb/>
men, das Kühle hat's nicht mehr verheben können, und wer weiß wie's<lb/>
gangen wär', da kommt auf einmal der Frieder des Wegs daher,<lb/>
&#x017F;ieht den Un&#x017F;tern und &#x017F;pringt bei, er i&#x017F;t &#x017F;chier kaum &#x017F;echszehn Jahr'<lb/>
alt gewe&#x017F;en. Anhalten hat er das Wägele auch nicht mehr können,<lb/>
aber 'rum hat er's &#x017F;ammt dem Kühle geri&#x017F;&#x017F;en, &#x017F;o daß das Rad am<lb/>
Mäuerle aufgefahren i&#x017F;t und am Vor&#x017F;prung fe&#x017F;tge&#x017F;e&#x017F;&#x017F;en. Kuh und<lb/>
Wagen und Leut', keinem hat's was gethan, aber den Frieder hat's<lb/>
mit der Stirn an die Mauer hinge&#x017F;chlenkert, daß man ihm hätt' mit<lb/>
einer Latern' in Kopf hineinzünden können.</p><lb/>
        <p>Ja, ich weiß wohl noch, wie man mir den gottlo&#x017F;en Buben halb¬<lb/>
todt in's Haus 'bracht hat, &#x017F;agte der Sonnenwirth.</p><lb/>
        <p>Die Thüre ging auf und Friedrich er&#x017F;chien mit den Fla&#x017F;chen. Der<lb/>
Müller, der &#x017F;ich entweder &#x017F;ehen la&#x017F;&#x017F;en oder auch vielleicht das Ge&#x017F;präch<lb/>
noch länger fort&#x017F;etzen wollte, rief: Was, das i&#x017F;t Alles? Gleich wieder<lb/>
in Keller! Der ganz' Ti&#x017F;ch muß vollgepfropft &#x017F;ein. Kann dir nicht<lb/>
helfen, Friederle, heut muß ich dir müde Füß' machen.</p><lb/>
        <p>O ich thu's ja gern, rief Friedrich und eilte wieder in den<lb/>
Keller.</p><lb/>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[247/0263] Dies ärgerte zwar den Sonnenwirth ein wenig, doch glaubte er darin ein Zeichen von vielem Menſchenverſtand erkennen zu müſſen. Ja, er iſt ſein Lebtag ein beſonderer Kopf geweſen, ſagte der Bräutigam. Aber das muß man ihm doch laſſen, hilfreich iſt er und meint's vielmals gut. Denkt's Euch noch, wo er die Schramm' her hat, die man immer noch auf ſeiner Stirn ſieht? Da iſt einmal der Todtengräber mit ſeinem Weib und ſeinem Mädle am Burggarten 'runtergefahren, haben ein Wägele mit Heu, glaub' ich, geführt, und wie eben die Leut' vergeßlich ſind, oder vielleicht auch aus Armuth haben ſie keine Kette bei ſich gehabt, und ein mageres Kühle vorge¬ ſpannt, und haben die Weibsleut' den Radſchuh machen müſſen, wie's auch ſonſt im Leben oft vorkommt. Die Geſellſchaft lachte. Iſt auch oft nöthig, rief eine rüſtige dicke Frau, die für die Braut den Mund aufthat. Wenn ein Mann Kopf über Kopf unter bergabe will, ſo thut's ihm wohl Noth, daß er ein tüchtigs Weib hat, das ihm den Rappen anhält und den Wagen ſperrt. Ueber das, fuhr der Müller fort, iſt das Wägele in Schuß kom¬ men, das Kühle hat's nicht mehr verheben können, und wer weiß wie's gangen wär', da kommt auf einmal der Frieder des Wegs daher, ſieht den Unſtern und ſpringt bei, er iſt ſchier kaum ſechszehn Jahr' alt geweſen. Anhalten hat er das Wägele auch nicht mehr können, aber 'rum hat er's ſammt dem Kühle geriſſen, ſo daß das Rad am Mäuerle aufgefahren iſt und am Vorſprung feſtgeſeſſen. Kuh und Wagen und Leut', keinem hat's was gethan, aber den Frieder hat's mit der Stirn an die Mauer hingeſchlenkert, daß man ihm hätt' mit einer Latern' in Kopf hineinzünden können. Ja, ich weiß wohl noch, wie man mir den gottloſen Buben halb¬ todt in's Haus 'bracht hat, ſagte der Sonnenwirth. Die Thüre ging auf und Friedrich erſchien mit den Flaſchen. Der Müller, der ſich entweder ſehen laſſen oder auch vielleicht das Geſpräch noch länger fortſetzen wollte, rief: Was, das iſt Alles? Gleich wieder in Keller! Der ganz' Tiſch muß vollgepfropft ſein. Kann dir nicht helfen, Friederle, heut muß ich dir müde Füß' machen. O ich thu's ja gern, rief Friedrich und eilte wieder in den Keller.

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
TCF (tokenisiert, serialisiert, lemmatisiert, normalisiert)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde von OCR-Software automatisch erfasst und anschließend gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien von Muttersprachlern nachkontrolliert. Es wurde gemäß dem DTA-Basisformat in XML/TEI P5 kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/kurz_sonnenwirth_1855
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/kurz_sonnenwirth_1855/263
Zitationshilfe: Kurz, Hermann: Der Sonnenwirth. Frankfurt (Main), 1855, S. 247. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/kurz_sonnenwirth_1855/263>, abgerufen am 18.05.2024.