mußten, um ihren Durst im Schatten der Wälder oder vielleicht im Blute des Ebers zu kühlen. Noch ein Augenblick, und die ganze stolze Erscheinung war verschwunden, und die Straße mit den städtisch gro¬ ßen, aber einförmig grauen Gebäuden sah wieder so werktäglich aus, als ob sich gar nichts zugetragen hätte.
Friedrich war sogleich in das Haus zurückgekehrt, während sein Vater noch im Vollgenuß der gehabten Ehre mit den Nachbarn sprach, wobei er nicht unterließ sie darauf aufmerksam zu machen, daß der Flecken früher eine Post gehabt habe, von welcher er behauptete, daß sie mit der Sonne verbunden gewesen sei.
Wo hast dein' Goldvogel? fragte er seinen Sohn vergnügt, als er mit dem Knechte heraufkam, um zu Mittag zu essen. Der Johann sagt, es sei ein Goldstück gewesen, was dir der Herzog zugeworfen hab'.
Ich hab's nicht aufgehoben, antwortete Friedrich.
Was? Bist von Sinnen? schrie der Sonnenwirth.
Ich hab' eine Menschen- und Christenpflicht gethan, sagte Friedrich, und dafür lass' ich mich nicht mit Geld auszahlen. Zudem weiß man wohl, für was der Herzog die Ducaten in der Westentasch' trägt -- fürs' Weibervolk. Das ist kein Geld für mich.
Hast's so übrig? fragte der Vater, indem er den Löffel niederlegte, den er mit dem besten Appetit zu handhaben begonnen hatte. Das Essen wollte ihm nicht mehr recht schmecken. Du bist mir der Recht' zum Obenaussein, setzte er hinzu.
Dann hätt' das Geld wenigstens mir gehört, maulte der Knecht, denn ohne mein' Beistand kann man nicht wissen wie das Ding aus¬ gangen wär'.
Warum hast's nicht genommen? sagte Friedrich. Ich hätt's dir nicht mißgönnt.
Such', Johann, such'! rief der Sonnenwirth. Aber der Knecht war schon aufgesprungen und man hörte ihn die Treppe hinunter¬ poltern. Nach einer guten Weile kam er finster zurück und sagte: Ich hätt' mir's schon denken können, daß so was nicht lang liegen bleibt. Wer's aber genommen hat, ist ein Dieb. Der soll mir kom¬ men. Ich werd's schon 'rausbringen, wer den gelben Vogel im Käfig hat. Der Fischerhanne, der ist, glaub' ich, am dabei gestanden. Dem wassergrünen Spitzbuben werd' ich aufpassen.
16 *
mußten, um ihren Durſt im Schatten der Wälder oder vielleicht im Blute des Ebers zu kühlen. Noch ein Augenblick, und die ganze ſtolze Erſcheinung war verſchwunden, und die Straße mit den ſtädtiſch gro¬ ßen, aber einförmig grauen Gebäuden ſah wieder ſo werktäglich aus, als ob ſich gar nichts zugetragen hätte.
Friedrich war ſogleich in das Haus zurückgekehrt, während ſein Vater noch im Vollgenuß der gehabten Ehre mit den Nachbarn ſprach, wobei er nicht unterließ ſie darauf aufmerkſam zu machen, daß der Flecken früher eine Poſt gehabt habe, von welcher er behauptete, daß ſie mit der Sonne verbunden geweſen ſei.
Wo haſt dein' Goldvogel? fragte er ſeinen Sohn vergnügt, als er mit dem Knechte heraufkam, um zu Mittag zu eſſen. Der Johann ſagt, es ſei ein Goldſtück geweſen, was dir der Herzog zugeworfen hab'.
Ich hab's nicht aufgehoben, antwortete Friedrich.
Was? Biſt von Sinnen? ſchrie der Sonnenwirth.
Ich hab' eine Menſchen- und Chriſtenpflicht gethan, ſagte Friedrich, und dafür laſſ' ich mich nicht mit Geld auszahlen. Zudem weiß man wohl, für was der Herzog die Ducaten in der Weſtentaſch' trägt — fürs' Weibervolk. Das iſt kein Geld für mich.
Haſt's ſo übrig? fragte der Vater, indem er den Löffel niederlegte, den er mit dem beſten Appetit zu handhaben begonnen hatte. Das Eſſen wollte ihm nicht mehr recht ſchmecken. Du biſt mir der Recht' zum Obenausſein, ſetzte er hinzu.
Dann hätt' das Geld wenigſtens mir gehört, maulte der Knecht, denn ohne mein' Beiſtand kann man nicht wiſſen wie das Ding aus¬ gangen wär'.
Warum haſt's nicht genommen? ſagte Friedrich. Ich hätt's dir nicht mißgönnt.
Such', Johann, ſuch'! rief der Sonnenwirth. Aber der Knecht war ſchon aufgeſprungen und man hörte ihn die Treppe hinunter¬ poltern. Nach einer guten Weile kam er finſter zurück und ſagte: Ich hätt' mir's ſchon denken können, daß ſo was nicht lang liegen bleibt. Wer's aber genommen hat, iſt ein Dieb. Der ſoll mir kom¬ men. Ich werd's ſchon 'rausbringen, wer den gelben Vogel im Käfig hat. Der Fiſcherhanne, der iſt, glaub' ich, am dabei geſtanden. Dem waſſergrünen Spitzbuben werd' ich aufpaſſen.
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mußten, um ihren Durſt im Schatten der Wälder oder vielleicht im
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ßen, aber einförmig grauen Gebäuden ſah wieder ſo werktäglich aus,
als ob ſich gar nichts zugetragen hätte.
Friedrich war ſogleich in das Haus zurückgekehrt, während ſein
Vater noch im Vollgenuß der gehabten Ehre mit den Nachbarn ſprach,
wobei er nicht unterließ ſie darauf aufmerkſam zu machen, daß der
Flecken früher eine Poſt gehabt habe, von welcher er behauptete, daß
ſie mit der Sonne verbunden geweſen ſei.
Wo haſt dein' Goldvogel? fragte er ſeinen Sohn vergnügt, als er
mit dem Knechte heraufkam, um zu Mittag zu eſſen. Der Johann
ſagt, es ſei ein Goldſtück geweſen, was dir der Herzog zugeworfen hab'.
Ich hab's nicht aufgehoben, antwortete Friedrich.
Was? Biſt von Sinnen? ſchrie der Sonnenwirth.
Ich hab' eine Menſchen- und Chriſtenpflicht gethan, ſagte Friedrich,
und dafür laſſ' ich mich nicht mit Geld auszahlen. Zudem weiß man
wohl, für was der Herzog die Ducaten in der Weſtentaſch' trägt —
fürs' Weibervolk. Das iſt kein Geld für mich.
Haſt's ſo übrig? fragte der Vater, indem er den Löffel niederlegte,
den er mit dem beſten Appetit zu handhaben begonnen hatte. Das
Eſſen wollte ihm nicht mehr recht ſchmecken. Du biſt mir der Recht'
zum Obenausſein, ſetzte er hinzu.
Dann hätt' das Geld wenigſtens mir gehört, maulte der Knecht,
denn ohne mein' Beiſtand kann man nicht wiſſen wie das Ding aus¬
gangen wär'.
Warum haſt's nicht genommen? ſagte Friedrich. Ich hätt's dir
nicht mißgönnt.
Such', Johann, ſuch'! rief der Sonnenwirth. Aber der Knecht
war ſchon aufgeſprungen und man hörte ihn die Treppe hinunter¬
poltern. Nach einer guten Weile kam er finſter zurück und ſagte:
Ich hätt' mir's ſchon denken können, daß ſo was nicht lang liegen
bleibt. Wer's aber genommen hat, iſt ein Dieb. Der ſoll mir kom¬
men. Ich werd's ſchon 'rausbringen, wer den gelben Vogel im Käfig
hat. Der Fiſcherhanne, der iſt, glaub' ich, am dabei geſtanden.
Dem waſſergrünen Spitzbuben werd' ich aufpaſſen.
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Kurz, Hermann: Der Sonnenwirth. Frankfurt (Main), 1855, S. 243. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/kurz_sonnenwirth_1855/259>, abgerufen am 22.11.2024.
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