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Kurz, Hermann: Der Sonnenwirth. Frankfurt (Main), 1855.

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und wenn ihn die Regierung zehnmal für volljährig erkläre, so nehme
ihn eben die Gemeinde nicht an. Dafür laß Sie nur mich sorgen,
Frau Sonnenwirthin.

Wenn nur mein Mann nicht so schwach wär'! erwiderte die Son¬
nenwirthin hierauf. Er will sich's nicht nachsagen lassen, daß er sei¬
nen Sohn, der ihm als Knecht zu dienen erbötig ist, von sich gestoßen
hab', und doch kränkt's ihn auch wieder, daß er ihm sein Mütterlich's
hinauszahlen soll, denn die Zeiten sind eben gar schwer. Die Eve
Marget und die Magdalene haben ihren Antheil auch stehen lassen
müssen, mit Vorbehalt, daß sie nachher am Vater mehr erben sollen.
Nun besorgt er, wenn der Bruder sein Sach' ganz 'rauskriegt, und
auf einmal, so könnten die Schwestern auch rebellisch werden. Er
glaubt, er hab' eigentlich die Nutznießung davon sein Leben lang, aber
er weiß nicht gewiß, ob man sie ihm nicht vielleicht strittig könnt'
machen.

Jedenfalls, bemerkte der Amtmann, ließe sich dieser Streit in die
Länge ziehen, ich sehe jedoch nicht ein, zu was das in der Hauptsache
führen sollte, denn wenn der Sonnenwirth seinem ungerathenen Sohne
die Existenz garantirt, so kann ihn Niemand am Heirathen hindern.
Uebrigens will ich mir die ganze Sachlage noch einmal in Revision
nehmen und sehen, ob noch etwas zu machen ist.

Unter solchen Berathungen war die zweite Proclamation vorüber¬
gegangen, und der Vortheil des unabänderlichen Laufes der Dinge
schien ganz auf Friedrich's Seite zu sein, als der Amtmann die Son¬
nenwirthin rufen ließ. Gratulire, Frau Sonnenwirthin, sagte er, zur
leibeigenen Schnur!

Was? leibeigen? rief die Sonnenwirthin. Und davon hat das
schlecht' Gesindel gar nichts gesagt? Das hebt ja alle Verpflichtun¬
gen auf!

Vielleicht haben sie es selbst nicht mehr recht gewußt, sagte der
Amtmann, denn die Sache ist etwas in Vergessenheit gerathen. That¬
sache aber ist es, daß der Hans Jerg Müller und die Seinigen zu
gnädigster Herrschaft im Verhältniß der Leibeigenschaft stehen.

Dann, rief die Sonnenwirthin mit einem Strahl von Hoffnung, ist's
doch möglich, daß der stolz' Bub' sein' Kopf noch ändert. Eine Leib¬
eigene wird er nicht zur Frau haben wollen.

und wenn ihn die Regierung zehnmal für volljährig erkläre, ſo nehme
ihn eben die Gemeinde nicht an. Dafür laß Sie nur mich ſorgen,
Frau Sonnenwirthin.

Wenn nur mein Mann nicht ſo ſchwach wär'! erwiderte die Son¬
nenwirthin hierauf. Er will ſich's nicht nachſagen laſſen, daß er ſei¬
nen Sohn, der ihm als Knecht zu dienen erbötig iſt, von ſich geſtoßen
hab', und doch kränkt's ihn auch wieder, daß er ihm ſein Mütterlich's
hinauszahlen ſoll, denn die Zeiten ſind eben gar ſchwer. Die Eve
Marget und die Magdalene haben ihren Antheil auch ſtehen laſſen
müſſen, mit Vorbehalt, daß ſie nachher am Vater mehr erben ſollen.
Nun beſorgt er, wenn der Bruder ſein Sach' ganz 'rauskriegt, und
auf einmal, ſo könnten die Schweſtern auch rebelliſch werden. Er
glaubt, er hab' eigentlich die Nutznießung davon ſein Leben lang, aber
er weiß nicht gewiß, ob man ſie ihm nicht vielleicht ſtrittig könnt'
machen.

Jedenfalls, bemerkte der Amtmann, ließe ſich dieſer Streit in die
Länge ziehen, ich ſehe jedoch nicht ein, zu was das in der Hauptſache
führen ſollte, denn wenn der Sonnenwirth ſeinem ungerathenen Sohne
die Exiſtenz garantirt, ſo kann ihn Niemand am Heirathen hindern.
Uebrigens will ich mir die ganze Sachlage noch einmal in Reviſion
nehmen und ſehen, ob noch etwas zu machen iſt.

Unter ſolchen Berathungen war die zweite Proclamation vorüber¬
gegangen, und der Vortheil des unabänderlichen Laufes der Dinge
ſchien ganz auf Friedrich's Seite zu ſein, als der Amtmann die Son¬
nenwirthin rufen ließ. Gratulire, Frau Sonnenwirthin, ſagte er, zur
leibeigenen Schnur!

Was? leibeigen? rief die Sonnenwirthin. Und davon hat das
ſchlecht' Geſindel gar nichts geſagt? Das hebt ja alle Verpflichtun¬
gen auf!

Vielleicht haben ſie es ſelbſt nicht mehr recht gewußt, ſagte der
Amtmann, denn die Sache iſt etwas in Vergeſſenheit gerathen. That¬
ſache aber iſt es, daß der Hans Jerg Müller und die Seinigen zu
gnädigſter Herrſchaft im Verhältniß der Leibeigenſchaft ſtehen.

Dann, rief die Sonnenwirthin mit einem Strahl von Hoffnung, iſt's
doch möglich, daß der ſtolz' Bub' ſein' Kopf noch ändert. Eine Leib¬
eigene wird er nicht zur Frau haben wollen.

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[236/0252] und wenn ihn die Regierung zehnmal für volljährig erkläre, ſo nehme ihn eben die Gemeinde nicht an. Dafür laß Sie nur mich ſorgen, Frau Sonnenwirthin. Wenn nur mein Mann nicht ſo ſchwach wär'! erwiderte die Son¬ nenwirthin hierauf. Er will ſich's nicht nachſagen laſſen, daß er ſei¬ nen Sohn, der ihm als Knecht zu dienen erbötig iſt, von ſich geſtoßen hab', und doch kränkt's ihn auch wieder, daß er ihm ſein Mütterlich's hinauszahlen ſoll, denn die Zeiten ſind eben gar ſchwer. Die Eve Marget und die Magdalene haben ihren Antheil auch ſtehen laſſen müſſen, mit Vorbehalt, daß ſie nachher am Vater mehr erben ſollen. Nun beſorgt er, wenn der Bruder ſein Sach' ganz 'rauskriegt, und auf einmal, ſo könnten die Schweſtern auch rebelliſch werden. Er glaubt, er hab' eigentlich die Nutznießung davon ſein Leben lang, aber er weiß nicht gewiß, ob man ſie ihm nicht vielleicht ſtrittig könnt' machen. Jedenfalls, bemerkte der Amtmann, ließe ſich dieſer Streit in die Länge ziehen, ich ſehe jedoch nicht ein, zu was das in der Hauptſache führen ſollte, denn wenn der Sonnenwirth ſeinem ungerathenen Sohne die Exiſtenz garantirt, ſo kann ihn Niemand am Heirathen hindern. Uebrigens will ich mir die ganze Sachlage noch einmal in Reviſion nehmen und ſehen, ob noch etwas zu machen iſt. Unter ſolchen Berathungen war die zweite Proclamation vorüber¬ gegangen, und der Vortheil des unabänderlichen Laufes der Dinge ſchien ganz auf Friedrich's Seite zu ſein, als der Amtmann die Son¬ nenwirthin rufen ließ. Gratulire, Frau Sonnenwirthin, ſagte er, zur leibeigenen Schnur! Was? leibeigen? rief die Sonnenwirthin. Und davon hat das ſchlecht' Geſindel gar nichts geſagt? Das hebt ja alle Verpflichtun¬ gen auf! Vielleicht haben ſie es ſelbſt nicht mehr recht gewußt, ſagte der Amtmann, denn die Sache iſt etwas in Vergeſſenheit gerathen. That¬ ſache aber iſt es, daß der Hans Jerg Müller und die Seinigen zu gnädigſter Herrſchaft im Verhältniß der Leibeigenſchaft ſtehen. Dann, rief die Sonnenwirthin mit einem Strahl von Hoffnung, iſt's doch möglich, daß der ſtolz' Bub' ſein' Kopf noch ändert. Eine Leib¬ eigene wird er nicht zur Frau haben wollen.

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Zitationshilfe: Kurz, Hermann: Der Sonnenwirth. Frankfurt (Main), 1855, S. 236. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/kurz_sonnenwirth_1855/252>, abgerufen am 25.11.2024.