Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Kurz, Hermann: Der Sonnenwirth. Frankfurt (Main), 1855.

Bild:
<< vorherige Seite

hat er wissen wollen, ob's an einem Sonntag geschehen sei? Du kannst
dir aber wohl denken, was ich darauf geantwortet hab'.

Man sollt's nicht glauben, sagte Friedrich, was so ein alter geist¬
licher Hirt vor seinen Lämmern Sprüng' machen kann. Spricht der
von der bösen That, wie er's heißt, mit einem Gesicht -- so --
gelt, voll Abscheu?

Freilich, ein Gesicht hat er dazu gemacht, als wenn's ihm recht
übel wär'.

Ja, aber protokollirt eine ganze Stund' fort und kann gar nicht
loskommen von der bösen That, und wärmet sich dran wie der König
David an der jungen Dirne, von der in der Bibel geschrieben steht.
Wenn er's für eine Sünd' und ein Laster hielt', so blieb' er nicht so
lang' dabei stehen. Mich hätt' er so was fragen sollen! Ich, hätt'
ihn an seine Frau verwiesen: die soll's ihm erzählen, wenn er's nicht
mehr wisse. Etwas Aehnlich's hab' ich ihnen ohnehin gesagt.

Du bist aber keck! versetzte Christine. Hast du denn nicht auch
Abbitt' thun müssen?

Ich, abbitten? ich will nicht hoffen, daß du so schmählich gewesen bist.

Was hab' ich denn machen können? Der Pfarrer hat immer auf
mich hineingefragt, ob mir die böse That nicht leid sei. Anfangs
hab' ich darauf geschwiegen, dann hat er geschimpft und gepredigt,
und zuletzt hab' ich eben zu Allem Ja gesagt. Dann hat er unterm
Protokollschreiben vor sich hingebrummelt: "Sie sagt, sie trage Reue
und Leid vor Gott und den Menschen, und solle ihr gewiß nicht
wieder fürkommen, und bitte Gott und die liebe Obrigkeit um Ver¬
zeihung und um eine gnädige Straf'!" Du weißt ja, er sagt das
was er schreibt immer vor sich hin, es ist dann so gut wie vorgele¬
sen. Aber meine eigene Wort' sind's nicht, sondern er hat sich's
eben aus meinem Ja herausgenommen, und Ja hab' ich gesagt, nur
daß es einmal ein End' nimmt, denn sonst wär' ich gar nicht fort¬
kommen, und dir selber hat's ja so schon zu lang gedauert, ich hab'
gemeint, du wollest mich fressen, wie ich kommen bin.

Geh, sagte er, das gefällt mir nicht, daß du dich hast so 'runter¬
thun lassen. Hättest besser hinstehen sollen.

Du darfst mich auch noch schlecht machen, maulte sie. Wie du
bist aus der Fremde kommen und deines Vaters Haus ist dir ver¬

hat er wiſſen wollen, ob's an einem Sonntag geſchehen ſei? Du kannſt
dir aber wohl denken, was ich darauf geantwortet hab'.

Man ſollt's nicht glauben, ſagte Friedrich, was ſo ein alter geiſt¬
licher Hirt vor ſeinen Lämmern Sprüng' machen kann. Spricht der
von der böſen That, wie er's heißt, mit einem Geſicht — ſo —
gelt, voll Abſcheu?

Freilich, ein Geſicht hat er dazu gemacht, als wenn's ihm recht
übel wär'.

Ja, aber protokollirt eine ganze Stund' fort und kann gar nicht
loskommen von der böſen That, und wärmet ſich dran wie der König
David an der jungen Dirne, von der in der Bibel geſchrieben ſteht.
Wenn er's für eine Sünd' und ein Laſter hielt', ſo blieb' er nicht ſo
lang' dabei ſtehen. Mich hätt' er ſo was fragen ſollen! Ich, hätt'
ihn an ſeine Frau verwieſen: die ſoll's ihm erzählen, wenn er's nicht
mehr wiſſe. Etwas Aehnlich's hab' ich ihnen ohnehin geſagt.

Du biſt aber keck! verſetzte Chriſtine. Haſt du denn nicht auch
Abbitt' thun müſſen?

Ich, abbitten? ich will nicht hoffen, daß du ſo ſchmählich geweſen biſt.

Was hab' ich denn machen können? Der Pfarrer hat immer auf
mich hineingefragt, ob mir die böſe That nicht leid ſei. Anfangs
hab' ich darauf geſchwiegen, dann hat er geſchimpft und gepredigt,
und zuletzt hab' ich eben zu Allem Ja geſagt. Dann hat er unterm
Protokollſchreiben vor ſich hingebrummelt: „Sie ſagt, ſie trage Reue
und Leid vor Gott und den Menſchen, und ſolle ihr gewiß nicht
wieder fürkommen, und bitte Gott und die liebe Obrigkeit um Ver¬
zeihung und um eine gnädige Straf'!“ Du weißt ja, er ſagt das
was er ſchreibt immer vor ſich hin, es iſt dann ſo gut wie vorgele¬
ſen. Aber meine eigene Wort' ſind's nicht, ſondern er hat ſich's
eben aus meinem Ja herausgenommen, und Ja hab' ich geſagt, nur
daß es einmal ein End' nimmt, denn ſonſt wär' ich gar nicht fort¬
kommen, und dir ſelber hat's ja ſo ſchon zu lang gedauert, ich hab'
gemeint, du wolleſt mich freſſen, wie ich kommen bin.

Geh, ſagte er, das gefällt mir nicht, daß du dich haſt ſo 'runter¬
thun laſſen. Hätteſt beſſer hinſtehen ſollen.

Du darfſt mich auch noch ſchlecht machen, maulte ſie. Wie du
biſt aus der Fremde kommen und deines Vaters Haus iſt dir ver¬

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <p><pb facs="#f0206" n="190"/>
hat er wi&#x017F;&#x017F;en wollen, ob's an einem Sonntag ge&#x017F;chehen &#x017F;ei? Du kann&#x017F;t<lb/>
dir aber wohl denken, was ich darauf geantwortet hab'.</p><lb/>
        <p>Man &#x017F;ollt's nicht glauben, &#x017F;agte Friedrich, was &#x017F;o ein alter gei&#x017F;<lb/>
licher Hirt vor &#x017F;einen Lämmern Sprüng' machen kann. Spricht der<lb/>
von der bö&#x017F;en That, wie er's heißt, mit einem Ge&#x017F;icht &#x2014; &#x017F;o &#x2014;<lb/>
gelt, voll Ab&#x017F;cheu?</p><lb/>
        <p>Freilich, ein Ge&#x017F;icht hat er dazu gemacht, als wenn's ihm recht<lb/>
übel wär'.</p><lb/>
        <p>Ja, aber protokollirt eine ganze Stund' fort und kann gar nicht<lb/>
loskommen von der bö&#x017F;en That, und wärmet &#x017F;ich dran wie der König<lb/>
David an der jungen Dirne, von der in der Bibel ge&#x017F;chrieben &#x017F;teht.<lb/>
Wenn er's für eine Sünd' und ein La&#x017F;ter hielt', &#x017F;o blieb' er nicht &#x017F;o<lb/>
lang' dabei &#x017F;tehen. Mich hätt' er &#x017F;o was fragen &#x017F;ollen! Ich, hätt'<lb/>
ihn an &#x017F;eine Frau verwie&#x017F;en: die &#x017F;oll's ihm erzählen, wenn er's nicht<lb/>
mehr wi&#x017F;&#x017F;e. Etwas Aehnlich's hab' ich ihnen ohnehin ge&#x017F;agt.</p><lb/>
        <p>Du bi&#x017F;t aber keck! ver&#x017F;etzte Chri&#x017F;tine. Ha&#x017F;t du denn nicht auch<lb/>
Abbitt' thun mü&#x017F;&#x017F;en?</p><lb/>
        <p>Ich, abbitten? ich will nicht hoffen, daß du &#x017F;o &#x017F;chmählich gewe&#x017F;en bi&#x017F;t.</p><lb/>
        <p>Was hab' ich denn machen können? Der Pfarrer hat immer auf<lb/>
mich hineingefragt, ob mir die bö&#x017F;e That nicht leid &#x017F;ei. Anfangs<lb/>
hab' ich darauf ge&#x017F;chwiegen, dann hat er ge&#x017F;chimpft und gepredigt,<lb/>
und zuletzt hab' ich eben zu Allem Ja ge&#x017F;agt. Dann hat er unterm<lb/>
Protokoll&#x017F;chreiben vor &#x017F;ich hingebrummelt: &#x201E;Sie &#x017F;agt, &#x017F;ie trage Reue<lb/>
und Leid vor Gott und den Men&#x017F;chen, und &#x017F;olle ihr gewiß nicht<lb/>
wieder fürkommen, und bitte Gott und die liebe Obrigkeit um Ver¬<lb/>
zeihung und um eine gnädige Straf'!&#x201C; Du weißt ja, er &#x017F;agt das<lb/>
was er &#x017F;chreibt immer vor &#x017F;ich hin, es i&#x017F;t dann &#x017F;o gut wie vorgele¬<lb/>
&#x017F;en. Aber meine eigene Wort' &#x017F;ind's nicht, &#x017F;ondern er hat &#x017F;ich's<lb/>
eben aus meinem Ja herausgenommen, und Ja hab' ich ge&#x017F;agt, nur<lb/>
daß es einmal ein End' nimmt, denn &#x017F;on&#x017F;t wär' ich gar nicht fort¬<lb/>
kommen, und dir &#x017F;elber hat's ja &#x017F;o &#x017F;chon zu lang gedauert, ich hab'<lb/>
gemeint, du wolle&#x017F;t mich fre&#x017F;&#x017F;en, wie ich kommen bin.</p><lb/>
        <p>Geh, &#x017F;agte er, das gefällt mir nicht, daß du dich ha&#x017F;t &#x017F;o 'runter¬<lb/>
thun la&#x017F;&#x017F;en. Hätte&#x017F;t be&#x017F;&#x017F;er hin&#x017F;tehen &#x017F;ollen.</p><lb/>
        <p>Du darf&#x017F;t mich auch noch &#x017F;chlecht machen, maulte &#x017F;ie. Wie du<lb/>
bi&#x017F;t aus der Fremde kommen und deines Vaters Haus i&#x017F;t dir ver¬<lb/></p>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[190/0206] hat er wiſſen wollen, ob's an einem Sonntag geſchehen ſei? Du kannſt dir aber wohl denken, was ich darauf geantwortet hab'. Man ſollt's nicht glauben, ſagte Friedrich, was ſo ein alter geiſt¬ licher Hirt vor ſeinen Lämmern Sprüng' machen kann. Spricht der von der böſen That, wie er's heißt, mit einem Geſicht — ſo — gelt, voll Abſcheu? Freilich, ein Geſicht hat er dazu gemacht, als wenn's ihm recht übel wär'. Ja, aber protokollirt eine ganze Stund' fort und kann gar nicht loskommen von der böſen That, und wärmet ſich dran wie der König David an der jungen Dirne, von der in der Bibel geſchrieben ſteht. Wenn er's für eine Sünd' und ein Laſter hielt', ſo blieb' er nicht ſo lang' dabei ſtehen. Mich hätt' er ſo was fragen ſollen! Ich, hätt' ihn an ſeine Frau verwieſen: die ſoll's ihm erzählen, wenn er's nicht mehr wiſſe. Etwas Aehnlich's hab' ich ihnen ohnehin geſagt. Du biſt aber keck! verſetzte Chriſtine. Haſt du denn nicht auch Abbitt' thun müſſen? Ich, abbitten? ich will nicht hoffen, daß du ſo ſchmählich geweſen biſt. Was hab' ich denn machen können? Der Pfarrer hat immer auf mich hineingefragt, ob mir die böſe That nicht leid ſei. Anfangs hab' ich darauf geſchwiegen, dann hat er geſchimpft und gepredigt, und zuletzt hab' ich eben zu Allem Ja geſagt. Dann hat er unterm Protokollſchreiben vor ſich hingebrummelt: „Sie ſagt, ſie trage Reue und Leid vor Gott und den Menſchen, und ſolle ihr gewiß nicht wieder fürkommen, und bitte Gott und die liebe Obrigkeit um Ver¬ zeihung und um eine gnädige Straf'!“ Du weißt ja, er ſagt das was er ſchreibt immer vor ſich hin, es iſt dann ſo gut wie vorgele¬ ſen. Aber meine eigene Wort' ſind's nicht, ſondern er hat ſich's eben aus meinem Ja herausgenommen, und Ja hab' ich geſagt, nur daß es einmal ein End' nimmt, denn ſonſt wär' ich gar nicht fort¬ kommen, und dir ſelber hat's ja ſo ſchon zu lang gedauert, ich hab' gemeint, du wolleſt mich freſſen, wie ich kommen bin. Geh, ſagte er, das gefällt mir nicht, daß du dich haſt ſo 'runter¬ thun laſſen. Hätteſt beſſer hinſtehen ſollen. Du darfſt mich auch noch ſchlecht machen, maulte ſie. Wie du biſt aus der Fremde kommen und deines Vaters Haus iſt dir ver¬

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
TCF (tokenisiert, serialisiert, lemmatisiert, normalisiert)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde von OCR-Software automatisch erfasst und anschließend gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien von Muttersprachlern nachkontrolliert. Es wurde gemäß dem DTA-Basisformat in XML/TEI P5 kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/kurz_sonnenwirth_1855
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/kurz_sonnenwirth_1855/206
Zitationshilfe: Kurz, Hermann: Der Sonnenwirth. Frankfurt (Main), 1855, S. 190. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/kurz_sonnenwirth_1855/206>, abgerufen am 02.05.2024.