auf einmal mit sammt dem Stuhl zu Boden und stand nicht mehr auf. Das wilde Gelächter über diesen Auftritt schallte noch lange hinter dem Flüchtling her, der die Herrlichkeit hinter sich ließ, ohne gute Nacht gesagt zu haben.
Zu Hause fand er seinen Vater noch wach und noch immer von Gesellschaft umgeben. Er brummte über sein langes Ausbleiben, doch mehr, wie es schien, aus väterlichem Wohlwollen, daß er sich ihm an einem so heitern Abend entzogen hatte, als aus Mißmuth darüber, daß er seiner Pflicht nicht nachgekommen war. Noch in später Stunde waren Fuhrleute angelangt; sie fluchten wacker über den langen Auf¬ enthalt, der ihnen durch verschiedene Zufälle und am meisten durch den Eßlinger Zoll verursacht worden war. Friedrich widmete sich mit Eifer ihrer Bedienung und ihre Scherzreden bewiesen, daß er von lange her bei ihnen wohl angeschrieben sei. Er geht so leichtfüßig einher als ob er in der Luft wandeln thät', sagte Einer derselben von ihm, und die Bezeichnung war richtig, denn das Gefühl, das ihn seit dem Empfang von Christinens Brieflein beseelte, hatte ihm gleich¬ sam Flügel an die Sohlen geheftet.
Er ging als ein glücklicher Mensch zu Bette, trunken von Liebe und auch ein wenig vom Wein. Da er nicht sogleich einschlafen konnte, so hörte er noch den Neujahrswunsch der armen Kinder, die, mit Lichtern umherziehend, vor den Häusern zu singen pflegten. Es war ein einziger Vers, der für jedes Mitglied der Familie, und wenn sich ihre Zahl noch so hoch belief, besonders wiederholt wurde Zu¬ erst traf die Reihe den Hausvater, dann die Mutter, die Kinder, so viel ihrer waren, wurden jedes einzeln angesungen, dann kamen die Mägde, dann die Knechte und ganz zuletzt, wenn der Gratulationszug vor einem Wirthshause hielt, die bekannteren Gäste, die darin wohnten. Sie sangen, als die Reihe an Friedrich kam:
Jetzt wünschen wir auch dem Herrn Johann Frieder gut's neu's Jahr, Ein gesundes Jahr, Ein glücklich's Jahr, An Fried' und Freud' ein reiches Jahr. Gott mach' es wahr! Gott gebe, daß es werde wahr! Gott gebe, daß es werde wahr! sprach Friedrich in seiner Kammer nach.
8 *
auf einmal mit ſammt dem Stuhl zu Boden und ſtand nicht mehr auf. Das wilde Gelächter über dieſen Auftritt ſchallte noch lange hinter dem Flüchtling her, der die Herrlichkeit hinter ſich ließ, ohne gute Nacht geſagt zu haben.
Zu Hauſe fand er ſeinen Vater noch wach und noch immer von Geſellſchaft umgeben. Er brummte über ſein langes Ausbleiben, doch mehr, wie es ſchien, aus väterlichem Wohlwollen, daß er ſich ihm an einem ſo heitern Abend entzogen hatte, als aus Mißmuth darüber, daß er ſeiner Pflicht nicht nachgekommen war. Noch in ſpäter Stunde waren Fuhrleute angelangt; ſie fluchten wacker über den langen Auf¬ enthalt, der ihnen durch verſchiedene Zufälle und am meiſten durch den Eßlinger Zoll verurſacht worden war. Friedrich widmete ſich mit Eifer ihrer Bedienung und ihre Scherzreden bewieſen, daß er von lange her bei ihnen wohl angeſchrieben ſei. Er geht ſo leichtfüßig einher als ob er in der Luft wandeln thät', ſagte Einer derſelben von ihm, und die Bezeichnung war richtig, denn das Gefühl, das ihn ſeit dem Empfang von Chriſtinens Brieflein beſeelte, hatte ihm gleich¬ ſam Flügel an die Sohlen geheftet.
Er ging als ein glücklicher Menſch zu Bette, trunken von Liebe und auch ein wenig vom Wein. Da er nicht ſogleich einſchlafen konnte, ſo hörte er noch den Neujahrswunſch der armen Kinder, die, mit Lichtern umherziehend, vor den Häuſern zu ſingen pflegten. Es war ein einziger Vers, der für jedes Mitglied der Familie, und wenn ſich ihre Zahl noch ſo hoch belief, beſonders wiederholt wurde Zu¬ erſt traf die Reihe den Hausvater, dann die Mutter, die Kinder, ſo viel ihrer waren, wurden jedes einzeln angeſungen, dann kamen die Mägde, dann die Knechte und ganz zuletzt, wenn der Gratulationszug vor einem Wirthshauſe hielt, die bekannteren Gäſte, die darin wohnten. Sie ſangen, als die Reihe an Friedrich kam:
Jetzt wünſchen wir auch dem Herrn Johann Frieder gut's neu's Jahr, Ein geſundes Jahr, Ein glücklich's Jahr, An Fried' und Freud' ein reiches Jahr. Gott mach' es wahr! Gott gebe, daß es werde wahr! Gott gebe, daß es werde wahr! ſprach Friedrich in ſeiner Kammer nach.
8 *
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auf einmal mit ſammt dem Stuhl zu Boden und ſtand nicht mehr
auf. Das wilde Gelächter über dieſen Auftritt ſchallte noch lange
hinter dem Flüchtling her, der die Herrlichkeit hinter ſich ließ, ohne
gute Nacht geſagt zu haben.
Zu Hauſe fand er ſeinen Vater noch wach und noch immer von
Geſellſchaft umgeben. Er brummte über ſein langes Ausbleiben, doch
mehr, wie es ſchien, aus väterlichem Wohlwollen, daß er ſich ihm
an einem ſo heitern Abend entzogen hatte, als aus Mißmuth darüber,
daß er ſeiner Pflicht nicht nachgekommen war. Noch in ſpäter Stunde
waren Fuhrleute angelangt; ſie fluchten wacker über den langen Auf¬
enthalt, der ihnen durch verſchiedene Zufälle und am meiſten durch
den Eßlinger Zoll verurſacht worden war. Friedrich widmete ſich mit
Eifer ihrer Bedienung und ihre Scherzreden bewieſen, daß er von
lange her bei ihnen wohl angeſchrieben ſei. Er geht ſo leichtfüßig
einher als ob er in der Luft wandeln thät', ſagte Einer derſelben von
ihm, und die Bezeichnung war richtig, denn das Gefühl, das ihn
ſeit dem Empfang von Chriſtinens Brieflein beſeelte, hatte ihm gleich¬
ſam Flügel an die Sohlen geheftet.
Er ging als ein glücklicher Menſch zu Bette, trunken von Liebe
und auch ein wenig vom Wein. Da er nicht ſogleich einſchlafen
konnte, ſo hörte er noch den Neujahrswunſch der armen Kinder, die,
mit Lichtern umherziehend, vor den Häuſern zu ſingen pflegten. Es
war ein einziger Vers, der für jedes Mitglied der Familie, und wenn
ſich ihre Zahl noch ſo hoch belief, beſonders wiederholt wurde Zu¬
erſt traf die Reihe den Hausvater, dann die Mutter, die Kinder, ſo
viel ihrer waren, wurden jedes einzeln angeſungen, dann kamen die
Mägde, dann die Knechte und ganz zuletzt, wenn der Gratulationszug
vor einem Wirthshauſe hielt, die bekannteren Gäſte, die darin wohnten.
Sie ſangen, als die Reihe an Friedrich kam:
Jetzt wünſchen wir auch dem Herrn Johann Frieder gut's neu's Jahr,
Ein geſundes Jahr,
Ein glücklich's Jahr,
An Fried' und Freud' ein reiches Jahr.
Gott mach' es wahr!
Gott gebe, daß es werde wahr!
Gott gebe, daß es werde wahr! ſprach Friedrich in ſeiner Kammer nach.
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Kurz, Hermann: Der Sonnenwirth. Frankfurt (Main), 1855, S. 115. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/kurz_sonnenwirth_1855/131>, abgerufen am 23.11.2024.
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