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Kurz, Hermann: Der Sonnenwirth. Frankfurt (Main), 1855.

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Inquisitions-Protocollum, betreffend den sogenannten Son¬
nenwirthle, 7. März - 20. Juni 1760. (Geführt von dem
Untersuchungsrichter Oberamtmann Abel in Vaihingen an der
Enz, und aufbewahrt auf der Kanzlei des jetzigen dortigen
Oberamtsgerichts. Dabei befindet sich noch eine eigenhändige,
mit Bleistift gefertigte Aufzeichnung des Inquisiten selbst, Ergän¬
zungen seiner Aussagen enthaltend.)

Wöchentliche Anzeigen von Neuigkeiten, die das ganze Land
betreffen. 1750 - 57. Wöchentliche Nachrichten von allerhand
Sachen, deren Bekanntmachung dem gemeinen Wesen nützlich
und nöthig sind. 1758 - 59. (Amtliche Zeitung für das Her¬
zogthum Wirtemberg, auf der Staatsbibliothek in Stuttgart auf¬
bewahrt, unter Anderem auch die Justizanzeigen u. dgl. enthal¬
tend. Der Jahrgang 1760, der für die Erzählung von Bedeu¬
tung wäre, fehlt.)

Friedrich Schiller's Verbrecher aus verlorener Ehre. (Ge¬
schrieben zu Dresden 1786 und zuerst in der "Thalia" erschienen.
Die Eigenschaft einer "wahren Geschichte", die der Dichter
dieser von ihm wenig beachteten Nebenarbeit beilegte, kommt
ihr in so fern zu, als ihr Inhalt sich möglicher Weise im Leben
ereignet haben könnte; in dem gewöhnlichen Sinne aber, den
man unter dieser Bezeichnung versteht, ist sie gerade nicht wahr,
sondern von Anfang bis beinahe zu Ende Roman, d. h. Erfin¬
dung ohne geschichtliche Grundlage. Zu bemerken ist auch, daß
der durch Schiller's Novelle in der Lesewelt eingebürgerte Titel
"Sonnenwirth" der Geschichte wie dem schwäbischen Sprachge¬
brauche nicht entspricht und vielmehr "Sonnenwirthle", d. h.
der Sohn des Sonnenwirths, heißen sollte. Wie aber ein großer
Dichter, zumal wenn sein Ruhm die amtlichen Kreise erfaßt
hat, nicht nur große Wahrheiten, sondern auch kleine Irrthümer
verbreiten kann, das erhellt aus der "Beschreibung des Ober¬

Inquiſitions-Protocollum, betreffend den ſogenannten Son¬
nenwirthle, 7. März – 20. Juni 1760. (Geführt von dem
Unterſuchungsrichter Oberamtmann Abel in Vaihingen an der
Enz, und aufbewahrt auf der Kanzlei des jetzigen dortigen
Oberamtsgerichts. Dabei befindet ſich noch eine eigenhändige,
mit Bleiſtift gefertigte Aufzeichnung des Inquiſiten ſelbſt, Ergän¬
zungen ſeiner Ausſagen enthaltend.)

Wöchentliche Anzeigen von Neuigkeiten, die das ganze Land
betreffen. 1750 – 57. Wöchentliche Nachrichten von allerhand
Sachen, deren Bekanntmachung dem gemeinen Weſen nützlich
und nöthig ſind. 1758 – 59. (Amtliche Zeitung für das Her¬
zogthum Wirtemberg, auf der Staatsbibliothek in Stuttgart auf¬
bewahrt, unter Anderem auch die Juſtizanzeigen u. dgl. enthal¬
tend. Der Jahrgang 1760, der für die Erzählung von Bedeu¬
tung wäre, fehlt.)

Friedrich Schiller's Verbrecher aus verlorener Ehre. (Ge¬
ſchrieben zu Dresden 1786 und zuerſt in der „Thalia“ erſchienen.
Die Eigenſchaft einer „wahren Geſchichte“, die der Dichter
dieſer von ihm wenig beachteten Nebenarbeit beilegte, kommt
ihr in ſo fern zu, als ihr Inhalt ſich möglicher Weiſe im Leben
ereignet haben könnte; in dem gewöhnlichen Sinne aber, den
man unter dieſer Bezeichnung verſteht, iſt ſie gerade nicht wahr,
ſondern von Anfang bis beinahe zu Ende Roman, d. h. Erfin¬
dung ohne geſchichtliche Grundlage. Zu bemerken iſt auch, daß
der durch Schiller's Novelle in der Leſewelt eingebürgerte Titel
„Sonnenwirth“ der Geſchichte wie dem ſchwäbiſchen Sprachge¬
brauche nicht entſpricht und vielmehr „Sonnenwirthle“, d. h.
der Sohn des Sonnenwirths, heißen ſollte. Wie aber ein großer
Dichter, zumal wenn ſein Ruhm die amtlichen Kreiſe erfaßt
hat, nicht nur große Wahrheiten, ſondern auch kleine Irrthümer
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[—IV—/0012] Inquiſitions-Protocollum, betreffend den ſogenannten Son¬ nenwirthle, 7. März – 20. Juni 1760. (Geführt von dem Unterſuchungsrichter Oberamtmann Abel in Vaihingen an der Enz, und aufbewahrt auf der Kanzlei des jetzigen dortigen Oberamtsgerichts. Dabei befindet ſich noch eine eigenhändige, mit Bleiſtift gefertigte Aufzeichnung des Inquiſiten ſelbſt, Ergän¬ zungen ſeiner Ausſagen enthaltend.) Wöchentliche Anzeigen von Neuigkeiten, die das ganze Land betreffen. 1750 – 57. Wöchentliche Nachrichten von allerhand Sachen, deren Bekanntmachung dem gemeinen Weſen nützlich und nöthig ſind. 1758 – 59. (Amtliche Zeitung für das Her¬ zogthum Wirtemberg, auf der Staatsbibliothek in Stuttgart auf¬ bewahrt, unter Anderem auch die Juſtizanzeigen u. dgl. enthal¬ tend. Der Jahrgang 1760, der für die Erzählung von Bedeu¬ tung wäre, fehlt.) Friedrich Schiller's Verbrecher aus verlorener Ehre. (Ge¬ ſchrieben zu Dresden 1786 und zuerſt in der „Thalia“ erſchienen. Die Eigenſchaft einer „wahren Geſchichte“, die der Dichter dieſer von ihm wenig beachteten Nebenarbeit beilegte, kommt ihr in ſo fern zu, als ihr Inhalt ſich möglicher Weiſe im Leben ereignet haben könnte; in dem gewöhnlichen Sinne aber, den man unter dieſer Bezeichnung verſteht, iſt ſie gerade nicht wahr, ſondern von Anfang bis beinahe zu Ende Roman, d. h. Erfin¬ dung ohne geſchichtliche Grundlage. Zu bemerken iſt auch, daß der durch Schiller's Novelle in der Leſewelt eingebürgerte Titel „Sonnenwirth“ der Geſchichte wie dem ſchwäbiſchen Sprachge¬ brauche nicht entſpricht und vielmehr „Sonnenwirthle“, d. h. der Sohn des Sonnenwirths, heißen ſollte. Wie aber ein großer Dichter, zumal wenn ſein Ruhm die amtlichen Kreiſe erfaßt hat, nicht nur große Wahrheiten, ſondern auch kleine Irrthümer verbreiten kann, das erhellt aus der „Beſchreibung des Ober¬

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Zitationshilfe: Kurz, Hermann: Der Sonnenwirth. Frankfurt (Main), 1855, S. —IV—. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/kurz_sonnenwirth_1855/12>, abgerufen am 18.04.2024.