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Kuhnow, Anna: Gedanken und Erfahrungen über Frauenbildung und Frauenberuf. Leipzig, 1896.

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erhalten, der Stadt vielleicht die Sorge für einige Waisen
und die Versorgung einer Wahnsinnigen abgenommen. -
In mehr als einem Falle ist es mir andererseits schon mög-
lich gewesen, bei Frauen die drohende Gefahr für ein Krebs-
leiden abzuwenden oder die Operation eines schon ent-
standenen frühzeitig genug zu veranlassen, nur deshalb, weil
sich Frauen viel eher dazu entschlossen, sich von mir unter-
suchen zu lassen als von einem männlichen Arzt. So wird
durch die Berufsthätigkeit der Aerztinnen indirect dem
Staat durch Erhaltung mancher, in ihrem Interessenkreise
sehr wichtiger Frauenleben, durch Bewahrung vieler Frauen
und Mütter vor langen Krankheiten und Siechthum, ein
meist grösserer Dienst geleistet, als der eines Mannes sein
würde, dem sie vielleicht sein Brot nehmen oder ein wenig
schmälern;
letzteres kann ich mit Recht aus dem Grunde
sagen, weil viele Arbeit, welche die Aerztin leistet, über-
haupt ausfallen würde, da Frauen die Anliegen, welche sie
der Geschlechtsgenossin anvertrauen, dem männlichen Arzte
niemals vorbringen würden. So z. B. habe ich oft Gelegen-
heit, die Wissbegierde zu bewundern, die Frauen mir gegen-
über in Bezug auf den Bau und die Zustände ihres Körpers
zeigen und muss dann fast jedesmal die Redensart hören:
"Ja, sehen Sie, unseren Hausarzt könnte ich doch solche
Dinge niemals fragen, da würde ich mich doch viel zu sehr
schämen." Ueberhaupt mache ich bei meinen Patientinnen
meistens die Erfahrung, dass ihr Hauptbeweggrund, zu mir
zu kommen, in der Thatsache liegt, dass sie sich vor dem
männlichen Arzt schämen. Und aus diesem Grunde werden
dereinst in Deutschland die Aerztinnen ein mächtiges
Arbeitsfeld haben, wenn nur der Staat erst sein "Ja und
Amen" zu ihnen sagt, dieselben als gleichberechtigt mit den
Aerzten anerkennt, und damit dem Publikum ein grösseres
Vertrauen suggerirt. Dann wird die Aerztin in Kinder-
erziehung, in Armen- und Kranken- und Irrenpflege, in Schul-
und Fabrik-Hygiene ein für das Gemeinwohl noch viel segens-

erhalten, der Stadt vielleicht die Sorge für einige Waisen
und die Versorgung einer Wahnsinnigen abgenommen. –
In mehr als einem Falle ist es mir andererseits schon mög-
lich gewesen, bei Frauen die drohende Gefahr für ein Krebs-
leiden abzuwenden oder die Operation eines schon ent-
standenen frühzeitig genug zu veranlassen, nur deshalb, weil
sich Frauen viel eher dazu entschlossen, sich von mir unter-
suchen zu lassen als von einem männlichen Arzt. So wird
durch die Berufsthätigkeit der Aerztinnen indirect dem
Staat durch Erhaltung mancher, in ihrem Interessenkreise
sehr wichtiger Frauenleben, durch Bewahrung vieler Frauen
und Mütter vor langen Krankheiten und Siechthum, ein
meist grösserer Dienst geleistet, als der eines Mannes sein
würde, dem sie vielleicht sein Brot nehmen oder ein wenig
schmälern;
letzteres kann ich mit Recht aus dem Grunde
sagen, weil viele Arbeit, welche die Aerztin leistet, über-
haupt ausfallen würde, da Frauen die Anliegen, welche sie
der Geschlechtsgenossin anvertrauen, dem männlichen Arzte
niemals vorbringen würden. So z. B. habe ich oft Gelegen-
heit, die Wissbegierde zu bewundern, die Frauen mir gegen-
über in Bezug auf den Bau und die Zustände ihres Körpers
zeigen und muss dann fast jedesmal die Redensart hören:
„Ja, sehen Sie, unseren Hausarzt könnte ich doch solche
Dinge niemals fragen, da würde ich mich doch viel zu sehr
schämen.“ Ueberhaupt mache ich bei meinen Patientinnen
meistens die Erfahrung, dass ihr Hauptbeweggrund, zu mir
zu kommen, in der Thatsache liegt, dass sie sich vor dem
männlichen Arzt schämen. Und aus diesem Grunde werden
dereinst in Deutschland die Aerztinnen ein mächtiges
Arbeitsfeld haben, wenn nur der Staat erst sein „Ja und
Amen“ zu ihnen sagt, dieselben als gleichberechtigt mit den
Aerzten anerkennt, und damit dem Publikum ein grösseres
Vertrauen suggerirt. Dann wird die Aerztin in Kinder-
erziehung, in Armen- und Kranken- und Irrenpflege, in Schul-
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[21/0022] erhalten, der Stadt vielleicht die Sorge für einige Waisen und die Versorgung einer Wahnsinnigen abgenommen. – In mehr als einem Falle ist es mir andererseits schon mög- lich gewesen, bei Frauen die drohende Gefahr für ein Krebs- leiden abzuwenden oder die Operation eines schon ent- standenen frühzeitig genug zu veranlassen, nur deshalb, weil sich Frauen viel eher dazu entschlossen, sich von mir unter- suchen zu lassen als von einem männlichen Arzt. So wird durch die Berufsthätigkeit der Aerztinnen indirect dem Staat durch Erhaltung mancher, in ihrem Interessenkreise sehr wichtiger Frauenleben, durch Bewahrung vieler Frauen und Mütter vor langen Krankheiten und Siechthum, ein meist grösserer Dienst geleistet, als der eines Mannes sein würde, dem sie vielleicht sein Brot nehmen oder ein wenig schmälern; letzteres kann ich mit Recht aus dem Grunde sagen, weil viele Arbeit, welche die Aerztin leistet, über- haupt ausfallen würde, da Frauen die Anliegen, welche sie der Geschlechtsgenossin anvertrauen, dem männlichen Arzte niemals vorbringen würden. So z. B. habe ich oft Gelegen- heit, die Wissbegierde zu bewundern, die Frauen mir gegen- über in Bezug auf den Bau und die Zustände ihres Körpers zeigen und muss dann fast jedesmal die Redensart hören: „Ja, sehen Sie, unseren Hausarzt könnte ich doch solche Dinge niemals fragen, da würde ich mich doch viel zu sehr schämen.“ Ueberhaupt mache ich bei meinen Patientinnen meistens die Erfahrung, dass ihr Hauptbeweggrund, zu mir zu kommen, in der Thatsache liegt, dass sie sich vor dem männlichen Arzt schämen. Und aus diesem Grunde werden dereinst in Deutschland die Aerztinnen ein mächtiges Arbeitsfeld haben, wenn nur der Staat erst sein „Ja und Amen“ zu ihnen sagt, dieselben als gleichberechtigt mit den Aerzten anerkennt, und damit dem Publikum ein grösseres Vertrauen suggerirt. Dann wird die Aerztin in Kinder- erziehung, in Armen- und Kranken- und Irrenpflege, in Schul- und Fabrik-Hygiene ein für das Gemeinwohl noch viel segens-

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Zitationshilfe: Kuhnow, Anna: Gedanken und Erfahrungen über Frauenbildung und Frauenberuf. Leipzig, 1896, S. 21. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/kuhnow_gedanken_1896/22>, abgerufen am 24.11.2024.