Kürnberger, Ferdinand: Der Drache. In: Deutscher Novellenschatz. Hrsg. von Paul Heyse und Hermann Kurz. Bd. 11. 2. Aufl. Berlin, [1910], S. [263]–310. In: Weitin, Thomas (Hrsg.): Volldigitalisiertes Korpus. Der Deutsche Novellenschatz. Darmstadt/Konstanz, 2016.allem Andern. Dabei fragte er sich um ein weiteres Wie? Zwei Dinge beschwerten das Gemüth dieses Opfers: der Drachenverruf, und -- das war ersichtlich -- ein noch immer unbesiegter Gram um die verkürzte Erbschaft. Wird ersterer mit Hülfe der weltlichen Obrigkeit, wie er versprochen, niederzuschlagen sein? Schwerlich. Wird dieser mit Hülfe des geistlichen Zuspruchs sich in Zufriedenheit und Genügsamkeit wandeln? Kaum. Der Kranke war betrogen worden, und die Ideen der Gerechtigkeit leben zu stark im Menschen, als daß eine unerfüllte Gerechtigkeit nicht ewig nachschmerzen sollte. Hier also lag die Wurzel des Uebels, und hier -- konnte auf Einen Hieb der Knoten durchhauen werden. Dieser Gedankenfaden spann sich rasch ab in dem Geiste des Doctors. Ohne ein Wort zu sprechen, zog er seine Brieftasche und blätterte, wie suchend, deren Fächer auf und ab. Raithmeyer mochte zum Schlusse seiner Erzählung eine dankbare Antwort, oder irgend ein effectvolles Kraftwort erwarten; es verstimmte ihn, daß Beides ausblieb. Mit schweigender Unlust sah er dem schweigenden Herumkramen des Doctors zu, endlich sagte er spitz: Sie haben wohl da ein Recept schon bei sich. -- Der Doctor heuchelte sein Vertieftsein in das Portefeuille fort und antwortete wie halb im Traume: Ich suche einen Brief -- leider! er muß zu Hause sein; -- es kommt eine Stelle darin vor, -- die geht wohl Sie an nach Allem was ich jetzt höre. Dann klappte er die Brieftasche ruhig ins Schloß und sagte aufstehend: Ja, ich muß mir den Brief vom Hause holen. Der sächsische Consul in Rio Janeiro ist mein Schulfreund, wir correspondiren noch. Diesen Winter schrieb er unter andern: das Neueste aus meiner Nähe sind zwei große Unglücksfälle, ein Erdbeben und ein Schiffbruch. Im Erdbeben ging ein Magazin mit Indigo unter, -- allem Andern. Dabei fragte er sich um ein weiteres Wie? Zwei Dinge beschwerten das Gemüth dieses Opfers: der Drachenverruf, und — das war ersichtlich — ein noch immer unbesiegter Gram um die verkürzte Erbschaft. Wird ersterer mit Hülfe der weltlichen Obrigkeit, wie er versprochen, niederzuschlagen sein? Schwerlich. Wird dieser mit Hülfe des geistlichen Zuspruchs sich in Zufriedenheit und Genügsamkeit wandeln? Kaum. Der Kranke war betrogen worden, und die Ideen der Gerechtigkeit leben zu stark im Menschen, als daß eine unerfüllte Gerechtigkeit nicht ewig nachschmerzen sollte. Hier also lag die Wurzel des Uebels, und hier — konnte auf Einen Hieb der Knoten durchhauen werden. Dieser Gedankenfaden spann sich rasch ab in dem Geiste des Doctors. Ohne ein Wort zu sprechen, zog er seine Brieftasche und blätterte, wie suchend, deren Fächer auf und ab. Raithmeyer mochte zum Schlusse seiner Erzählung eine dankbare Antwort, oder irgend ein effectvolles Kraftwort erwarten; es verstimmte ihn, daß Beides ausblieb. Mit schweigender Unlust sah er dem schweigenden Herumkramen des Doctors zu, endlich sagte er spitz: Sie haben wohl da ein Recept schon bei sich. — Der Doctor heuchelte sein Vertieftsein in das Portefeuille fort und antwortete wie halb im Traume: Ich suche einen Brief — leider! er muß zu Hause sein; — es kommt eine Stelle darin vor, — die geht wohl Sie an nach Allem was ich jetzt höre. Dann klappte er die Brieftasche ruhig ins Schloß und sagte aufstehend: Ja, ich muß mir den Brief vom Hause holen. Der sächsische Consul in Rio Janeiro ist mein Schulfreund, wir correspondiren noch. Diesen Winter schrieb er unter andern: das Neueste aus meiner Nähe sind zwei große Unglücksfälle, ein Erdbeben und ein Schiffbruch. Im Erdbeben ging ein Magazin mit Indigo unter, — <TEI> <text> <body> <div type="chapter" n="3"> <p><pb facs="#f0044"/> allem Andern. Dabei fragte er sich um ein weiteres Wie? Zwei Dinge beschwerten das Gemüth dieses Opfers: der Drachenverruf, und — das war ersichtlich — ein noch immer unbesiegter Gram um die verkürzte Erbschaft. Wird ersterer mit Hülfe der weltlichen Obrigkeit, wie er versprochen, niederzuschlagen sein? Schwerlich. Wird dieser mit Hülfe des geistlichen Zuspruchs sich in Zufriedenheit und Genügsamkeit wandeln? Kaum. Der Kranke war betrogen worden, und die Ideen der Gerechtigkeit leben zu stark im Menschen, als daß eine unerfüllte Gerechtigkeit nicht ewig nachschmerzen sollte. Hier also lag die Wurzel des Uebels, und hier — konnte auf Einen Hieb der Knoten durchhauen werden.</p><lb/> <p>Dieser Gedankenfaden spann sich rasch ab in dem Geiste des Doctors. Ohne ein Wort zu sprechen, zog er seine Brieftasche und blätterte, wie suchend, deren Fächer auf und ab. Raithmeyer mochte zum Schlusse seiner Erzählung eine dankbare Antwort, oder irgend ein effectvolles Kraftwort erwarten; es verstimmte ihn, daß Beides ausblieb. Mit schweigender Unlust sah er dem schweigenden Herumkramen des Doctors zu, endlich sagte er spitz: Sie haben wohl da ein Recept schon bei sich. — Der Doctor heuchelte sein Vertieftsein in das Portefeuille fort und antwortete wie halb im Traume: Ich suche einen Brief — leider! er muß zu Hause sein; — es kommt eine Stelle darin vor, — die geht wohl Sie an nach Allem was ich jetzt höre. Dann klappte er die Brieftasche ruhig ins Schloß und sagte aufstehend: Ja, ich muß mir den Brief vom Hause holen. Der sächsische Consul in Rio Janeiro ist mein Schulfreund, wir correspondiren noch. Diesen Winter schrieb er unter andern: das Neueste aus meiner Nähe sind zwei große Unglücksfälle, ein Erdbeben und ein Schiffbruch. Im Erdbeben ging ein Magazin mit Indigo unter, —<lb/></p> </div> </body> </text> </TEI> [0044]
allem Andern. Dabei fragte er sich um ein weiteres Wie? Zwei Dinge beschwerten das Gemüth dieses Opfers: der Drachenverruf, und — das war ersichtlich — ein noch immer unbesiegter Gram um die verkürzte Erbschaft. Wird ersterer mit Hülfe der weltlichen Obrigkeit, wie er versprochen, niederzuschlagen sein? Schwerlich. Wird dieser mit Hülfe des geistlichen Zuspruchs sich in Zufriedenheit und Genügsamkeit wandeln? Kaum. Der Kranke war betrogen worden, und die Ideen der Gerechtigkeit leben zu stark im Menschen, als daß eine unerfüllte Gerechtigkeit nicht ewig nachschmerzen sollte. Hier also lag die Wurzel des Uebels, und hier — konnte auf Einen Hieb der Knoten durchhauen werden.
Dieser Gedankenfaden spann sich rasch ab in dem Geiste des Doctors. Ohne ein Wort zu sprechen, zog er seine Brieftasche und blätterte, wie suchend, deren Fächer auf und ab. Raithmeyer mochte zum Schlusse seiner Erzählung eine dankbare Antwort, oder irgend ein effectvolles Kraftwort erwarten; es verstimmte ihn, daß Beides ausblieb. Mit schweigender Unlust sah er dem schweigenden Herumkramen des Doctors zu, endlich sagte er spitz: Sie haben wohl da ein Recept schon bei sich. — Der Doctor heuchelte sein Vertieftsein in das Portefeuille fort und antwortete wie halb im Traume: Ich suche einen Brief — leider! er muß zu Hause sein; — es kommt eine Stelle darin vor, — die geht wohl Sie an nach Allem was ich jetzt höre. Dann klappte er die Brieftasche ruhig ins Schloß und sagte aufstehend: Ja, ich muß mir den Brief vom Hause holen. Der sächsische Consul in Rio Janeiro ist mein Schulfreund, wir correspondiren noch. Diesen Winter schrieb er unter andern: das Neueste aus meiner Nähe sind zwei große Unglücksfälle, ein Erdbeben und ein Schiffbruch. Im Erdbeben ging ein Magazin mit Indigo unter, —
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Zitationshilfe: | Kürnberger, Ferdinand: Der Drache. In: Deutscher Novellenschatz. Hrsg. von Paul Heyse und Hermann Kurz. Bd. 11. 2. Aufl. Berlin, [1910], S. [263]–310. In: Weitin, Thomas (Hrsg.): Volldigitalisiertes Korpus. Der Deutsche Novellenschatz. Darmstadt/Konstanz, 2016, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/kuernberger_drache_1910/44>, abgerufen am 16.02.2025. |