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Kürnberger, Ferdinand: Der Drache. In: Deutscher Novellenschatz. Hrsg. von Paul Heyse und Hermann Kurz. Bd. 11. 2. Aufl. Berlin, [1910], S. [263]–310. In: Weitin, Thomas (Hrsg.): Volldigitalisiertes Korpus. Der Deutsche Novellenschatz. Darmstadt/Konstanz, 2016.

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jammerte ganz in Verzweiflung: Das arme Lenchen! Der höllische Racker! welch ein Unglück! Gott, Gott, welch ein Unglück! -- Der Doctor sah dem Treiben mit starrer Verwunderung zu, und nur der gefaßteren Frau gelang es mit vieler Mühe und Geduld, den tollen Gast endlich zu einer Erklärung zu bringen.

Rudolf erzählte: Er hatte mit Lenchen Bohnen von einer Spalierwand eingelesen; da war das Bänkchen, worauf sie gestanden und nach einer höheren Ranke sich ausgestreckt hatte, plötzlich umgekippt, und im Fallen war ihr ein alter verrosteter Nagel in den Ballen der rechten Hand gegangen. Er sog den Rost und das Blut aus der Wunde; letzteres zu stillen, lief er in die Stube, um ein Döschen zu holen, das sie bezeichnete und worin Feuerschwamm sein sollte. Er fand auf dem hohen Wandgesimse unter Gläsern, Phiolen, Büchsen und anderm bestäubtem Gerümpel das Döschen, das sie meinte; aber wie er es offen machte -- o Graus und Entsetzen! -- da war es die Dose mit dem Schwamme nicht, das leibhaftige Matzchen lag darin. Ein kleines winziges Vögelchen war's, wie eine Brummelfliege ungefähr, und zum Schrecken aller Schrecken war's todt. Wer das Matzchen hat, sei's nun als Katze, als Eidechse oder als Vogel, der muß es füttern in seiner Art, und verhungert es durch Versehen -- dann wird's fürchterlich! Unaufhaltsam stirbt der Mensch dem Matzchen entweder nach, oder Feuer und Flammen kommen und fressen sein ganzes Haus gählings vom Erdboden weg. Bei dieser Entdeckung wollte er nichts mehr wissen von Allem, was Raithmeyer heißt. Mit einem Vaterunser auf den zähneklappernden Lippen wäre er in seine Kammer gestürzt, hätte sich die Hauskleider vom Leibe gerissen, sich in die Sonntagsordnung geworfen und Geld zu sich gesteckt. Hinaus gegen Pirna lief er sodann. Aber auf dem lichtfahlen Sommerhimmel sei plötzlich ein

jammerte ganz in Verzweiflung: Das arme Lenchen! Der höllische Racker! welch ein Unglück! Gott, Gott, welch ein Unglück! — Der Doctor sah dem Treiben mit starrer Verwunderung zu, und nur der gefaßteren Frau gelang es mit vieler Mühe und Geduld, den tollen Gast endlich zu einer Erklärung zu bringen.

Rudolf erzählte: Er hatte mit Lenchen Bohnen von einer Spalierwand eingelesen; da war das Bänkchen, worauf sie gestanden und nach einer höheren Ranke sich ausgestreckt hatte, plötzlich umgekippt, und im Fallen war ihr ein alter verrosteter Nagel in den Ballen der rechten Hand gegangen. Er sog den Rost und das Blut aus der Wunde; letzteres zu stillen, lief er in die Stube, um ein Döschen zu holen, das sie bezeichnete und worin Feuerschwamm sein sollte. Er fand auf dem hohen Wandgesimse unter Gläsern, Phiolen, Büchsen und anderm bestäubtem Gerümpel das Döschen, das sie meinte; aber wie er es offen machte — o Graus und Entsetzen! — da war es die Dose mit dem Schwamme nicht, das leibhaftige Matzchen lag darin. Ein kleines winziges Vögelchen war's, wie eine Brummelfliege ungefähr, und zum Schrecken aller Schrecken war's todt. Wer das Matzchen hat, sei's nun als Katze, als Eidechse oder als Vogel, der muß es füttern in seiner Art, und verhungert es durch Versehen — dann wird's fürchterlich! Unaufhaltsam stirbt der Mensch dem Matzchen entweder nach, oder Feuer und Flammen kommen und fressen sein ganzes Haus gählings vom Erdboden weg. Bei dieser Entdeckung wollte er nichts mehr wissen von Allem, was Raithmeyer heißt. Mit einem Vaterunser auf den zähneklappernden Lippen wäre er in seine Kammer gestürzt, hätte sich die Hauskleider vom Leibe gerissen, sich in die Sonntagsordnung geworfen und Geld zu sich gesteckt. Hinaus gegen Pirna lief er sodann. Aber auf dem lichtfahlen Sommerhimmel sei plötzlich ein

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[0031] jammerte ganz in Verzweiflung: Das arme Lenchen! Der höllische Racker! welch ein Unglück! Gott, Gott, welch ein Unglück! — Der Doctor sah dem Treiben mit starrer Verwunderung zu, und nur der gefaßteren Frau gelang es mit vieler Mühe und Geduld, den tollen Gast endlich zu einer Erklärung zu bringen. Rudolf erzählte: Er hatte mit Lenchen Bohnen von einer Spalierwand eingelesen; da war das Bänkchen, worauf sie gestanden und nach einer höheren Ranke sich ausgestreckt hatte, plötzlich umgekippt, und im Fallen war ihr ein alter verrosteter Nagel in den Ballen der rechten Hand gegangen. Er sog den Rost und das Blut aus der Wunde; letzteres zu stillen, lief er in die Stube, um ein Döschen zu holen, das sie bezeichnete und worin Feuerschwamm sein sollte. Er fand auf dem hohen Wandgesimse unter Gläsern, Phiolen, Büchsen und anderm bestäubtem Gerümpel das Döschen, das sie meinte; aber wie er es offen machte — o Graus und Entsetzen! — da war es die Dose mit dem Schwamme nicht, das leibhaftige Matzchen lag darin. Ein kleines winziges Vögelchen war's, wie eine Brummelfliege ungefähr, und zum Schrecken aller Schrecken war's todt. Wer das Matzchen hat, sei's nun als Katze, als Eidechse oder als Vogel, der muß es füttern in seiner Art, und verhungert es durch Versehen — dann wird's fürchterlich! Unaufhaltsam stirbt der Mensch dem Matzchen entweder nach, oder Feuer und Flammen kommen und fressen sein ganzes Haus gählings vom Erdboden weg. Bei dieser Entdeckung wollte er nichts mehr wissen von Allem, was Raithmeyer heißt. Mit einem Vaterunser auf den zähneklappernden Lippen wäre er in seine Kammer gestürzt, hätte sich die Hauskleider vom Leibe gerissen, sich in die Sonntagsordnung geworfen und Geld zu sich gesteckt. Hinaus gegen Pirna lief er sodann. Aber auf dem lichtfahlen Sommerhimmel sei plötzlich ein

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Thomas Weitin: Herausgeber
Digital Humanities Cooperation Konstanz/Darmstadt: Bereitstellung der Texttranskription. (2017-03-15T13:57:16Z) Bitte beachten Sie, dass die aktuelle Transkription (und Textauszeichnung) mittlerweile nicht mehr dem Stand zum Zeitpunkt der Übernahme des Werkes in das DTA entsprechen muss.
Jan Merkt, Thomas Gilli, Jasmin Bieber, Katharina Herget, Anni Peter, Christian Thomas, Benjamin Fiechter: Bearbeitung der digitalen Edition. (2017-03-15T13:57:16Z)

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Zitationshilfe: Kürnberger, Ferdinand: Der Drache. In: Deutscher Novellenschatz. Hrsg. von Paul Heyse und Hermann Kurz. Bd. 11. 2. Aufl. Berlin, [1910], S. [263]–310. In: Weitin, Thomas (Hrsg.): Volldigitalisiertes Korpus. Der Deutsche Novellenschatz. Darmstadt/Konstanz, 2016, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/kuernberger_drache_1910/31>, abgerufen am 24.11.2024.