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Kürnberger, Ferdinand: Der Drache. In: Deutscher Novellenschatz. Hrsg. von Paul Heyse und Hermann Kurz. Bd. 11. 2. Aufl. Berlin, [1910], S. [263]–310. In: Weitin, Thomas (Hrsg.): Volldigitalisiertes Korpus. Der Deutsche Novellenschatz. Darmstadt/Konstanz, 2016.

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rückwärts ist die Vergangenheit. Nun freilich ist's dem Menschen segensreicher, er schaut mehr in die Zukunft; da hofft er, da wünscht er, da hat er seine Kinder und Enkel -- das spornt zur Arbeit. Aber was hilft es, viel übers Vergangene brüten? damit sind wir fast immer unzufrieden. Wir erinnern uns, wie Manches uns fehlgeschlagen, wie oft wir ausgesäet ohne zu ernten, wie hoch wir hinauswollten und wie niedrig wir angekommen, wir gedenken der Todten in ihren Gräbern und wie sie unter Träumen des Glücks ein Leben voll Entsagungen durchgekämpft; diese Betrachtung frißt uns den Muth weg. Sie macht Kopfhänger, melancholische Menschen, Leute, die sich selbst aufgeben, und wahrlich! die sind des Teufels im Umsehen, wie Ihr sagt. Diesen Sinn leg' ich dem Worte bei. Meint Ihr es nicht so?

Es trifft zu, bejahte der Dorfbauer.

Das freut mich, erwiderte der Doctor. Aber was sagtet Ihr da vom Matzchen? Wenn Einer das Matzchen will -- war's nicht so? Ich weiß nicht, wie Ihr das versteht. Was ist das Matzchen, und wozu soll man's wollen?

Der Gefragte rückte seine baumwollene Zipfelmütze hin und her, es schien ihm nichts Kleines, einen uralten Volksglauben ganz neu in Worten zu überliefern und noch dazu einem feinen gebildeten Stadtmenschen. Sein nächstes Auskunftsmittel war, daß er an der Oellampe im Kalf die Pfeife anzündete; darauf that er ein paar heftige Züge daran und sprach mit der Zuversicht einer geschichtlichen Unterweisung:

Krankheiten nehmen ab und zu, alte verschwinden, neue kommen; man kann das in Büchern lesen und gedenkt es selber. Z. B. die Cholera ist so ein neues Uebel. Ein älteres Uebel war zu meiner Zeit der Drache. Er hat den Drachen, konnte man dazumal alle Amen lang hören; voraus die Müller standen in

rückwärts ist die Vergangenheit. Nun freilich ist's dem Menschen segensreicher, er schaut mehr in die Zukunft; da hofft er, da wünscht er, da hat er seine Kinder und Enkel — das spornt zur Arbeit. Aber was hilft es, viel übers Vergangene brüten? damit sind wir fast immer unzufrieden. Wir erinnern uns, wie Manches uns fehlgeschlagen, wie oft wir ausgesäet ohne zu ernten, wie hoch wir hinauswollten und wie niedrig wir angekommen, wir gedenken der Todten in ihren Gräbern und wie sie unter Träumen des Glücks ein Leben voll Entsagungen durchgekämpft; diese Betrachtung frißt uns den Muth weg. Sie macht Kopfhänger, melancholische Menschen, Leute, die sich selbst aufgeben, und wahrlich! die sind des Teufels im Umsehen, wie Ihr sagt. Diesen Sinn leg' ich dem Worte bei. Meint Ihr es nicht so?

Es trifft zu, bejahte der Dorfbauer.

Das freut mich, erwiderte der Doctor. Aber was sagtet Ihr da vom Matzchen? Wenn Einer das Matzchen will — war's nicht so? Ich weiß nicht, wie Ihr das versteht. Was ist das Matzchen, und wozu soll man's wollen?

Der Gefragte rückte seine baumwollene Zipfelmütze hin und her, es schien ihm nichts Kleines, einen uralten Volksglauben ganz neu in Worten zu überliefern und noch dazu einem feinen gebildeten Stadtmenschen. Sein nächstes Auskunftsmittel war, daß er an der Oellampe im Kalf die Pfeife anzündete; darauf that er ein paar heftige Züge daran und sprach mit der Zuversicht einer geschichtlichen Unterweisung:

Krankheiten nehmen ab und zu, alte verschwinden, neue kommen; man kann das in Büchern lesen und gedenkt es selber. Z. B. die Cholera ist so ein neues Uebel. Ein älteres Uebel war zu meiner Zeit der Drache. Er hat den Drachen, konnte man dazumal alle Amen lang hören; voraus die Müller standen in

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Thomas Weitin: Herausgeber
Digital Humanities Cooperation Konstanz/Darmstadt: Bereitstellung der Texttranskription. (2017-03-15T13:57:16Z) Bitte beachten Sie, dass die aktuelle Transkription (und Textauszeichnung) mittlerweile nicht mehr dem Stand zum Zeitpunkt der Übernahme des Werkes in das DTA entsprechen muss.
Jan Merkt, Thomas Gilli, Jasmin Bieber, Katharina Herget, Anni Peter, Christian Thomas, Benjamin Fiechter: Bearbeitung der digitalen Edition. (2017-03-15T13:57:16Z)

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Zitationshilfe: Kürnberger, Ferdinand: Der Drache. In: Deutscher Novellenschatz. Hrsg. von Paul Heyse und Hermann Kurz. Bd. 11. 2. Aufl. Berlin, [1910], S. [263]–310. In: Weitin, Thomas (Hrsg.): Volldigitalisiertes Korpus. Der Deutsche Novellenschatz. Darmstadt/Konstanz, 2016, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/kuernberger_drache_1910/10>, abgerufen am 28.03.2024.