dieser filtrirten Sonnenbeleuchtung nun überkamen die Gebildeten der vorigen Generation Amerika's Bild. Wenn wir heute jene Schilde¬ rungen lesen, so thun wir es mit dem Hintergedanken ihrer Tendenz, wir betrachten und verstehen sie als Kunstwerke der oppositionellen Beredsamkeit. Bedenken wir aber, daß man allen Farben und allen Farben-Nüancen dieser lockenden Bilder damals volle objective Wahr¬ heit zugestand, daß man sie buchstäblich nahm und gläubig beschwor, so wird uns eine Vorstellung davon entstehen, daß ein gebildeter Aus¬ wanderer, der aus dieser Literatur sich enthusiasmirt hat, sie dem Hum¬ bug gegenüber nun selbst als Humbug empfand. In der That er¬ kannte Moorfeld seine europäische Lectüre über Amerika jetzt blos als Unterhaltungs-Lectüre und sah die Nothwendigkeit ein, die Be¬ lehrungs-Lectüre von vorn anzufangen. Er stellte sich also die Auf¬ gabe, das Land aus den besten Landesquellen selbst zu studiren.
Ueber das Project seiner Ansiedlung beschloß er sodann auf dem Ländermarkt zu Newyork überhaupt gar nichts zu unternehmen. Zog er aus dem so eben Erlebten die Summe, so gab ihm sein eigenes Schlußvermögen zunächst folgende zwei Rathschläge an die Hand: Er¬ stens, nur an Ort und Stelle zu kaufen; zweitens, um die Zeit der Ernte zu kaufen, da der Acker gewissermaßen für oder gegen sich selbst zeugt und der Ertrag des Jahres so allgemeines Landgespräch ist, daß der Fremde unmöglich mit einer übereinstimmenden Fiction umsponnen werden kann.
Wir wissen nicht, ob wir es an diesem Orte ausdrücklich ent¬ schuldigen müssen, daß ein Romanheld mit leidlichem Menschenverstand zu Werke geht. Wer nach dieser Probe die prosaische Perspective sei¬ nes künftigen Verhaltens fürchtet, dem geben wir zu bedenken, daß der Verstand, selbst im besten Falle, höchstens die gesetzgebende Gewalt ist, Gemüth und Stimmung aber die ausführende. Wie groß unsre Fähigkeit, uns zu behaupten, sein mag, unsre Fähigkeit, zu Grunde zu gehen, ist immer noch größer.
Bis zum Anfange der Ernte in Ohio, dem Lande seines Ansied¬ lungsprojectes, hatte Moorfeld noch einige Wochen zu versäumen. Er konnte inzwischen jene literarischen Ergänzungsstudien machen, die er zuvor als nothwendig erkannt, und überhaupt den gelehrten Theil seines Haushalts, den er in der Isolirung des Hinterwalds nicht be¬
dieſer filtrirten Sonnenbeleuchtung nun überkamen die Gebildeten der vorigen Generation Amerika's Bild. Wenn wir heute jene Schilde¬ rungen leſen, ſo thun wir es mit dem Hintergedanken ihrer Tendenz, wir betrachten und verſtehen ſie als Kunſtwerke der oppoſitionellen Beredſamkeit. Bedenken wir aber, daß man allen Farben und allen Farben-Nüancen dieſer lockenden Bilder damals volle objective Wahr¬ heit zugeſtand, daß man ſie buchſtäblich nahm und gläubig beſchwor, ſo wird uns eine Vorſtellung davon entſtehen, daß ein gebildeter Aus¬ wanderer, der aus dieſer Literatur ſich enthuſiasmirt hat, ſie dem Hum¬ bug gegenüber nun ſelbſt als Humbug empfand. In der That er¬ kannte Moorfeld ſeine europäiſche Lectüre über Amerika jetzt blos als Unterhaltungs-Lectüre und ſah die Nothwendigkeit ein, die Be¬ lehrungs-Lectüre von vorn anzufangen. Er ſtellte ſich alſo die Auf¬ gabe, das Land aus den beſten Landesquellen ſelbſt zu ſtudiren.
Ueber das Project ſeiner Anſiedlung beſchloß er ſodann auf dem Ländermarkt zu Newyork überhaupt gar nichts zu unternehmen. Zog er aus dem ſo eben Erlebten die Summe, ſo gab ihm ſein eigenes Schlußvermögen zunächſt folgende zwei Rathſchläge an die Hand: Er¬ ſtens, nur an Ort und Stelle zu kaufen; zweitens, um die Zeit der Ernte zu kaufen, da der Acker gewiſſermaßen für oder gegen ſich ſelbſt zeugt und der Ertrag des Jahres ſo allgemeines Landgeſpräch iſt, daß der Fremde unmöglich mit einer übereinſtimmenden Fiction umſponnen werden kann.
Wir wiſſen nicht, ob wir es an dieſem Orte ausdrücklich ent¬ ſchuldigen müſſen, daß ein Romanheld mit leidlichem Menſchenverſtand zu Werke geht. Wer nach dieſer Probe die proſaiſche Perſpective ſei¬ nes künftigen Verhaltens fürchtet, dem geben wir zu bedenken, daß der Verſtand, ſelbſt im beſten Falle, höchſtens die geſetzgebende Gewalt iſt, Gemüth und Stimmung aber die ausführende. Wie groß unſre Fähigkeit, uns zu behaupten, ſein mag, unſre Fähigkeit, zu Grunde zu gehen, iſt immer noch größer.
Bis zum Anfange der Ernte in Ohio, dem Lande ſeines Anſied¬ lungsprojectes, hatte Moorfeld noch einige Wochen zu verſäumen. Er konnte inzwiſchen jene literariſchen Ergänzungsſtudien machen, die er zuvor als nothwendig erkannt, und überhaupt den gelehrten Theil ſeines Haushalts, den er in der Iſolirung des Hinterwalds nicht be¬
<TEI><text><body><divn="1"><divn="2"><p><pbfacs="#f0086"n="68"/>
dieſer filtrirten Sonnenbeleuchtung nun überkamen die Gebildeten der<lb/>
vorigen Generation Amerika's Bild. Wenn wir heute jene Schilde¬<lb/>
rungen leſen, ſo thun wir es mit dem Hintergedanken ihrer Tendenz,<lb/>
wir betrachten und verſtehen ſie als Kunſtwerke der oppoſitionellen<lb/>
Beredſamkeit. Bedenken wir aber, daß man allen Farben und allen<lb/>
Farben-Nüancen dieſer lockenden Bilder damals volle objective Wahr¬<lb/>
heit zugeſtand, daß man ſie buchſtäblich nahm und gläubig beſchwor,<lb/>ſo wird uns eine Vorſtellung davon entſtehen, daß ein gebildeter Aus¬<lb/>
wanderer, der aus dieſer Literatur ſich enthuſiasmirt hat, ſie dem Hum¬<lb/>
bug gegenüber nun ſelbſt als Humbug empfand. In der That er¬<lb/>
kannte Moorfeld ſeine europäiſche Lectüre über Amerika jetzt blos als<lb/><hirendition="#g">Unterhaltungs</hi>-Lectüre und ſah die Nothwendigkeit ein, die Be¬<lb/>
lehrungs-Lectüre von vorn anzufangen. Er ſtellte ſich alſo die Auf¬<lb/>
gabe, das Land aus den beſten Landesquellen ſelbſt zu ſtudiren.</p><lb/><p>Ueber das Project ſeiner Anſiedlung beſchloß er ſodann auf dem<lb/>
Ländermarkt zu Newyork überhaupt gar nichts zu unternehmen. Zog<lb/>
er aus dem ſo eben Erlebten die Summe, ſo gab ihm ſein eigenes<lb/>
Schlußvermögen zunächſt folgende zwei Rathſchläge an die Hand: Er¬<lb/>ſtens, nur an Ort und Stelle zu kaufen; zweitens, um die Zeit der<lb/>
Ernte zu kaufen, da der Acker gewiſſermaßen für oder gegen ſich ſelbſt<lb/>
zeugt und der Ertrag des Jahres ſo allgemeines Landgeſpräch iſt, daß<lb/>
der Fremde unmöglich mit einer übereinſtimmenden Fiction umſponnen<lb/>
werden kann.</p><lb/><p>Wir wiſſen nicht, ob wir es an dieſem Orte ausdrücklich ent¬<lb/>ſchuldigen müſſen, daß ein Romanheld mit leidlichem Menſchenverſtand<lb/>
zu Werke geht. Wer nach dieſer Probe die proſaiſche Perſpective ſei¬<lb/>
nes künftigen Verhaltens fürchtet, dem geben wir zu bedenken, daß der<lb/>
Verſtand, ſelbſt im beſten Falle, höchſtens die geſetzgebende Gewalt<lb/>
iſt, Gemüth und Stimmung aber die ausführende. Wie groß unſre<lb/>
Fähigkeit, uns zu behaupten, ſein mag, unſre Fähigkeit, zu Grunde<lb/>
zu gehen, iſt immer noch größer.</p><lb/><p>Bis zum Anfange der Ernte in Ohio, dem Lande ſeines Anſied¬<lb/>
lungsprojectes, hatte Moorfeld noch einige Wochen zu verſäumen. Er<lb/>
konnte inzwiſchen jene literariſchen Ergänzungsſtudien machen, die er<lb/>
zuvor als nothwendig erkannt, und überhaupt den gelehrten Theil<lb/>ſeines Haushalts, den er in der Iſolirung des Hinterwalds nicht be¬<lb/></p></div></div></body></text></TEI>
[68/0086]
dieſer filtrirten Sonnenbeleuchtung nun überkamen die Gebildeten der
vorigen Generation Amerika's Bild. Wenn wir heute jene Schilde¬
rungen leſen, ſo thun wir es mit dem Hintergedanken ihrer Tendenz,
wir betrachten und verſtehen ſie als Kunſtwerke der oppoſitionellen
Beredſamkeit. Bedenken wir aber, daß man allen Farben und allen
Farben-Nüancen dieſer lockenden Bilder damals volle objective Wahr¬
heit zugeſtand, daß man ſie buchſtäblich nahm und gläubig beſchwor,
ſo wird uns eine Vorſtellung davon entſtehen, daß ein gebildeter Aus¬
wanderer, der aus dieſer Literatur ſich enthuſiasmirt hat, ſie dem Hum¬
bug gegenüber nun ſelbſt als Humbug empfand. In der That er¬
kannte Moorfeld ſeine europäiſche Lectüre über Amerika jetzt blos als
Unterhaltungs-Lectüre und ſah die Nothwendigkeit ein, die Be¬
lehrungs-Lectüre von vorn anzufangen. Er ſtellte ſich alſo die Auf¬
gabe, das Land aus den beſten Landesquellen ſelbſt zu ſtudiren.
Ueber das Project ſeiner Anſiedlung beſchloß er ſodann auf dem
Ländermarkt zu Newyork überhaupt gar nichts zu unternehmen. Zog
er aus dem ſo eben Erlebten die Summe, ſo gab ihm ſein eigenes
Schlußvermögen zunächſt folgende zwei Rathſchläge an die Hand: Er¬
ſtens, nur an Ort und Stelle zu kaufen; zweitens, um die Zeit der
Ernte zu kaufen, da der Acker gewiſſermaßen für oder gegen ſich ſelbſt
zeugt und der Ertrag des Jahres ſo allgemeines Landgeſpräch iſt, daß
der Fremde unmöglich mit einer übereinſtimmenden Fiction umſponnen
werden kann.
Wir wiſſen nicht, ob wir es an dieſem Orte ausdrücklich ent¬
ſchuldigen müſſen, daß ein Romanheld mit leidlichem Menſchenverſtand
zu Werke geht. Wer nach dieſer Probe die proſaiſche Perſpective ſei¬
nes künftigen Verhaltens fürchtet, dem geben wir zu bedenken, daß der
Verſtand, ſelbſt im beſten Falle, höchſtens die geſetzgebende Gewalt
iſt, Gemüth und Stimmung aber die ausführende. Wie groß unſre
Fähigkeit, uns zu behaupten, ſein mag, unſre Fähigkeit, zu Grunde
zu gehen, iſt immer noch größer.
Bis zum Anfange der Ernte in Ohio, dem Lande ſeines Anſied¬
lungsprojectes, hatte Moorfeld noch einige Wochen zu verſäumen. Er
konnte inzwiſchen jene literariſchen Ergänzungsſtudien machen, die er
zuvor als nothwendig erkannt, und überhaupt den gelehrten Theil
ſeines Haushalts, den er in der Iſolirung des Hinterwalds nicht be¬
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Sie haben einen Fehler gefunden?
Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform
DTAQ melden.
Kommentar zur DTA-Ausgabe
Dieses Werk wurde von OCR-Software automatisch erfasst und anschließend
gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien
von Muttersprachlern nachkontrolliert. Es wurde gemäß dem
DTA-Basisformat in XML/TEI P5 kodiert.
Kürnberger, Ferdinand: Der Amerika-Müde. Frankfurt (Main), 1855, S. 68. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/kuernberger_amerikamuede_1855/86>, abgerufen am 24.11.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.