Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Kürnberger, Ferdinand: Der Amerika-Müde. Frankfurt (Main), 1855.

Bild:
<< vorherige Seite

eine Flasche Tokaier aus. Wir beide werden unsre Landsleute --
denn auch ich bin Ungar -- in der ganzen Union wohl schwerlich je
zu Gesichte bekommen. Und das Andenken der Heimath --.

Aus welcher Gespannschaft, wenn ich bitten darf, fragte Moorfeld,
der sich erst jetzt den artigen Herrn aufmerksamer ansah.

Aus dem Zempliner Comitate, Ujhely ist meine Geburtsstadt, war
die Antwort des Fremden. Und mit einem Seufzer, den er nur
mühsam in die gemessenen Formen zurückpreßte, fuhr er fort: Ich
wollte, ich wär' wieder dort! Ubi bene ibi patria -- ganz recht --
aber wo ist's denn bene, wo ist's denn optime, wenn nicht eben in
unserm herrlichen magyar-örszag? Ach säß' ich noch als Conzipist
bei der Palatinaltafel! Sie thaten Unrecht, baratom -- Pardon
"mein Herr" sagt man hier -- Sie thaten Unrecht, mein Herr, aus
einem Lande wie Ungarn auszuwandern. Was können Sie bessers
dafür eintauschen? Darf ich fragen, wo Sie Ihre Niederlassung
projectiren?

Ohio ist stark in Aufnahme, sagte Moorfeld.

Durch den neuen Ohio-Erie-Kanal, allerdings; aber, -- fluchte
der Gesandtschaftsbeamte mehr naturwüchsig als diplomatisch, -- Gott
verdamm' mich, wenn ein Mann von Bildung aushält in einem
Lande, das just in Aufnahme ist. Ein solches Modeland ist wie eine
Cloake, ein wahrer Abzugsgraben. Alles Gesindel strömt da zusam¬
men die bornirtesten Race-Unterschiede haben ihr ekelhaftes Spiel,
Parteisucht, Mord und Todschlag sind an der Tagesordnung. Nein,
mein Herr, Sie sind ein viel zu feiner Culturmensch für solche Schlamm¬
wirbel. Sollt' ich Ihnen rathen -- Sie sehen ich falle nicht aus
meinem Amte, lächelte der Sprecher -- so ging' ich diesem wilden
Landspeculationsschwindel aus dem Wege, und suchte mir ein reser¬
virteres Plätzchen.

Zum Beispiel? fragte Moorfeld.

Die beiden Männer waren inzwischen, da der Beamte mechanisch
seine Schritte an Moorfeld anschloß, die Straße hinabgekommen und
in's Erdgeschoß des Landamtes eingetreten. Sie standen in einer
Halle, welche die Vorhalle zu den verschiedenen Bureaus des Amts¬
gebäudes war, zugleich aber nach Art einer Börsenhalle den Selbst¬
zweck eines öffentlichen Besprechungsortes zu haben schien. Dazu war

eine Flaſche Tokaier aus. Wir beide werden unſre Landsleute —
denn auch ich bin Ungar — in der ganzen Union wohl ſchwerlich je
zu Geſichte bekommen. Und das Andenken der Heimath —.

Aus welcher Geſpannſchaft, wenn ich bitten darf, fragte Moorfeld,
der ſich erſt jetzt den artigen Herrn aufmerkſamer anſah.

Aus dem Zempliner Comitate, Ujhely iſt meine Geburtsſtadt, war
die Antwort des Fremden. Und mit einem Seufzer, den er nur
mühſam in die gemeſſenen Formen zurückpreßte, fuhr er fort: Ich
wollte, ich wär' wieder dort! Ubi bene ibi patria — ganz recht —
aber wo iſt's denn bene, wo iſt's denn optime, wenn nicht eben in
unſerm herrlichen magyár-örszag? Ach ſäß' ich noch als Conzipiſt
bei der Palatinaltafel! Sie thaten Unrecht, bárátomPardon
„mein Herr“ ſagt man hier — Sie thaten Unrecht, mein Herr, aus
einem Lande wie Ungarn auszuwandern. Was können Sie beſſers
dafür eintauſchen? Darf ich fragen, wo Sie Ihre Niederlaſſung
projectiren?

Ohio iſt ſtark in Aufnahme, ſagte Moorfeld.

Durch den neuen Ohio-Erie-Kanal, allerdings; aber, — fluchte
der Geſandtſchaftsbeamte mehr naturwüchſig als diplomatiſch, — Gott
verdamm' mich, wenn ein Mann von Bildung aushält in einem
Lande, das juſt in Aufnahme iſt. Ein ſolches Modeland iſt wie eine
Cloake, ein wahrer Abzugsgraben. Alles Geſindel ſtrömt da zuſam¬
men die bornirteſten Race-Unterſchiede haben ihr ekelhaftes Spiel,
Parteiſucht, Mord und Todſchlag ſind an der Tagesordnung. Nein,
mein Herr, Sie ſind ein viel zu feiner Culturmenſch für ſolche Schlamm¬
wirbel. Sollt' ich Ihnen rathen — Sie ſehen ich falle nicht aus
meinem Amte, lächelte der Sprecher — ſo ging' ich dieſem wilden
Landſpeculationsſchwindel aus dem Wege, und ſuchte mir ein reſer¬
virteres Plätzchen.

Zum Beiſpiel? fragte Moorfeld.

Die beiden Männer waren inzwiſchen, da der Beamte mechaniſch
ſeine Schritte an Moorfeld anſchloß, die Straße hinabgekommen und
in's Erdgeſchoß des Landamtes eingetreten. Sie ſtanden in einer
Halle, welche die Vorhalle zu den verſchiedenen Bureaus des Amts¬
gebäudes war, zugleich aber nach Art einer Börſenhalle den Selbſt¬
zweck eines öffentlichen Beſprechungsortes zu haben ſchien. Dazu war

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <p><pb facs="#f0070" n="52"/>
eine Fla&#x017F;che Tokaier aus. Wir beide werden un&#x017F;re Landsleute &#x2014;<lb/>
denn auch ich bin Ungar &#x2014; in der ganzen Union wohl &#x017F;chwerlich je<lb/>
zu Ge&#x017F;ichte bekommen. Und das Andenken der Heimath &#x2014;.</p><lb/>
          <p>Aus welcher Ge&#x017F;pann&#x017F;chaft, wenn ich bitten darf, fragte Moorfeld,<lb/>
der &#x017F;ich er&#x017F;t jetzt den artigen Herrn aufmerk&#x017F;amer an&#x017F;ah.</p><lb/>
          <p>Aus dem Zempliner Comitate, Ujhely i&#x017F;t meine Geburts&#x017F;tadt, war<lb/>
die Antwort des Fremden. Und mit einem Seufzer, den er nur<lb/>
müh&#x017F;am in die geme&#x017F;&#x017F;enen Formen zurückpreßte, fuhr er fort: Ich<lb/>
wollte, ich wär' wieder dort! <hi rendition="#aq">Ubi bene ibi patria</hi> &#x2014; ganz recht &#x2014;<lb/>
aber wo i&#x017F;t's denn <hi rendition="#aq">bene</hi>, wo i&#x017F;t's denn <hi rendition="#aq">optime</hi>, wenn nicht eben in<lb/>
un&#x017F;erm herrlichen <hi rendition="#aq">magyár-örszag</hi>? Ach &#x017F;äß' ich noch als Conzipi&#x017F;t<lb/>
bei der Palatinaltafel! Sie thaten Unrecht, <hi rendition="#aq">bárátom</hi> &#x2014; <hi rendition="#aq">Pardon</hi><lb/>
&#x201E;mein Herr&#x201C; &#x017F;agt man hier &#x2014; Sie thaten Unrecht, mein Herr, aus<lb/>
einem Lande wie Ungarn auszuwandern. Was können Sie be&#x017F;&#x017F;ers<lb/>
dafür eintau&#x017F;chen? Darf ich fragen, wo Sie Ihre Niederla&#x017F;&#x017F;ung<lb/>
projectiren?</p><lb/>
          <p>Ohio i&#x017F;t &#x017F;tark in Aufnahme, &#x017F;agte Moorfeld.</p><lb/>
          <p>Durch den neuen Ohio-Erie-Kanal, allerdings; aber, &#x2014; fluchte<lb/>
der Ge&#x017F;andt&#x017F;chaftsbeamte mehr naturwüch&#x017F;ig als diplomati&#x017F;ch, &#x2014; Gott<lb/>
verdamm' mich, wenn ein Mann von Bildung aushält in einem<lb/>
Lande, das ju&#x017F;t in Aufnahme i&#x017F;t. Ein &#x017F;olches Modeland i&#x017F;t wie eine<lb/>
Cloake, ein wahrer Abzugsgraben. Alles Ge&#x017F;indel &#x017F;trömt da zu&#x017F;am¬<lb/>
men die bornirte&#x017F;ten Race-Unter&#x017F;chiede haben ihr ekelhaftes Spiel,<lb/>
Partei&#x017F;ucht, Mord und Tod&#x017F;chlag &#x017F;ind an der Tagesordnung. Nein,<lb/>
mein Herr, Sie &#x017F;ind ein viel zu feiner Culturmen&#x017F;ch für &#x017F;olche Schlamm¬<lb/>
wirbel. Sollt' ich Ihnen rathen &#x2014; Sie &#x017F;ehen ich falle nicht aus<lb/>
meinem Amte, lächelte der Sprecher &#x2014; &#x017F;o ging' ich die&#x017F;em wilden<lb/>
Land&#x017F;peculations&#x017F;chwindel aus dem Wege, und &#x017F;uchte mir ein re&#x017F;er¬<lb/>
virteres Plätzchen.</p><lb/>
          <p>Zum Bei&#x017F;piel? fragte Moorfeld.</p><lb/>
          <p>Die beiden Männer waren inzwi&#x017F;chen, da der Beamte mechani&#x017F;ch<lb/>
&#x017F;eine Schritte an Moorfeld an&#x017F;chloß, die Straße hinabgekommen und<lb/>
in's Erdge&#x017F;choß des Landamtes eingetreten. Sie &#x017F;tanden in einer<lb/>
Halle, welche die Vorhalle zu den ver&#x017F;chiedenen Bureaus des Amts¬<lb/>
gebäudes war, zugleich aber nach Art einer Bör&#x017F;enhalle den Selb&#x017F;<lb/>
zweck eines öffentlichen Be&#x017F;prechungsortes zu haben &#x017F;chien. Dazu war<lb/></p>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[52/0070] eine Flaſche Tokaier aus. Wir beide werden unſre Landsleute — denn auch ich bin Ungar — in der ganzen Union wohl ſchwerlich je zu Geſichte bekommen. Und das Andenken der Heimath —. Aus welcher Geſpannſchaft, wenn ich bitten darf, fragte Moorfeld, der ſich erſt jetzt den artigen Herrn aufmerkſamer anſah. Aus dem Zempliner Comitate, Ujhely iſt meine Geburtsſtadt, war die Antwort des Fremden. Und mit einem Seufzer, den er nur mühſam in die gemeſſenen Formen zurückpreßte, fuhr er fort: Ich wollte, ich wär' wieder dort! Ubi bene ibi patria — ganz recht — aber wo iſt's denn bene, wo iſt's denn optime, wenn nicht eben in unſerm herrlichen magyár-örszag? Ach ſäß' ich noch als Conzipiſt bei der Palatinaltafel! Sie thaten Unrecht, bárátom — Pardon „mein Herr“ ſagt man hier — Sie thaten Unrecht, mein Herr, aus einem Lande wie Ungarn auszuwandern. Was können Sie beſſers dafür eintauſchen? Darf ich fragen, wo Sie Ihre Niederlaſſung projectiren? Ohio iſt ſtark in Aufnahme, ſagte Moorfeld. Durch den neuen Ohio-Erie-Kanal, allerdings; aber, — fluchte der Geſandtſchaftsbeamte mehr naturwüchſig als diplomatiſch, — Gott verdamm' mich, wenn ein Mann von Bildung aushält in einem Lande, das juſt in Aufnahme iſt. Ein ſolches Modeland iſt wie eine Cloake, ein wahrer Abzugsgraben. Alles Geſindel ſtrömt da zuſam¬ men die bornirteſten Race-Unterſchiede haben ihr ekelhaftes Spiel, Parteiſucht, Mord und Todſchlag ſind an der Tagesordnung. Nein, mein Herr, Sie ſind ein viel zu feiner Culturmenſch für ſolche Schlamm¬ wirbel. Sollt' ich Ihnen rathen — Sie ſehen ich falle nicht aus meinem Amte, lächelte der Sprecher — ſo ging' ich dieſem wilden Landſpeculationsſchwindel aus dem Wege, und ſuchte mir ein reſer¬ virteres Plätzchen. Zum Beiſpiel? fragte Moorfeld. Die beiden Männer waren inzwiſchen, da der Beamte mechaniſch ſeine Schritte an Moorfeld anſchloß, die Straße hinabgekommen und in's Erdgeſchoß des Landamtes eingetreten. Sie ſtanden in einer Halle, welche die Vorhalle zu den verſchiedenen Bureaus des Amts¬ gebäudes war, zugleich aber nach Art einer Börſenhalle den Selbſt¬ zweck eines öffentlichen Beſprechungsortes zu haben ſchien. Dazu war

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde von OCR-Software automatisch erfasst und anschließend gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien von Muttersprachlern nachkontrolliert. Es wurde gemäß dem DTA-Basisformat in XML/TEI P5 kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/kuernberger_amerikamuede_1855
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/kuernberger_amerikamuede_1855/70
Zitationshilfe: Kürnberger, Ferdinand: Der Amerika-Müde. Frankfurt (Main), 1855, S. 52. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/kuernberger_amerikamuede_1855/70>, abgerufen am 24.11.2024.