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Kürnberger, Ferdinand: Der Amerika-Müde. Frankfurt (Main), 1855.

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Verunglückte Erkundigung einholen sollen. -- Ich dachte daran, mein
Engel, sagte Hr. Staunton, aber du sahst ja, wie ihn die Börsen¬
stunde pressirte. Später! -- Moorfeld stutzte. Was für ein Daniel
war das? Ein Sohn? unmöglich! Ein Handlungsdiener? Dann hätte
der englische Sprachgebrauch nicht "unser" sondern "Mister" gesagt.
Also doch ein Sohn? Moorfeld schwindelte. Nein, nein, es ist un¬
möglich! Unmöglicher wenigstens als eine Abweichung vom Sprach¬
gebrauch.

Bestürzt, verwirrt und mehr als gesättigt, sprang Moorfeld auf
von seinem ersten amerikanischen Frühstück.

Der schwarze Jack führte ihn auf sein Zimmer. Es hatte eine
weite Aussicht über Fluß und Land, eine der Bedingungen, auf die
er ja schon in Europa dieses Privatlogis gemiethet. Aber indem er
eintrat kam auf einmal ein plötzlicher Schreck über ihn. Woher er
kam, wissen wir nicht zu erklären, wenn sich der Leser nicht eigener
Augenblicke dieser Art erinnert. Es gibt solche Augenblicke. Die
Macht der Gewohnheit wird manchmal -- auf einen Secundenblitz --
aufgehoben. Ein großes Glück, das wir gemacht, wenn wir schon
lange von seinen Früchten zehren, schreit oft den ersten Freudenschrei
wieder auf in uns, ein Todtenfall, den wir schon lange verschmerzt,
überschauert uns oft mit den ersten Schrecken der Neuigkeit, ein ge¬
liebtes Musikstück, das wir schon lange mit anhören, klingt uns in
einem auserwählten Augenblicke wieder das Entzücken des ersten An¬
hörens zurück. Es wäre ganz vergeblich, den schrecklichen oder süßen
Reiz solcher Erstlingseindrücke uns willkürlich zu reproduciren, es ist
eine unbegreifliche Inspiration, die direct von den Göttern kommt, ein
Erdbeben der Phantasie, ein Durchstoßen der Alltagskruste und Auf¬
lodern der Originalität in uns. Ein solcher Augenblick war's, der
jetzt unsern Europäer überraschte. "Deine Fenster sehen auf Amerika,"
der Gedanke packte ihn plötzlich, als hätte er ihn nie zuvor gedacht,
noch weniger ausgeführt. Ein Wunder schien ihm's, ein Feenwerk.
Er hielt sich den ganzen Tag über an sein Zimmer, gleichsam als
wäre er nur hier geborgen und draußen verloren. Der Neger wurde
eifrigst auf's Zollhaus gesandt und fieberhaft erwartete Moorfeld mit
seinem Gepäcke den Anblick europäischer Gegenstände. Er lag aber, ehe
sie noch anlangten, zu Bette. Das genossene Frühstück hatte sich in

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Verunglückte Erkundigung einholen ſollen. — Ich dachte daran, mein
Engel, ſagte Hr. Staunton, aber du ſahſt ja, wie ihn die Börſen¬
ſtunde preſſirte. Später! — Moorfeld ſtutzte. Was für ein Daniel
war das? Ein Sohn? unmöglich! Ein Handlungsdiener? Dann hätte
der engliſche Sprachgebrauch nicht „unſer“ ſondern „Miſter“ geſagt.
Alſo doch ein Sohn? Moorfeld ſchwindelte. Nein, nein, es iſt un¬
möglich! Unmöglicher wenigſtens als eine Abweichung vom Sprach¬
gebrauch.

Beſtürzt, verwirrt und mehr als geſättigt, ſprang Moorfeld auf
von ſeinem erſten amerikaniſchen Frühſtück.

Der ſchwarze Jack führte ihn auf ſein Zimmer. Es hatte eine
weite Ausſicht über Fluß und Land, eine der Bedingungen, auf die
er ja ſchon in Europa dieſes Privatlogis gemiethet. Aber indem er
eintrat kam auf einmal ein plötzlicher Schreck über ihn. Woher er
kam, wiſſen wir nicht zu erklären, wenn ſich der Leſer nicht eigener
Augenblicke dieſer Art erinnert. Es gibt ſolche Augenblicke. Die
Macht der Gewohnheit wird manchmal — auf einen Secundenblitz —
aufgehoben. Ein großes Glück, das wir gemacht, wenn wir ſchon
lange von ſeinen Früchten zehren, ſchreit oft den erſten Freudenſchrei
wieder auf in uns, ein Todtenfall, den wir ſchon lange verſchmerzt,
überſchauert uns oft mit den erſten Schrecken der Neuigkeit, ein ge¬
liebtes Muſikſtück, das wir ſchon lange mit anhören, klingt uns in
einem auserwählten Augenblicke wieder das Entzücken des erſten An¬
hörens zurück. Es wäre ganz vergeblich, den ſchrecklichen oder ſüßen
Reiz ſolcher Erſtlingseindrücke uns willkürlich zu reproduciren, es iſt
eine unbegreifliche Inſpiration, die direct von den Göttern kommt, ein
Erdbeben der Phantaſie, ein Durchſtoßen der Alltagskruſte und Auf¬
lodern der Originalität in uns. Ein ſolcher Augenblick war's, der
jetzt unſern Europäer überraſchte. „Deine Fenſter ſehen auf Amerika,“
der Gedanke packte ihn plötzlich, als hätte er ihn nie zuvor gedacht,
noch weniger ausgeführt. Ein Wunder ſchien ihm's, ein Feenwerk.
Er hielt ſich den ganzen Tag über an ſein Zimmer, gleichſam als
wäre er nur hier geborgen und draußen verloren. Der Neger wurde
eifrigſt auf's Zollhaus geſandt und fieberhaft erwartete Moorfeld mit
ſeinem Gepäcke den Anblick europäiſcher Gegenſtände. Er lag aber, ehe
ſie noch anlangten, zu Bette. Das genoſſene Frühſtück hatte ſich in

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[35/0053] Verunglückte Erkundigung einholen ſollen. — Ich dachte daran, mein Engel, ſagte Hr. Staunton, aber du ſahſt ja, wie ihn die Börſen¬ ſtunde preſſirte. Später! — Moorfeld ſtutzte. Was für ein Daniel war das? Ein Sohn? unmöglich! Ein Handlungsdiener? Dann hätte der engliſche Sprachgebrauch nicht „unſer“ ſondern „Miſter“ geſagt. Alſo doch ein Sohn? Moorfeld ſchwindelte. Nein, nein, es iſt un¬ möglich! Unmöglicher wenigſtens als eine Abweichung vom Sprach¬ gebrauch. Beſtürzt, verwirrt und mehr als geſättigt, ſprang Moorfeld auf von ſeinem erſten amerikaniſchen Frühſtück. Der ſchwarze Jack führte ihn auf ſein Zimmer. Es hatte eine weite Ausſicht über Fluß und Land, eine der Bedingungen, auf die er ja ſchon in Europa dieſes Privatlogis gemiethet. Aber indem er eintrat kam auf einmal ein plötzlicher Schreck über ihn. Woher er kam, wiſſen wir nicht zu erklären, wenn ſich der Leſer nicht eigener Augenblicke dieſer Art erinnert. Es gibt ſolche Augenblicke. Die Macht der Gewohnheit wird manchmal — auf einen Secundenblitz — aufgehoben. Ein großes Glück, das wir gemacht, wenn wir ſchon lange von ſeinen Früchten zehren, ſchreit oft den erſten Freudenſchrei wieder auf in uns, ein Todtenfall, den wir ſchon lange verſchmerzt, überſchauert uns oft mit den erſten Schrecken der Neuigkeit, ein ge¬ liebtes Muſikſtück, das wir ſchon lange mit anhören, klingt uns in einem auserwählten Augenblicke wieder das Entzücken des erſten An¬ hörens zurück. Es wäre ganz vergeblich, den ſchrecklichen oder ſüßen Reiz ſolcher Erſtlingseindrücke uns willkürlich zu reproduciren, es iſt eine unbegreifliche Inſpiration, die direct von den Göttern kommt, ein Erdbeben der Phantaſie, ein Durchſtoßen der Alltagskruſte und Auf¬ lodern der Originalität in uns. Ein ſolcher Augenblick war's, der jetzt unſern Europäer überraſchte. „Deine Fenſter ſehen auf Amerika,“ der Gedanke packte ihn plötzlich, als hätte er ihn nie zuvor gedacht, noch weniger ausgeführt. Ein Wunder ſchien ihm's, ein Feenwerk. Er hielt ſich den ganzen Tag über an ſein Zimmer, gleichſam als wäre er nur hier geborgen und draußen verloren. Der Neger wurde eifrigſt auf's Zollhaus geſandt und fieberhaft erwartete Moorfeld mit ſeinem Gepäcke den Anblick europäiſcher Gegenſtände. Er lag aber, ehe ſie noch anlangten, zu Bette. Das genoſſene Frühſtück hatte ſich in 3 *

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Zitationshilfe: Kürnberger, Ferdinand: Der Amerika-Müde. Frankfurt (Main), 1855, S. 35. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/kuernberger_amerikamuede_1855/53>, abgerufen am 22.11.2024.