Einen die Munition, dem Andern die Büchse fehlte, diese Patrone nicht zu jener Flinte paßte, und mit vielen Worten wenig erzielt wurde.
In diesem Bienenschwarm begegnete Moorfeld denn auch dem Wirthe von Kleindeutschland mit Vronele, seiner Tochter. Der deutsche Kaiser war kaum mehr zu erkennen. Todtenblässe bedeckte sein vollwangiges Antlitz, er zitterte am ganzen Leibe wie Espenlaub. Sein erstes Wort, als er Moorfeld erblickte, war, daß er mit über¬ stürzter Zunge die Frage stammelte: Kommt Polizei? kommt Polizei? Moorfeld antwortete: We are in a free country!
Vronele hielt sich wackerer. Sie war vor Vielen um sich her allein einer vernünftigen und unerschrockenen Rede Meisterin. Die Herren¬ buben haben uns ausgebrannt und sagen öffentlich, wir selbst hätten's gethan, das ist Evangelium und Epistel an dieser Sache, sagte sie. Da sie uns nicht versimpeln und klein kriegen konnten, -- Sie sahen's ja selbst Herr Doctor -- so kamen sie uns so. Sie legten das Feuer bei uns und bei einigen Nachbarn, dann waren sie aber -- hurrah! von allen Seiten mit ihren Spritzen da, wie das wilde Heer. Wups hatten sie einen deutschen Maurer beim Flügel und schrien drauf los: Den hätten sie beim Brandstiften ertappt. In einer Minute baumelte der arme Mensch an der Dachrinne. Das war aber meertief erlogen und hat freilich Schein und Art vor den Leuten -- die Maurer woll¬ ten Arbeit haben, sagen sie, und wollten sich auch rächen für den er¬ stochenen, Maurer vom Bowery. Es ist schon recht! Beim Verhör wird Alles herauskommen. Es gibt noch Leute, Gott sei Dank! die auch zu reden wissen von dieser Nacht. Die Spitzbuben genirten sich so wenig, daß sie mit hellflammigen Bränden herumliefen; hier lösch¬ ten sie, dort zündeten sie und schrien immer dazwischen: Tod den deutschen Mordbrennern! die Schinderhunde! und glaubten uns Alle auszutilgen, daß kein Einziger übrig bleiben wird, der eine Zung' rühren kann! Da müßt' Newyork nicht gebaut sein, daß neun Katzen keine Maus fangen! Jetzt haben sie vielleicht zugestopft und gnade Gott, wer seine Beine nicht bei Zeiten über die Achsel nahm! Jetzt ist die richtige Mördergrub' los da droben. Aber es muß einen zah¬ lenden Tag geben! Wär' ich nur ein Mann! Ich wüßt' mir was Besseres, als da vorn im Gesindezimmer zu stehen, Gewehr im Arm, wie auf einem Nürnberger Bilderbogen! Aber unser ganzes Haus
Einen die Munition, dem Andern die Büchſe fehlte, dieſe Patrone nicht zu jener Flinte paßte, und mit vielen Worten wenig erzielt wurde.
In dieſem Bienenſchwarm begegnete Moorfeld denn auch dem Wirthe von Kleindeutſchland mit Vronele, ſeiner Tochter. Der deutſche Kaiſer war kaum mehr zu erkennen. Todtenbläſſe bedeckte ſein vollwangiges Antlitz, er zitterte am ganzen Leibe wie Espenlaub. Sein erſtes Wort, als er Moorfeld erblickte, war, daß er mit über¬ ſtürzter Zunge die Frage ſtammelte: Kommt Polizei? kommt Polizei? Moorfeld antwortete: We are in a free country!
Vronele hielt ſich wackerer. Sie war vor Vielen um ſich her allein einer vernünftigen und unerſchrockenen Rede Meiſterin. Die Herren¬ buben haben uns ausgebrannt und ſagen öffentlich, wir ſelbſt hätten's gethan, das iſt Evangelium und Epiſtel an dieſer Sache, ſagte ſie. Da ſie uns nicht verſimpeln und klein kriegen konnten, — Sie ſahen's ja ſelbſt Herr Doctor — ſo kamen ſie uns ſo. Sie legten das Feuer bei uns und bei einigen Nachbarn, dann waren ſie aber — hurrah! von allen Seiten mit ihren Spritzen da, wie das wilde Heer. Wups hatten ſie einen deutſchen Maurer beim Flügel und ſchrien drauf los: Den hätten ſie beim Brandſtiften ertappt. In einer Minute baumelte der arme Menſch an der Dachrinne. Das war aber meertief erlogen und hat freilich Schein und Art vor den Leuten — die Maurer woll¬ ten Arbeit haben, ſagen ſie, und wollten ſich auch rächen für den er¬ ſtochenen, Maurer vom Bowery. Es iſt ſchon recht! Beim Verhör wird Alles herauskommen. Es gibt noch Leute, Gott ſei Dank! die auch zu reden wiſſen von dieſer Nacht. Die Spitzbuben genirten ſich ſo wenig, daß ſie mit hellflammigen Bränden herumliefen; hier löſch¬ ten ſie, dort zündeten ſie und ſchrien immer dazwiſchen: Tod den deutſchen Mordbrennern! die Schinderhunde! und glaubten uns Alle auszutilgen, daß kein Einziger übrig bleiben wird, der eine Zung' rühren kann! Da müßt' Newyork nicht gebaut ſein, daß neun Katzen keine Maus fangen! Jetzt haben ſie vielleicht zugeſtopft und gnade Gott, wer ſeine Beine nicht bei Zeiten über die Achſel nahm! Jetzt iſt die richtige Mördergrub' los da droben. Aber es muß einen zah¬ lenden Tag geben! Wär' ich nur ein Mann! Ich wüßt' mir was Beſſeres, als da vorn im Geſindezimmer zu ſtehen, Gewehr im Arm, wie auf einem Nürnberger Bilderbogen! Aber unſer ganzes Haus
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[500/0518]
Einen die Munition, dem Andern die Büchſe fehlte, dieſe Patrone nicht
zu jener Flinte paßte, und mit vielen Worten wenig erzielt wurde.
In dieſem Bienenſchwarm begegnete Moorfeld denn auch dem
Wirthe von Kleindeutſchland mit Vronele, ſeiner Tochter. Der
deutſche Kaiſer war kaum mehr zu erkennen. Todtenbläſſe bedeckte
ſein vollwangiges Antlitz, er zitterte am ganzen Leibe wie Espenlaub.
Sein erſtes Wort, als er Moorfeld erblickte, war, daß er mit über¬
ſtürzter Zunge die Frage ſtammelte: Kommt Polizei? kommt Polizei?
Moorfeld antwortete: We are in a free country!
Vronele hielt ſich wackerer. Sie war vor Vielen um ſich her allein
einer vernünftigen und unerſchrockenen Rede Meiſterin. Die Herren¬
buben haben uns ausgebrannt und ſagen öffentlich, wir ſelbſt hätten's
gethan, das iſt Evangelium und Epiſtel an dieſer Sache, ſagte ſie.
Da ſie uns nicht verſimpeln und klein kriegen konnten, — Sie ſahen's
ja ſelbſt Herr Doctor — ſo kamen ſie uns ſo. Sie legten das Feuer
bei uns und bei einigen Nachbarn, dann waren ſie aber — hurrah!
von allen Seiten mit ihren Spritzen da, wie das wilde Heer. Wups
hatten ſie einen deutſchen Maurer beim Flügel und ſchrien drauf los:
Den hätten ſie beim Brandſtiften ertappt. In einer Minute baumelte
der arme Menſch an der Dachrinne. Das war aber meertief erlogen
und hat freilich Schein und Art vor den Leuten — die Maurer woll¬
ten Arbeit haben, ſagen ſie, und wollten ſich auch rächen für den er¬
ſtochenen, Maurer vom Bowery. Es iſt ſchon recht! Beim Verhör
wird Alles herauskommen. Es gibt noch Leute, Gott ſei Dank! die
auch zu reden wiſſen von dieſer Nacht. Die Spitzbuben genirten ſich
ſo wenig, daß ſie mit hellflammigen Bränden herumliefen; hier löſch¬
ten ſie, dort zündeten ſie und ſchrien immer dazwiſchen: Tod den
deutſchen Mordbrennern! die Schinderhunde! und glaubten uns Alle
auszutilgen, daß kein Einziger übrig bleiben wird, der eine Zung'
rühren kann! Da müßt' Newyork nicht gebaut ſein, daß neun Katzen
keine Maus fangen! Jetzt haben ſie vielleicht zugeſtopft und gnade
Gott, wer ſeine Beine nicht bei Zeiten über die Achſel nahm! Jetzt
iſt die richtige Mördergrub' los da droben. Aber es muß einen zah¬
lenden Tag geben! Wär' ich nur ein Mann! Ich wüßt' mir was
Beſſeres, als da vorn im Geſindezimmer zu ſtehen, Gewehr im Arm,
wie auf einem Nürnberger Bilderbogen! Aber unſer ganzes Haus
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Kürnberger, Ferdinand: Der Amerika-Müde. Frankfurt (Main), 1855, S. 500. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/kuernberger_amerikamuede_1855/518>, abgerufen am 25.11.2024.
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