wie Herr Staunton seine weichen Eier mit der Schale in den Mund führte und die zermalmten Schalensplitter dann auf ein Teller¬ chen zurückspülte, das Alles war für den fremden Beobachter zwar ein Schauspiel höchster Originalität, aber auch Abscheulichkeit. Der Eu¬ ropäer ließ diesen Passus des amerikanischen dejeuners mit großer Bestürzung an sich vorübergehen.
Indem unser Held unter also erschwerenden Umständen seinen Appetit zu befriedigen suchte, angelte er, wie er meinte, nur nach den feinsten und am leichtesten zubereiteten Fleischspeisen. Bei diesen Ver¬ suchen kam er aber bald dahinter, daß Fleisch überhaupt nur ein re¬ lativer Begriff sei. Es fragt sich bei den verschiedenen Nationalitäten immer, was sie vom Thiere begehren und sich vorsetzen. Wenn nun der Engländer die blut- und muskelreichen Theile liebt, der Franzose die galatinartigen und nervenreichen, so warf sich der Amerikaner vor allem auf das Fett des Thieres. Fett war hier Fleisch. Es lag entweder offen zu Tage, oder das Fleisch selbst war durch ein eigen¬ thümliches Raffinement der Mast mit dem Fettstoff so imprägnirt, daß stets dieselbe geschmackwidrige Identität zurückkehrte. Die ganze Tafel war gleichsam ein Tisch für den Lichtzieher. Diese Talgmasse schwamm freilich in einer Beize der schärfsten Gewürze; Moorfeld glaubte sogar deutlich zerstoßenen Höllenstein durchzuschmecken; aber schmeckte es darum besser, daß er sich die Würze mit Satyre würzte? Zwei Verneinun¬ gen geben wenigstens für den Geschmack keine Bejahung.
Die Champagnerflaschen blieben nach allen diesen Niederlagen sein letzter Trost. Als aber Moorfeld sich das erste Glas davon ausbat -- wie geschah ihm auch jetzt? Hr. Staunton griff, als müßte es so sein, nach der Brantweinbouteille und goß ihm Brandy unter den Champagner. Man verbessere ihn so, sagte er anstandslos. Er selbst trank gleichfalls diese Mischung. Moorfeld sah die Geschichte mit dumpfem Erstaunen an; -- das ging ihm doch über den Begriff! Nicht daß er den Gipfel der bisherigen Geschmackswidrigkeit sah, setzte ihn außer Fassung. Die Sache ergriff ihn tiefer. Im Trinken liegt ja bei allen Völkern eine gewisse Symbolik, das Trinken spielt im Christenthum selbst eine Rolle und für den Kelch wurden Kriege ge¬ führt. Trinkt der Amerikaner seinen Champagner mit Brandy, wer garantirt hier das Genie gegen die Prosa? fragte sich der Fremdling.
D.B. VII. Der Amerika-Müde. 3
wie Herr Staunton ſeine weichen Eier mit der Schale in den Mund führte und die zermalmten Schalenſplitter dann auf ein Teller¬ chen zurückſpülte, das Alles war für den fremden Beobachter zwar ein Schauſpiel höchſter Originalität, aber auch Abſcheulichkeit. Der Eu¬ ropäer ließ dieſen Paſſus des amerikaniſchen dejeuners mit großer Beſtürzung an ſich vorübergehen.
Indem unſer Held unter alſo erſchwerenden Umſtänden ſeinen Appetit zu befriedigen ſuchte, angelte er, wie er meinte, nur nach den feinſten und am leichteſten zubereiteten Fleiſchſpeiſen. Bei dieſen Ver¬ ſuchen kam er aber bald dahinter, daß Fleiſch überhaupt nur ein re¬ lativer Begriff ſei. Es fragt ſich bei den verſchiedenen Nationalitäten immer, was ſie vom Thiere begehren und ſich vorſetzen. Wenn nun der Engländer die blut- und muskelreichen Theile liebt, der Franzoſe die galatinartigen und nervenreichen, ſo warf ſich der Amerikaner vor allem auf das Fett des Thieres. Fett war hier Fleiſch. Es lag entweder offen zu Tage, oder das Fleiſch ſelbſt war durch ein eigen¬ thümliches Raffinement der Maſt mit dem Fettſtoff ſo imprägnirt, daß ſtets dieſelbe geſchmackwidrige Identität zurückkehrte. Die ganze Tafel war gleichſam ein Tiſch für den Lichtzieher. Dieſe Talgmaſſe ſchwamm freilich in einer Beize der ſchärfſten Gewürze; Moorfeld glaubte ſogar deutlich zerſtoßenen Höllenſtein durchzuſchmecken; aber ſchmeckte es darum beſſer, daß er ſich die Würze mit Satyre würzte? Zwei Verneinun¬ gen geben wenigſtens für den Geſchmack keine Bejahung.
Die Champagnerflaſchen blieben nach allen dieſen Niederlagen ſein letzter Troſt. Als aber Moorfeld ſich das erſte Glas davon ausbat — wie geſchah ihm auch jetzt? Hr. Staunton griff, als müßte es ſo ſein, nach der Brantweinbouteille und goß ihm Brandy unter den Champagner. Man verbeſſere ihn ſo, ſagte er anſtandslos. Er ſelbſt trank gleichfalls dieſe Miſchung. Moorfeld ſah die Geſchichte mit dumpfem Erſtaunen an; — das ging ihm doch über den Begriff! Nicht daß er den Gipfel der bisherigen Geſchmackswidrigkeit ſah, ſetzte ihn außer Faſſung. Die Sache ergriff ihn tiefer. Im Trinken liegt ja bei allen Völkern eine gewiſſe Symbolik, das Trinken ſpielt im Chriſtenthum ſelbſt eine Rolle und für den Kelch wurden Kriege ge¬ führt. Trinkt der Amerikaner ſeinen Champagner mit Brandy, wer garantirt hier das Genie gegen die Proſa? fragte ſich der Fremdling.
D.B. VII. Der Amerika–Müde. 3
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wie Herr Staunton ſeine weichen Eier mit der Schale in den
Mund führte und die zermalmten Schalenſplitter dann auf ein Teller¬
chen zurückſpülte, das Alles war für den fremden Beobachter zwar ein
Schauſpiel höchſter Originalität, aber auch Abſcheulichkeit. Der Eu¬
ropäer ließ dieſen Paſſus des amerikaniſchen dejeuners mit großer
Beſtürzung an ſich vorübergehen.
Indem unſer Held unter alſo erſchwerenden Umſtänden ſeinen
Appetit zu befriedigen ſuchte, angelte er, wie er meinte, nur nach den
feinſten und am leichteſten zubereiteten Fleiſchſpeiſen. Bei dieſen Ver¬
ſuchen kam er aber bald dahinter, daß Fleiſch überhaupt nur ein re¬
lativer Begriff ſei. Es fragt ſich bei den verſchiedenen Nationalitäten
immer, was ſie vom Thiere begehren und ſich vorſetzen. Wenn nun
der Engländer die blut- und muskelreichen Theile liebt, der Franzoſe
die galatinartigen und nervenreichen, ſo warf ſich der Amerikaner vor
allem auf das Fett des Thieres. Fett war hier Fleiſch. Es lag
entweder offen zu Tage, oder das Fleiſch ſelbſt war durch ein eigen¬
thümliches Raffinement der Maſt mit dem Fettſtoff ſo imprägnirt, daß
ſtets dieſelbe geſchmackwidrige Identität zurückkehrte. Die ganze Tafel
war gleichſam ein Tiſch für den Lichtzieher. Dieſe Talgmaſſe ſchwamm
freilich in einer Beize der ſchärfſten Gewürze; Moorfeld glaubte ſogar
deutlich zerſtoßenen Höllenſtein durchzuſchmecken; aber ſchmeckte es darum
beſſer, daß er ſich die Würze mit Satyre würzte? Zwei Verneinun¬
gen geben wenigſtens für den Geſchmack keine Bejahung.
Die Champagnerflaſchen blieben nach allen dieſen Niederlagen ſein
letzter Troſt. Als aber Moorfeld ſich das erſte Glas davon ausbat —
wie geſchah ihm auch jetzt? Hr. Staunton griff, als müßte es ſo
ſein, nach der Brantweinbouteille und goß ihm Brandy unter den
Champagner. Man verbeſſere ihn ſo, ſagte er anſtandslos. Er ſelbſt
trank gleichfalls dieſe Miſchung. Moorfeld ſah die Geſchichte mit
dumpfem Erſtaunen an; — das ging ihm doch über den Begriff!
Nicht daß er den Gipfel der bisherigen Geſchmackswidrigkeit ſah, ſetzte
ihn außer Faſſung. Die Sache ergriff ihn tiefer. Im Trinken liegt
ja bei allen Völkern eine gewiſſe Symbolik, das Trinken ſpielt im
Chriſtenthum ſelbſt eine Rolle und für den Kelch wurden Kriege ge¬
führt. Trinkt der Amerikaner ſeinen Champagner mit Brandy, wer
garantirt hier das Genie gegen die Proſa? fragte ſich der Fremdling.
D.B. VII. Der Amerika–Müde. 3
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Kürnberger, Ferdinand: Der Amerika-Müde. Frankfurt (Main), 1855, S. 33. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/kuernberger_amerikamuede_1855/51>, abgerufen am 23.11.2024.
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