tur, sondern einer, die ihren Tag abwartet. Bennet verstand sie nicht. Er hielt den Himmel für ruhig und glaubte, er sei der Donnerer darauf, nicht sie, der kleine reservirte Trotzkopf.
In dieser Verfassung waren die Gemüther, als der Tag von Saratoga anbrach. Ich hoffte von der veränderten Hausordnung, von dem heiteren Naturgenuß, von dem ganzen Schwung dieser Ferien einen heilsamen, mildernden Einfluß. Das Gegentheil kam. Wir waren di¬ rect in die Löwenhöhle getreten. Die Saison von Saratoga war eine der glänzendsten: man sah, daß die Pairskammer Karls X. und die Fürsten der polnischen Nation Nomaden geworden. Bennet begrüßte von seinen drei europäischen Reisen her viele alte Bekanntschaften und machte noch mehr neue. Die Albumsblätter wanderten im lebhaftesten Austausch hin und wieder. Kein Tag verging, daß nicht mehrere Un¬ sterblichkeiten zu stiften waren. Denn so faßte es Bennet auf. Welch eine Gelegenheit! Europas Pforten waren dem Dichterruhm seiner Tochter geöffnet. Die haute volee aller Länder gab sich zur Colpor¬ tage ihrer Verse her. Wen diese Gelegenheit nicht begeisterte, das war ein Cretin, kein Mensch! Bennet's Forderungen kannten keine Grenzen mehr! Er hatte alles Bewußtsein verloren, was menschlich zu leisten. Sechsmal zerriß er Cölesten ein Albumsblatt für einen griechischen Palikarenhäuptling. Welche bassesse in Form und Gedanken! Das muß anders tönen, meine Gute! Dieses Volk ist an die Solitaire eines Byron gewöhnt, und Apoll selbst nennt es seinen Landsmann. Er vergaß sich so weit, daß er sie einsperrte und ihr die Nahrung entzog, bis sie so klassisch geworden, wie es ihm vorschwebte. "Sing¬ vögel und Jagdhunde muß man kurz halten!" Sie sehen, es eilte zum Ende.
Und just an diesem Tage kam der Pudel Omar mit seinem Ver¬ ehrer, Lord Ormond, an. Der edle Herr war inzwischen zwar nicht wirklich Lord geworden, aber er hatte einen Seitenverwandten aus der Gentry beerbt und konnte wieder standesgemäß in England auftreten. Er verabschiedete sich von uns. Bei dieser Gelegenheit beobachtete er es als eine Form der Höflichkeit, meiner Tochter die Hand zu bieten. Racheglühend, ich muß das Wort betonen, mein Herr, racheglühend nahm Cöleste an. Augenblicklich setzte sie sich hin und schrieb -- an Mr. Bennet ihre Verlobungskarte! Es ist dieser Gebrauch kein selteneer
tur, ſondern einer, die ihren Tag abwartet. Bennet verſtand ſie nicht. Er hielt den Himmel für ruhig und glaubte, er ſei der Donnerer darauf, nicht ſie, der kleine reſervirte Trotzkopf.
In dieſer Verfaſſung waren die Gemüther, als der Tag von Saratoga anbrach. Ich hoffte von der veränderten Hausordnung, von dem heiteren Naturgenuß, von dem ganzen Schwung dieſer Ferien einen heilſamen, mildernden Einfluß. Das Gegentheil kam. Wir waren di¬ rect in die Löwenhöhle getreten. Die Saiſon von Saratoga war eine der glänzendſten: man ſah, daß die Pairskammer Karls X. und die Fürſten der polniſchen Nation Nomaden geworden. Bennet begrüßte von ſeinen drei europäiſchen Reiſen her viele alte Bekanntſchaften und machte noch mehr neue. Die Albumsblätter wanderten im lebhafteſten Austauſch hin und wieder. Kein Tag verging, daß nicht mehrere Un¬ ſterblichkeiten zu ſtiften waren. Denn ſo faßte es Bennet auf. Welch eine Gelegenheit! Europas Pforten waren dem Dichterruhm ſeiner Tochter geöffnet. Die haute volée aller Länder gab ſich zur Colpor¬ tage ihrer Verſe her. Wen dieſe Gelegenheit nicht begeiſterte, das war ein Cretin, kein Menſch! Bennet's Forderungen kannten keine Grenzen mehr! Er hatte alles Bewußtſein verloren, was menſchlich zu leiſten. Sechsmal zerriß er Cöleſten ein Albumsblatt für einen griechiſchen Palikarenhäuptling. Welche bassesse in Form und Gedanken! Das muß anders tönen, meine Gute! Dieſes Volk iſt an die Solitaire eines Byron gewöhnt, und Apoll ſelbſt nennt es ſeinen Landsmann. Er vergaß ſich ſo weit, daß er ſie einſperrte und ihr die Nahrung entzog, bis ſie ſo klaſſiſch geworden, wie es ihm vorſchwebte. „Sing¬ vögel und Jagdhunde muß man kurz halten!“ Sie ſehen, es eilte zum Ende.
Und juſt an dieſem Tage kam der Pudel Omar mit ſeinem Ver¬ ehrer, Lord Ormond, an. Der edle Herr war inzwiſchen zwar nicht wirklich Lord geworden, aber er hatte einen Seitenverwandten aus der Gentry beerbt und konnte wieder ſtandesgemäß in England auftreten. Er verabſchiedete ſich von uns. Bei dieſer Gelegenheit beobachtete er es als eine Form der Höflichkeit, meiner Tochter die Hand zu bieten. Racheglühend, ich muß das Wort betonen, mein Herr, racheglühend nahm Cöleſte an. Augenblicklich ſetzte ſie ſich hin und ſchrieb — an Mr. Bennet ihre Verlobungskarte! Es iſt dieſer Gebrauch kein ſelteneer
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tur, ſondern einer, die ihren Tag abwartet. Bennet verſtand ſie nicht.
Er hielt den Himmel für ruhig und glaubte, er ſei der Donnerer
darauf, nicht ſie, der kleine reſervirte Trotzkopf.
In dieſer Verfaſſung waren die Gemüther, als der Tag von
Saratoga anbrach. Ich hoffte von der veränderten Hausordnung, von
dem heiteren Naturgenuß, von dem ganzen Schwung dieſer Ferien einen
heilſamen, mildernden Einfluß. Das Gegentheil kam. Wir waren di¬
rect in die Löwenhöhle getreten. Die Saiſon von Saratoga war eine
der glänzendſten: man ſah, daß die Pairskammer Karls X. und die
Fürſten der polniſchen Nation Nomaden geworden. Bennet begrüßte
von ſeinen drei europäiſchen Reiſen her viele alte Bekanntſchaften und
machte noch mehr neue. Die Albumsblätter wanderten im lebhafteſten
Austauſch hin und wieder. Kein Tag verging, daß nicht mehrere Un¬
ſterblichkeiten zu ſtiften waren. Denn ſo faßte es Bennet auf. Welch
eine Gelegenheit! Europas Pforten waren dem Dichterruhm ſeiner
Tochter geöffnet. Die haute volée aller Länder gab ſich zur Colpor¬
tage ihrer Verſe her. Wen dieſe Gelegenheit nicht begeiſterte, das war
ein Cretin, kein Menſch! Bennet's Forderungen kannten keine Grenzen
mehr! Er hatte alles Bewußtſein verloren, was menſchlich zu leiſten.
Sechsmal zerriß er Cöleſten ein Albumsblatt für einen griechiſchen
Palikarenhäuptling. Welche bassesse in Form und Gedanken! Das
muß anders tönen, meine Gute! Dieſes Volk iſt an die Solitaire
eines Byron gewöhnt, und Apoll ſelbſt nennt es ſeinen Landsmann.
Er vergaß ſich ſo weit, daß er ſie einſperrte und ihr die Nahrung
entzog, bis ſie ſo klaſſiſch geworden, wie es ihm vorſchwebte. „Sing¬
vögel und Jagdhunde muß man kurz halten!“ Sie ſehen, es eilte
zum Ende.
Und juſt an dieſem Tage kam der Pudel Omar mit ſeinem Ver¬
ehrer, Lord Ormond, an. Der edle Herr war inzwiſchen zwar nicht
wirklich Lord geworden, aber er hatte einen Seitenverwandten aus der
Gentry beerbt und konnte wieder ſtandesgemäß in England auftreten.
Er verabſchiedete ſich von uns. Bei dieſer Gelegenheit beobachtete er es
als eine Form der Höflichkeit, meiner Tochter die Hand zu bieten.
Racheglühend, ich muß das Wort betonen, mein Herr, racheglühend
nahm Cöleſte an. Augenblicklich ſetzte ſie ſich hin und ſchrieb — an
Mr. Bennet ihre Verlobungskarte! Es iſt dieſer Gebrauch kein ſelteneer
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Kürnberger, Ferdinand: Der Amerika-Müde. Frankfurt (Main), 1855, S. 490. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/kuernberger_amerikamuede_1855/508>, abgerufen am 24.11.2024.
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