Steinen nach mir werfen! jammerte das verzweifelnde Mädchen. Laß sie werfen, mein Kind, aber die letzten Steine werden Edelsteine sein! ant¬ wortete der Papa.
Ja, das ist ein griechischer Gott in einen Yankee gefahren! rief Mrs. Bennet mit Bitterkeit und Bewunderung zugleich. Jede Ader voll Poesie -- aber diese Gewaltthätigkeit gegen das Leben, diese Nicht¬ achtung der Natur, dieser grausame, unerbittliche Vertilgungstrieb gegen Alles was frei wachsen, was sein eigener Zweck auf seiner eige¬ nen Bodenspanne sein will, -- das ist Culturtrieb in amerikanischem Styl! Absolute Unfähigkeit zu schonen und zu lieben -- neunzig¬ gradiger Egoismus! Und doch -- dieses Ich, welch ein schönes, herr¬ liches ist es! Er macht unglücklich, nur weil er die Welt für unglück¬ lich hält, die nicht seines Sinnes ist. Auch war ich weit entfernt, und war er lange, mich selbst und meine Kinder für berechtigt zu halten neben ihm. Es ist was Ueberzeugendes, Hinreißendes in seinem Temperamente, etwas Fascinirendes, das in That und Willen den Widerstand irre macht. Man fühlt sich beschämt von solcher Größe, man glaubt immer von Neuem, daß sie möglich ist. Erst als ich die bleichen Wangen, die erloschenen Augen, die schleichenden Pulse, die kränkelnde Zartheit und Durchsichtigkeit von den jugendlichen Gestalten meiner armen Kleinen mit keinem Vorwand hinwegleugnen, mit keiner Geduld zu Ende warten konnte, fing ich an, die Erstlingseinwürfe meiner Mutterangst zu stammeln. Ah, Bennet belehrte mich eines Besseren! "Das ist die Flamme des Genies, welche die Materie auf¬ zehrt; man muß ihr Luft schaffen!" und nun kamen Bücher zu den Büchern, und Lehrer zu den Lehrern, und Aufgaben zu den Ar¬ beiten, und Luft wurde geschafft, daß uns der Athem stockte!
Das ist unser Familienleben, mein Herr. In Unterwerfung zu Grunde zu gehen, oder uns zu retten -- durch Rebellion, diese traurige Wahl bleibt uns allein. Die Kinder nähern sich dem Einen oder dem Andern, je nach der Verschiedenheit ihrer Inclinationen. Mein Sohn Edgar empörte sich zuerst. Als ein Knabe von eilf Jahren lief er in die Kriegsschule nach West-Point, und keine Macht der Welt wäre im Stande gewesen ihn zurückzuführen. Dort studirt er nun, -- mein mütterliches Auge entbehrt seinen Anblick. Erst seit Kurzem sehen wir uns öfter; lange hießen meine Besuche Conspiration!
Steinen nach mir werfen! jammerte das verzweifelnde Mädchen. Laß ſie werfen, mein Kind, aber die letzten Steine werden Edelſteine ſein! ant¬ wortete der Papa.
Ja, das iſt ein griechiſcher Gott in einen Yankee gefahren! rief Mrs. Bennet mit Bitterkeit und Bewunderung zugleich. Jede Ader voll Poeſie — aber dieſe Gewaltthätigkeit gegen das Leben, dieſe Nicht¬ achtung der Natur, dieſer grauſame, unerbittliche Vertilgungstrieb gegen Alles was frei wachſen, was ſein eigener Zweck auf ſeiner eige¬ nen Bodenſpanne ſein will, — das iſt Culturtrieb in amerikaniſchem Styl! Abſolute Unfähigkeit zu ſchonen und zu lieben — neunzig¬ gradiger Egoismus! Und doch — dieſes Ich, welch ein ſchönes, herr¬ liches iſt es! Er macht unglücklich, nur weil er die Welt für unglück¬ lich hält, die nicht ſeines Sinnes iſt. Auch war ich weit entfernt, und war er lange, mich ſelbſt und meine Kinder für berechtigt zu halten neben ihm. Es iſt was Ueberzeugendes, Hinreißendes in ſeinem Temperamente, etwas Fascinirendes, das in That und Willen den Widerſtand irre macht. Man fühlt ſich beſchämt von ſolcher Größe, man glaubt immer von Neuem, daß ſie möglich iſt. Erſt als ich die bleichen Wangen, die erloſchenen Augen, die ſchleichenden Pulſe, die kränkelnde Zartheit und Durchſichtigkeit von den jugendlichen Geſtalten meiner armen Kleinen mit keinem Vorwand hinwegleugnen, mit keiner Geduld zu Ende warten konnte, fing ich an, die Erſtlingseinwürfe meiner Mutterangſt zu ſtammeln. Ah, Bennet belehrte mich eines Beſſeren! „Das iſt die Flamme des Genies, welche die Materie auf¬ zehrt; man muß ihr Luft ſchaffen!“ und nun kamen Bücher zu den Büchern, und Lehrer zu den Lehrern, und Aufgaben zu den Ar¬ beiten, und Luft wurde geſchafft, daß uns der Athem ſtockte!
Das iſt unſer Familienleben, mein Herr. In Unterwerfung zu Grunde zu gehen, oder uns zu retten — durch Rebellion, dieſe traurige Wahl bleibt uns allein. Die Kinder nähern ſich dem Einen oder dem Andern, je nach der Verſchiedenheit ihrer Inclinationen. Mein Sohn Edgar empörte ſich zuerſt. Als ein Knabe von eilf Jahren lief er in die Kriegsſchule nach Weſt-Point, und keine Macht der Welt wäre im Stande geweſen ihn zurückzuführen. Dort ſtudirt er nun, — mein mütterliches Auge entbehrt ſeinen Anblick. Erſt ſeit Kurzem ſehen wir uns öfter; lange hießen meine Beſuche Conſpiration!
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Steinen nach mir werfen! jammerte das verzweifelnde Mädchen. Laß ſie
werfen, mein Kind, aber die letzten Steine werden Edelſteine ſein! ant¬
wortete der Papa.
Ja, das iſt ein griechiſcher Gott in einen Yankee gefahren! rief
Mrs. Bennet mit Bitterkeit und Bewunderung zugleich. Jede Ader
voll Poeſie — aber dieſe Gewaltthätigkeit gegen das Leben, dieſe Nicht¬
achtung der Natur, dieſer grauſame, unerbittliche Vertilgungstrieb
gegen Alles was frei wachſen, was ſein eigener Zweck auf ſeiner eige¬
nen Bodenſpanne ſein will, — das iſt Culturtrieb in amerikaniſchem
Styl! Abſolute Unfähigkeit zu ſchonen und zu lieben — neunzig¬
gradiger Egoismus! Und doch — dieſes Ich, welch ein ſchönes, herr¬
liches iſt es! Er macht unglücklich, nur weil er die Welt für unglück¬
lich hält, die nicht ſeines Sinnes iſt. Auch war ich weit entfernt,
und war er lange, mich ſelbſt und meine Kinder für berechtigt zu
halten neben ihm. Es iſt was Ueberzeugendes, Hinreißendes in ſeinem
Temperamente, etwas Fascinirendes, das in That und Willen den
Widerſtand irre macht. Man fühlt ſich beſchämt von ſolcher Größe,
man glaubt immer von Neuem, daß ſie möglich iſt. Erſt als ich die
bleichen Wangen, die erloſchenen Augen, die ſchleichenden Pulſe, die
kränkelnde Zartheit und Durchſichtigkeit von den jugendlichen Geſtalten
meiner armen Kleinen mit keinem Vorwand hinwegleugnen, mit keiner
Geduld zu Ende warten konnte, fing ich an, die Erſtlingseinwürfe
meiner Mutterangſt zu ſtammeln. Ah, Bennet belehrte mich eines
Beſſeren! „Das iſt die Flamme des Genies, welche die Materie auf¬
zehrt; man muß ihr Luft ſchaffen!“ und nun kamen Bücher zu den
Büchern, und Lehrer zu den Lehrern, und Aufgaben zu den Ar¬
beiten, und Luft wurde geſchafft, daß uns der Athem ſtockte!
Das iſt unſer Familienleben, mein Herr. In Unterwerfung zu
Grunde zu gehen, oder uns zu retten — durch Rebellion, dieſe
traurige Wahl bleibt uns allein. Die Kinder nähern ſich dem Einen
oder dem Andern, je nach der Verſchiedenheit ihrer Inclinationen.
Mein Sohn Edgar empörte ſich zuerſt. Als ein Knabe von eilf
Jahren lief er in die Kriegsſchule nach Weſt-Point, und keine Macht
der Welt wäre im Stande geweſen ihn zurückzuführen. Dort ſtudirt
er nun, — mein mütterliches Auge entbehrt ſeinen Anblick. Erſt ſeit
Kurzem ſehen wir uns öfter; lange hießen meine Beſuche Conſpiration!
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Kürnberger, Ferdinand: Der Amerika-Müde. Frankfurt (Main), 1855, S. 488. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/kuernberger_amerikamuede_1855/506>, abgerufen am 24.11.2024.
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