Gesundheit seiner Sinne, die deßungeachtet fortfuhren, ihm Vorstellun¬ gen und Bewußtsein zu vermitteln, ganz unerträglich. Ein Fieber- Delirium wäre ihm Wohlthat gewesen.
In diesem Zustande traf ihn der Aufwärter, der ihm ein Billet abzugeben hatte. Es war eine Einladung vom Hause Bennet zum Thee.
Mit den gemischtesten Gefühlen empfing Moorfeld dieses Blatt. Sein erster Schritt war vor den Spiegel. Leider! er sah Alles darin, was seit dem camp-meeting in Ohio bis zu dieser Stunde auf ihn eingestürmt. Und hätte er selbst sich darüber täuschen mögen: noch scholl ihm das unverfälschte Kindeswort Malvinens im Ohre: Ach, Sie sehen so blaß! Dieses Wort für einen Gang zu Bennet galt ihm, was alten Staaten ihre politischen Orakel.
Was war zu thun? Sich zu entschuldigen und das Haus seiner Sehnsucht so lange zu meiden, bis die Zeit über ihre eigenen Ver¬ wüstungen ihr Grün und ihre Rosen wieder geschlungen? Aber Das, was "die Zeit" heißt, diese jugendliche Huldgöttin alles Lebens, diese herrliche Kraft des Vergebens und Vergessens, -- stand sie nicht mit den vollsten Fruchtkörben ihres Labsals an Bennet's schönem Haus¬ altare selbst? Stand sie außer ihm, in trüber, selbstquälerischer Muße, im verzehrenden Hinbrüten, im bodenlosen Betrachten und Durchdenken Dessen, was ohne Boden ist, weil der Gute und Gebildete Roheit und Egoismus im letzten Augenblicke so wenig begreift, wie im ersten? Moorfeld wog seinen Entschluß hin und her. Er trat wiederholt vor den Spiegel. Also, ein Kranker, sollte er dieses Heiligthum betreten, ein Bedürftiger, Elender, statt ein Mittheilender, Reicher? In einer Entstellung, die jedes Kind verscheucht, sollte er sich zeigen, wo Alles in ihm brannte, seine beste, glänzendste Gestalt dem Auge zu bieten?
Aber indem Moorfeld noch zu schwanken schien, durchdrang Licht und Wärme schon alle Räume seiner Phantasie. Die Scenerie des Abends fing unwiderstehlich in ihm zu leben an. Es wogte von Flam¬ men, Bildern, Gestalten, Glanz, Fülle und Wohllaut um ihn her, Sinne und Seele waren nicht mehr sein, er dachte nichts Anderes mehr, als was in Verbindung mit jenem idealischen Schauplatze stand. Noch hatte er keinen Entschluß gefaßt, aber die Stimmung selbst war sein Entschluß.
Geſundheit ſeiner Sinne, die deßungeachtet fortfuhren, ihm Vorſtellun¬ gen und Bewußtſein zu vermitteln, ganz unerträglich. Ein Fieber- Delirium wäre ihm Wohlthat geweſen.
In dieſem Zuſtande traf ihn der Aufwärter, der ihm ein Billet abzugeben hatte. Es war eine Einladung vom Hauſe Bennet zum Thee.
Mit den gemiſchteſten Gefühlen empfing Moorfeld dieſes Blatt. Sein erſter Schritt war vor den Spiegel. Leider! er ſah Alles darin, was ſeit dem camp-meeting in Ohio bis zu dieſer Stunde auf ihn eingeſtürmt. Und hätte er ſelbſt ſich darüber täuſchen mögen: noch ſcholl ihm das unverfälſchte Kindeswort Malvinens im Ohre: Ach, Sie ſehen ſo blaß! Dieſes Wort für einen Gang zu Bennet galt ihm, was alten Staaten ihre politiſchen Orakel.
Was war zu thun? Sich zu entſchuldigen und das Haus ſeiner Sehnſucht ſo lange zu meiden, bis die Zeit über ihre eigenen Ver¬ wüſtungen ihr Grün und ihre Roſen wieder geſchlungen? Aber Das, was „die Zeit“ heißt, dieſe jugendliche Huldgöttin alles Lebens, dieſe herrliche Kraft des Vergebens und Vergeſſens, — ſtand ſie nicht mit den vollſten Fruchtkörben ihres Labſals an Bennet's ſchönem Haus¬ altare ſelbſt? Stand ſie außer ihm, in trüber, ſelbſtquäleriſcher Muße, im verzehrenden Hinbrüten, im bodenloſen Betrachten und Durchdenken Deſſen, was ohne Boden iſt, weil der Gute und Gebildete Roheit und Egoismus im letzten Augenblicke ſo wenig begreift, wie im erſten? Moorfeld wog ſeinen Entſchluß hin und her. Er trat wiederholt vor den Spiegel. Alſo, ein Kranker, ſollte er dieſes Heiligthum betreten, ein Bedürftiger, Elender, ſtatt ein Mittheilender, Reicher? In einer Entſtellung, die jedes Kind verſcheucht, ſollte er ſich zeigen, wo Alles in ihm brannte, ſeine beſte, glänzendſte Geſtalt dem Auge zu bieten?
Aber indem Moorfeld noch zu ſchwanken ſchien, durchdrang Licht und Wärme ſchon alle Räume ſeiner Phantaſie. Die Scenerie des Abends fing unwiderſtehlich in ihm zu leben an. Es wogte von Flam¬ men, Bildern, Geſtalten, Glanz, Fülle und Wohllaut um ihn her, Sinne und Seele waren nicht mehr ſein, er dachte nichts Anderes mehr, als was in Verbindung mit jenem idealiſchen Schauplatze ſtand. Noch hatte er keinen Entſchluß gefaßt, aber die Stimmung ſelbſt war ſein Entſchluß.
<TEI><text><body><divn="1"><divn="2"><p><pbfacs="#f0500"n="482"/>
Geſundheit ſeiner Sinne, die deßungeachtet fortfuhren, ihm Vorſtellun¬<lb/>
gen und Bewußtſein zu vermitteln, ganz unerträglich. Ein Fieber-<lb/>
Delirium wäre ihm Wohlthat geweſen.</p><lb/><p>In dieſem Zuſtande traf ihn der Aufwärter, der ihm ein Billet<lb/>
abzugeben hatte. Es war eine Einladung vom Hauſe Bennet zum Thee.</p><lb/><p>Mit den gemiſchteſten Gefühlen empfing Moorfeld dieſes Blatt.<lb/>
Sein erſter Schritt war vor den Spiegel. Leider! er ſah Alles darin,<lb/>
was ſeit dem <hirendition="#aq">camp-meeting</hi> in Ohio bis zu dieſer Stunde auf ihn<lb/>
eingeſtürmt. Und hätte er ſelbſt ſich darüber täuſchen mögen: noch<lb/>ſcholl ihm das unverfälſchte Kindeswort Malvinens im Ohre: Ach,<lb/>
Sie ſehen ſo blaß! Dieſes Wort für einen Gang zu Bennet galt<lb/>
ihm, was alten Staaten ihre politiſchen Orakel.</p><lb/><p>Was war zu thun? Sich zu entſchuldigen und das Haus ſeiner<lb/>
Sehnſucht ſo lange zu meiden, bis die Zeit über ihre eigenen Ver¬<lb/>
wüſtungen ihr Grün und ihre Roſen wieder geſchlungen? Aber Das,<lb/>
was „die Zeit“ heißt, dieſe jugendliche Huldgöttin alles Lebens, dieſe<lb/>
herrliche Kraft des Vergebens und Vergeſſens, —ſtand ſie nicht mit<lb/>
den vollſten Fruchtkörben ihres Labſals an Bennet's ſchönem Haus¬<lb/>
altare ſelbſt? Stand ſie außer ihm, in trüber, ſelbſtquäleriſcher Muße,<lb/>
im verzehrenden Hinbrüten, im bodenloſen Betrachten und Durchdenken<lb/>
Deſſen, was ohne Boden iſt, weil der Gute und Gebildete Roheit<lb/>
und Egoismus im letzten Augenblicke ſo wenig begreift, wie im erſten?<lb/>
Moorfeld wog ſeinen Entſchluß hin und her. Er trat wiederholt vor<lb/>
den Spiegel. Alſo, ein Kranker, ſollte er dieſes Heiligthum betreten,<lb/>
ein Bedürftiger, Elender, ſtatt ein Mittheilender, Reicher? In einer<lb/>
Entſtellung, die jedes Kind verſcheucht, ſollte er ſich zeigen, wo Alles<lb/>
in ihm brannte, ſeine beſte, glänzendſte Geſtalt dem Auge zu bieten?</p><lb/><p>Aber indem Moorfeld noch zu ſchwanken ſchien, durchdrang Licht<lb/>
und Wärme ſchon alle Räume ſeiner Phantaſie. Die Scenerie des<lb/>
Abends fing unwiderſtehlich in ihm zu leben an. Es wogte von Flam¬<lb/>
men, Bildern, Geſtalten, Glanz, Fülle und Wohllaut um ihn her,<lb/>
Sinne und Seele waren nicht mehr ſein, er dachte nichts Anderes<lb/>
mehr, als was in Verbindung mit jenem idealiſchen Schauplatze ſtand.<lb/>
Noch hatte er keinen Entſchluß gefaßt, aber die Stimmung ſelbſt war<lb/>ſein Entſchluß.</p><lb/></div></div></body></text></TEI>
[482/0500]
Geſundheit ſeiner Sinne, die deßungeachtet fortfuhren, ihm Vorſtellun¬
gen und Bewußtſein zu vermitteln, ganz unerträglich. Ein Fieber-
Delirium wäre ihm Wohlthat geweſen.
In dieſem Zuſtande traf ihn der Aufwärter, der ihm ein Billet
abzugeben hatte. Es war eine Einladung vom Hauſe Bennet zum Thee.
Mit den gemiſchteſten Gefühlen empfing Moorfeld dieſes Blatt.
Sein erſter Schritt war vor den Spiegel. Leider! er ſah Alles darin,
was ſeit dem camp-meeting in Ohio bis zu dieſer Stunde auf ihn
eingeſtürmt. Und hätte er ſelbſt ſich darüber täuſchen mögen: noch
ſcholl ihm das unverfälſchte Kindeswort Malvinens im Ohre: Ach,
Sie ſehen ſo blaß! Dieſes Wort für einen Gang zu Bennet galt
ihm, was alten Staaten ihre politiſchen Orakel.
Was war zu thun? Sich zu entſchuldigen und das Haus ſeiner
Sehnſucht ſo lange zu meiden, bis die Zeit über ihre eigenen Ver¬
wüſtungen ihr Grün und ihre Roſen wieder geſchlungen? Aber Das,
was „die Zeit“ heißt, dieſe jugendliche Huldgöttin alles Lebens, dieſe
herrliche Kraft des Vergebens und Vergeſſens, — ſtand ſie nicht mit
den vollſten Fruchtkörben ihres Labſals an Bennet's ſchönem Haus¬
altare ſelbſt? Stand ſie außer ihm, in trüber, ſelbſtquäleriſcher Muße,
im verzehrenden Hinbrüten, im bodenloſen Betrachten und Durchdenken
Deſſen, was ohne Boden iſt, weil der Gute und Gebildete Roheit
und Egoismus im letzten Augenblicke ſo wenig begreift, wie im erſten?
Moorfeld wog ſeinen Entſchluß hin und her. Er trat wiederholt vor
den Spiegel. Alſo, ein Kranker, ſollte er dieſes Heiligthum betreten,
ein Bedürftiger, Elender, ſtatt ein Mittheilender, Reicher? In einer
Entſtellung, die jedes Kind verſcheucht, ſollte er ſich zeigen, wo Alles
in ihm brannte, ſeine beſte, glänzendſte Geſtalt dem Auge zu bieten?
Aber indem Moorfeld noch zu ſchwanken ſchien, durchdrang Licht
und Wärme ſchon alle Räume ſeiner Phantaſie. Die Scenerie des
Abends fing unwiderſtehlich in ihm zu leben an. Es wogte von Flam¬
men, Bildern, Geſtalten, Glanz, Fülle und Wohllaut um ihn her,
Sinne und Seele waren nicht mehr ſein, er dachte nichts Anderes
mehr, als was in Verbindung mit jenem idealiſchen Schauplatze ſtand.
Noch hatte er keinen Entſchluß gefaßt, aber die Stimmung ſelbſt war
ſein Entſchluß.
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Sie haben einen Fehler gefunden?
Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform
DTAQ melden.
Kommentar zur DTA-Ausgabe
Dieses Werk wurde von OCR-Software automatisch erfasst und anschließend
gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien
von Muttersprachlern nachkontrolliert. Es wurde gemäß dem
DTA-Basisformat in XML/TEI P5 kodiert.
Kürnberger, Ferdinand: Der Amerika-Müde. Frankfurt (Main), 1855, S. 482. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/kuernberger_amerikamuede_1855/500>, abgerufen am 03.12.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.