dieser Stunde die Ihrige ergreifen durfte. Keinem Amerikaner hätte ich die Ehre gegönnt, die Hand zu berühren, aus welcher Mozart das Gedicht seines Don Juan empfangen. Ganz füllt mich die Vorstellung aus, was diese Hand der Welt geleistet hat. Ist doch Musik die ein¬ zige Kunst, in der wir mit einer selbstständigen Cultur dem Alterthum gegenübertreten, in der wir unsre Laokoone, unsere Illiaden ohne Vorbild erschaffen! Ist doch Don Juan die höchste Blüthe dieser musikalischen Kunst, die süßeste und gewaltigste Botschaft des modernen Menschen¬ herzens ! Und daß dieser Ehrenkranz der neueren Kunst vor Allem aus Ihren Versen herauslaubte, bei Gott, das hat kein Zufall gefügt! Ich habe Ihr Drama giocoso: Don Giovanni, ossia il dissoluto punito stets bewundert. Es ist schwierig, vielleicht unmöglich ein musikalisches Drama zu schreiben. Die Musik bedarf der Leidenschaften und Affecte; das Drama motivirt Leidenschaften und Affecte. Motivirung ist eine Ver¬ standesoperation; diese widerstrebt der Musik. Eine Handlung voll wirk¬ licher Leidenschaften, welche auf dem kürzesten Wege sich motiviren: das ist das Ideal eines musikalischen Dramas. Ihr Don Giovanni hat dieses Ideal wie unter einer Constellation aller günstigen Sterne erreicht. Nur Einmal, seit für Musik gedichtet wird, trat solch eine Gruppe zu sol¬ chen Wirkungen zusammen! Das ganze Buch ist musikalisches Vollblut. Ich sehe allerlei Personen in ihrem Singspiele auftreten, hohe und niedere. Die niederen, Leporello, Masetto, Zerline, sind musikalisch durch sich selbst. Sie sitzen an der Quelle der Musik, im Volke, und dem Volke wird nicht der höchste, sondern aller Affect zum Liede. Diese Menschen sind sangbar ohne Weiteres. Dann aber stellen Sie auch vornehme und gebildete Personen in Ihr Gedicht, welche eine unge¬ heure Kluft von der Leidenschaft trennt. Sollen erzogene Menschen nicht Gemeinplätze singen, so ist kaum abzusehen, wie sie der Quelle des Gesanges, der Aufregung, auf kürzestem Wege nahe zu bringen. Wir haben ein deutsches Drama: Torquato Tasso genannt und dieses kann, wie in einem Spiegel, uns zeigen, welch weitläufiger und künst¬ licher Operationen es bedarf, daß ein Hofcavalier den Degen zieht, und daß ein anderer Hofcavalier eine Prinzessin umarmt -- das heißt, daß die Sitte zur Leidenschaft vordringe. Und nun fliegt der Vorhang Ihres Dramas auf! Und nun sehe ich einen Don Juan, einen modernen Giganten, welcher seine Sinnenkraft über die Weltordnung setzt, --
dieſer Stunde die Ihrige ergreifen durfte. Keinem Amerikaner hätte ich die Ehre gegönnt, die Hand zu berühren, aus welcher Mozart das Gedicht ſeines Don Juan empfangen. Ganz füllt mich die Vorſtellung aus, was dieſe Hand der Welt geleiſtet hat. Iſt doch Muſik die ein¬ zige Kunſt, in der wir mit einer ſelbſtſtändigen Cultur dem Alterthum gegenübertreten, in der wir unſre Laokoone, unſere Illiaden ohne Vorbild erſchaffen! Iſt doch Don Juan die höchſte Blüthe dieſer muſikaliſchen Kunſt, die ſüßeſte und gewaltigſte Botſchaft des modernen Menſchen¬ herzens ! Und daß dieſer Ehrenkranz der neueren Kunſt vor Allem aus Ihren Verſen herauslaubte, bei Gott, das hat kein Zufall gefügt! Ich habe Ihr Drama giocoso: Don Giovanni, ossia il dissoluto punito ſtets bewundert. Es iſt ſchwierig, vielleicht unmöglich ein muſikaliſches Drama zu ſchreiben. Die Muſik bedarf der Leidenſchaften und Affecte; das Drama motivirt Leidenſchaften und Affecte. Motivirung iſt eine Ver¬ ſtandesoperation; dieſe widerſtrebt der Muſik. Eine Handlung voll wirk¬ licher Leidenſchaften, welche auf dem kürzeſten Wege ſich motiviren: das iſt das Ideal eines muſikaliſchen Dramas. Ihr Don Giovanni hat dieſes Ideal wie unter einer Conſtellation aller günſtigen Sterne erreicht. Nur Einmal, ſeit für Muſik gedichtet wird, trat ſolch eine Gruppe zu ſol¬ chen Wirkungen zuſammen! Das ganze Buch iſt muſikaliſches Vollblut. Ich ſehe allerlei Perſonen in ihrem Singſpiele auftreten, hohe und niedere. Die niederen, Leporello, Maſetto, Zerline, ſind muſikaliſch durch ſich ſelbſt. Sie ſitzen an der Quelle der Muſik, im Volke, und dem Volke wird nicht der höchſte, ſondern aller Affect zum Liede. Dieſe Menſchen ſind ſangbar ohne Weiteres. Dann aber ſtellen Sie auch vornehme und gebildete Perſonen in Ihr Gedicht, welche eine unge¬ heure Kluft von der Leidenſchaft trennt. Sollen erzogene Menſchen nicht Gemeinplätze ſingen, ſo iſt kaum abzuſehen, wie ſie der Quelle des Geſanges, der Aufregung, auf kürzeſtem Wege nahe zu bringen. Wir haben ein deutſches Drama: Torquato Taſſo genannt und dieſes kann, wie in einem Spiegel, uns zeigen, welch weitläufiger und künſt¬ licher Operationen es bedarf, daß ein Hofcavalier den Degen zieht, und daß ein anderer Hofcavalier eine Prinzeſſin umarmt — das heißt, daß die Sitte zur Leidenſchaft vordringe. Und nun fliegt der Vorhang Ihres Dramas auf! Und nun ſehe ich einen Don Juan, einen modernen Giganten, welcher ſeine Sinnenkraft über die Weltordnung ſetzt, —
<TEI><text><body><divn="1"><divn="2"><p><pbfacs="#f0490"n="472"/>
dieſer Stunde die Ihrige ergreifen durfte. Keinem Amerikaner hätte<lb/>
ich die Ehre gegönnt, die Hand zu berühren, aus welcher Mozart das<lb/>
Gedicht ſeines Don Juan empfangen. Ganz füllt mich die Vorſtellung<lb/>
aus, was dieſe Hand der Welt geleiſtet hat. Iſt doch Muſik die ein¬<lb/>
zige Kunſt, in der wir mit einer ſelbſtſtändigen Cultur dem Alterthum<lb/>
gegenübertreten, in der wir unſre Laokoone, unſere Illiaden ohne Vorbild<lb/>
erſchaffen! Iſt doch Don Juan die höchſte Blüthe dieſer muſikaliſchen<lb/>
Kunſt, die ſüßeſte und gewaltigſte Botſchaft des modernen Menſchen¬<lb/>
herzens ! Und daß dieſer Ehrenkranz der neueren Kunſt vor Allem<lb/>
aus <hirendition="#g">Ihren</hi> Verſen herauslaubte, bei Gott, das hat kein Zufall gefügt!<lb/>
Ich habe Ihr <hirendition="#aq">Drama giocoso: Don Giovanni</hi>, <hirendition="#aq">ossia il dissoluto punito</hi><lb/>ſtets bewundert. Es iſt ſchwierig, vielleicht unmöglich ein muſikaliſches<lb/>
Drama zu ſchreiben. Die Muſik bedarf der Leidenſchaften und Affecte; das<lb/>
Drama <hirendition="#g">motivirt</hi> Leidenſchaften und Affecte. Motivirung iſt eine Ver¬<lb/>ſtandesoperation; dieſe widerſtrebt der Muſik. Eine Handlung voll <hirendition="#g">wirk</hi>¬<lb/><hirendition="#g">licher</hi> Leidenſchaften, welche auf dem <hirendition="#g">kürzeſten</hi> Wege ſich motiviren: das<lb/>
iſt das Ideal eines muſikaliſchen Dramas. Ihr Don Giovanni hat dieſes<lb/>
Ideal wie unter einer Conſtellation aller günſtigen Sterne erreicht. Nur<lb/>
Einmal, ſeit für Muſik gedichtet wird, trat ſolch eine Gruppe zu ſol¬<lb/>
chen Wirkungen zuſammen! Das ganze Buch iſt muſikaliſches Vollblut.<lb/>
Ich ſehe allerlei Perſonen in ihrem Singſpiele auftreten, hohe und<lb/>
niedere. Die niederen, Leporello, Maſetto, Zerline, ſind muſikaliſch<lb/>
durch ſich ſelbſt. Sie ſitzen an der Quelle der Muſik, im Volke, und<lb/>
dem Volke wird nicht der höchſte, ſondern aller Affect zum Liede. Dieſe<lb/>
Menſchen ſind ſangbar ohne Weiteres. Dann aber ſtellen Sie auch<lb/>
vornehme und gebildete Perſonen in Ihr Gedicht, welche eine unge¬<lb/>
heure Kluft von der Leidenſchaft trennt. Sollen <hirendition="#g">erzogene</hi> Menſchen<lb/>
nicht Gemeinplätze ſingen, ſo iſt kaum abzuſehen, wie ſie der Quelle<lb/>
des Geſanges, der Aufregung, auf <hirendition="#g">kürzeſtem</hi> Wege nahe zu bringen.<lb/>
Wir haben ein deutſches Drama: Torquato Taſſo genannt und dieſes<lb/>
kann, wie in einem Spiegel, uns zeigen, welch weitläufiger und künſt¬<lb/>
licher Operationen es bedarf, daß ein Hofcavalier den Degen zieht,<lb/>
und daß ein anderer Hofcavalier eine Prinzeſſin umarmt — das heißt,<lb/>
daß die Sitte zur Leidenſchaft vordringe. Und nun fliegt der<lb/>
Vorhang Ihres Dramas auf! Und nun ſehe ich einen Don Juan, einen<lb/>
modernen Giganten, welcher ſeine Sinnenkraft über die Weltordnung ſetzt, —<lb/></p></div></div></body></text></TEI>
[472/0490]
dieſer Stunde die Ihrige ergreifen durfte. Keinem Amerikaner hätte
ich die Ehre gegönnt, die Hand zu berühren, aus welcher Mozart das
Gedicht ſeines Don Juan empfangen. Ganz füllt mich die Vorſtellung
aus, was dieſe Hand der Welt geleiſtet hat. Iſt doch Muſik die ein¬
zige Kunſt, in der wir mit einer ſelbſtſtändigen Cultur dem Alterthum
gegenübertreten, in der wir unſre Laokoone, unſere Illiaden ohne Vorbild
erſchaffen! Iſt doch Don Juan die höchſte Blüthe dieſer muſikaliſchen
Kunſt, die ſüßeſte und gewaltigſte Botſchaft des modernen Menſchen¬
herzens ! Und daß dieſer Ehrenkranz der neueren Kunſt vor Allem
aus Ihren Verſen herauslaubte, bei Gott, das hat kein Zufall gefügt!
Ich habe Ihr Drama giocoso: Don Giovanni, ossia il dissoluto punito
ſtets bewundert. Es iſt ſchwierig, vielleicht unmöglich ein muſikaliſches
Drama zu ſchreiben. Die Muſik bedarf der Leidenſchaften und Affecte; das
Drama motivirt Leidenſchaften und Affecte. Motivirung iſt eine Ver¬
ſtandesoperation; dieſe widerſtrebt der Muſik. Eine Handlung voll wirk¬
licher Leidenſchaften, welche auf dem kürzeſten Wege ſich motiviren: das
iſt das Ideal eines muſikaliſchen Dramas. Ihr Don Giovanni hat dieſes
Ideal wie unter einer Conſtellation aller günſtigen Sterne erreicht. Nur
Einmal, ſeit für Muſik gedichtet wird, trat ſolch eine Gruppe zu ſol¬
chen Wirkungen zuſammen! Das ganze Buch iſt muſikaliſches Vollblut.
Ich ſehe allerlei Perſonen in ihrem Singſpiele auftreten, hohe und
niedere. Die niederen, Leporello, Maſetto, Zerline, ſind muſikaliſch
durch ſich ſelbſt. Sie ſitzen an der Quelle der Muſik, im Volke, und
dem Volke wird nicht der höchſte, ſondern aller Affect zum Liede. Dieſe
Menſchen ſind ſangbar ohne Weiteres. Dann aber ſtellen Sie auch
vornehme und gebildete Perſonen in Ihr Gedicht, welche eine unge¬
heure Kluft von der Leidenſchaft trennt. Sollen erzogene Menſchen
nicht Gemeinplätze ſingen, ſo iſt kaum abzuſehen, wie ſie der Quelle
des Geſanges, der Aufregung, auf kürzeſtem Wege nahe zu bringen.
Wir haben ein deutſches Drama: Torquato Taſſo genannt und dieſes
kann, wie in einem Spiegel, uns zeigen, welch weitläufiger und künſt¬
licher Operationen es bedarf, daß ein Hofcavalier den Degen zieht,
und daß ein anderer Hofcavalier eine Prinzeſſin umarmt — das heißt,
daß die Sitte zur Leidenſchaft vordringe. Und nun fliegt der
Vorhang Ihres Dramas auf! Und nun ſehe ich einen Don Juan, einen
modernen Giganten, welcher ſeine Sinnenkraft über die Weltordnung ſetzt, —
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Sie haben einen Fehler gefunden?
Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform
DTAQ melden.
Kommentar zur DTA-Ausgabe
Dieses Werk wurde von OCR-Software automatisch erfasst und anschließend
gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien
von Muttersprachlern nachkontrolliert. Es wurde gemäß dem
DTA-Basisformat in XML/TEI P5 kodiert.
Kürnberger, Ferdinand: Der Amerika-Müde. Frankfurt (Main), 1855, S. 472. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/kuernberger_amerikamuede_1855/490>, abgerufen am 25.11.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.