einer musterhaften Aufführung beflissen, habe unter Anderem nicht am Familientisch, wie es doch Recht und Sitte unserer weiblichen Do¬ mestiken, sondern abgesondert gespeist, -- eine vorgebliche "Grille", in welcher Miß B * * allen Zartsinn verrieth, der ihr in ihrer Lage überhaupt möglich war.
Moorfeld hielt plötzlich inne. An dieser Stelle blitzte eine Ahnung in ihm auf. Er errinnerte sich an das Kammermädchen Betty bei weiland Staunton. Der Zug, welcher hier angegeben war: abgeson¬ derter Tisch von der Herrnfamilie, wies zuerst mit Besonderheit auf sie. Augenblicks überlas er von Neuem, und nun fiel aus jeder Zeile Licht in sein Auge. Auch die Vorbereitungsstudien zu einer Schul¬ stelle fanden sich besprochen. Moorfeld ließ das Blatt aus den Hän¬ den sinken und starrte. Welch eine Entdeckung! welch ein Sittenbild! welch ein Erstlingsgruß Newyork's an den Zurückkehrenden!
Er sank verworren in sich zusammen. Ein später, unruhiger Schlaf jagte ihn durch ein Chaos von Träumen. Benthal und das Fieber drangen aus allen Fugen dazwischen vor. Eine nebliche Morgensonne erhob sich über sein Lager und rief ihn in ein wüstes Tagesbewußt¬ sein. Er warf den "Sun" ins Kamin, machte verstört Toilette und stand -- nachdem er noch einen Umweg über die Battery genommen, um seinen Namen in Bennet's Visitenbuch zu schreiben, -- zur üblichen Besuchsstunde iu Frau v. Milden's Zimmer.
Zweites Kapitel.
Nun, mein Kind, wie nimmst du dich? Kennst du den Herrn Baron -- den Herrn Doctor, wollt' ich sagen, nicht mehr?
Die kleine Malwine drückte sich scheu in den Winkel von Wand und Sopha und schüttelte den Kopf.
Ist das nicht derselbe Herr, welcher die Güte gehabt, dich nach Mr. Mockingbird's Schule zu fahren und welcher uns einst einen freundlichen Besuch zum Thee geschenkt?
einer muſterhaften Aufführung befliſſen, habe unter Anderem nicht am Familientiſch, wie es doch Recht und Sitte unſerer weiblichen Do¬ meſtiken, ſondern abgeſondert geſpeist, — eine vorgebliche „Grille“, in welcher Miß B * * allen Zartſinn verrieth, der ihr in ihrer Lage überhaupt möglich war.
Moorfeld hielt plötzlich inne. An dieſer Stelle blitzte eine Ahnung in ihm auf. Er errinnerte ſich an das Kammermädchen Betty bei weiland Staunton. Der Zug, welcher hier angegeben war: abgeſon¬ derter Tiſch von der Herrnfamilie, wies zuerſt mit Beſonderheit auf ſie. Augenblicks überlas er von Neuem, und nun fiel aus jeder Zeile Licht in ſein Auge. Auch die Vorbereitungsſtudien zu einer Schul¬ ſtelle fanden ſich beſprochen. Moorfeld ließ das Blatt aus den Hän¬ den ſinken und ſtarrte. Welch eine Entdeckung! welch ein Sittenbild! welch ein Erſtlingsgruß Newyork's an den Zurückkehrenden!
Er ſank verworren in ſich zuſammen. Ein ſpäter, unruhiger Schlaf jagte ihn durch ein Chaos von Träumen. Benthal und das Fieber drangen aus allen Fugen dazwiſchen vor. Eine nebliche Morgenſonne erhob ſich über ſein Lager und rief ihn in ein wüſtes Tagesbewußt¬ ſein. Er warf den „Sun“ ins Kamin, machte verſtört Toilette und ſtand — nachdem er noch einen Umweg über die Battery genommen, um ſeinen Namen in Bennet's Viſitenbuch zu ſchreiben, — zur üblichen Beſuchsſtunde iu Frau v. Milden's Zimmer.
Zweites Kapitel.
Nun, mein Kind, wie nimmſt du dich? Kennſt du den Herrn Baron — den Herrn Doctor, wollt' ich ſagen, nicht mehr?
Die kleine Malwine drückte ſich ſcheu in den Winkel von Wand und Sopha und ſchüttelte den Kopf.
Iſt das nicht derſelbe Herr, welcher die Güte gehabt, dich nach Mr. Mockingbird's Schule zu fahren und welcher uns einſt einen freundlichen Beſuch zum Thee geſchenkt?
<TEI><text><body><divn="1"><divn="2"><p><pbfacs="#f0475"n="457"/>
einer muſterhaften Aufführung befliſſen, habe unter Anderem nicht am<lb/>
Familientiſch, wie es doch Recht und Sitte unſerer weiblichen Do¬<lb/>
meſtiken, ſondern abgeſondert geſpeist, — eine vorgebliche „Grille“,<lb/>
in welcher Miß B * * allen Zartſinn verrieth, der ihr in ihrer Lage<lb/>
überhaupt möglich war.</p><lb/><p>Moorfeld hielt plötzlich inne. An dieſer Stelle blitzte eine Ahnung<lb/>
in ihm auf. Er errinnerte ſich an das Kammermädchen Betty bei<lb/>
weiland Staunton. Der Zug, welcher hier angegeben war: abgeſon¬<lb/>
derter Tiſch von der Herrnfamilie, wies zuerſt mit Beſonderheit auf<lb/>ſie. Augenblicks überlas er von Neuem, und nun fiel aus jeder Zeile<lb/>
Licht in ſein Auge. Auch die Vorbereitungsſtudien zu einer Schul¬<lb/>ſtelle fanden ſich beſprochen. Moorfeld ließ das Blatt aus den Hän¬<lb/>
den ſinken und ſtarrte. Welch eine Entdeckung! welch ein Sittenbild!<lb/>
welch ein Erſtlingsgruß Newyork's an den Zurückkehrenden!</p><lb/><p>Er ſank verworren in ſich zuſammen. Ein ſpäter, unruhiger Schlaf<lb/>
jagte ihn durch ein Chaos von Träumen. Benthal und das Fieber<lb/>
drangen aus allen Fugen dazwiſchen vor. Eine nebliche Morgenſonne<lb/>
erhob ſich über ſein Lager und rief ihn in ein wüſtes Tagesbewußt¬<lb/>ſein. Er warf den „Sun“ ins Kamin, machte verſtört Toilette und<lb/>ſtand — nachdem er noch einen Umweg über die Battery genommen, um<lb/>ſeinen Namen in Bennet's Viſitenbuch zu ſchreiben, — zur üblichen<lb/>
Beſuchsſtunde iu Frau v. Milden's Zimmer.</p><lb/><milestonerendition="#hr"unit="section"/></div><divn="2"><head><hirendition="#b #g">Zweites Kapitel.</hi><lb/></head><milestonerendition="#hr"unit="section"/><p>Nun, mein Kind, wie nimmſt du dich? Kennſt du den Herrn<lb/>
Baron — den Herrn Doctor, wollt' ich ſagen, nicht mehr?</p><lb/><p>Die kleine Malwine drückte ſich ſcheu in den Winkel von Wand<lb/>
und Sopha und ſchüttelte den Kopf.</p><lb/><p>Iſt das nicht derſelbe Herr, welcher die Güte gehabt, dich nach<lb/>
Mr. Mockingbird's Schule zu fahren und welcher uns einſt einen<lb/>
freundlichen Beſuch zum Thee geſchenkt?</p><lb/></div></div></body></text></TEI>
[457/0475]
einer muſterhaften Aufführung befliſſen, habe unter Anderem nicht am
Familientiſch, wie es doch Recht und Sitte unſerer weiblichen Do¬
meſtiken, ſondern abgeſondert geſpeist, — eine vorgebliche „Grille“,
in welcher Miß B * * allen Zartſinn verrieth, der ihr in ihrer Lage
überhaupt möglich war.
Moorfeld hielt plötzlich inne. An dieſer Stelle blitzte eine Ahnung
in ihm auf. Er errinnerte ſich an das Kammermädchen Betty bei
weiland Staunton. Der Zug, welcher hier angegeben war: abgeſon¬
derter Tiſch von der Herrnfamilie, wies zuerſt mit Beſonderheit auf
ſie. Augenblicks überlas er von Neuem, und nun fiel aus jeder Zeile
Licht in ſein Auge. Auch die Vorbereitungsſtudien zu einer Schul¬
ſtelle fanden ſich beſprochen. Moorfeld ließ das Blatt aus den Hän¬
den ſinken und ſtarrte. Welch eine Entdeckung! welch ein Sittenbild!
welch ein Erſtlingsgruß Newyork's an den Zurückkehrenden!
Er ſank verworren in ſich zuſammen. Ein ſpäter, unruhiger Schlaf
jagte ihn durch ein Chaos von Träumen. Benthal und das Fieber
drangen aus allen Fugen dazwiſchen vor. Eine nebliche Morgenſonne
erhob ſich über ſein Lager und rief ihn in ein wüſtes Tagesbewußt¬
ſein. Er warf den „Sun“ ins Kamin, machte verſtört Toilette und
ſtand — nachdem er noch einen Umweg über die Battery genommen, um
ſeinen Namen in Bennet's Viſitenbuch zu ſchreiben, — zur üblichen
Beſuchsſtunde iu Frau v. Milden's Zimmer.
Zweites Kapitel.
Nun, mein Kind, wie nimmſt du dich? Kennſt du den Herrn
Baron — den Herrn Doctor, wollt' ich ſagen, nicht mehr?
Die kleine Malwine drückte ſich ſcheu in den Winkel von Wand
und Sopha und ſchüttelte den Kopf.
Iſt das nicht derſelbe Herr, welcher die Güte gehabt, dich nach
Mr. Mockingbird's Schule zu fahren und welcher uns einſt einen
freundlichen Beſuch zum Thee geſchenkt?
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Sie haben einen Fehler gefunden?
Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform
DTAQ melden.
Kommentar zur DTA-Ausgabe
Dieses Werk wurde von OCR-Software automatisch erfasst und anschließend
gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien
von Muttersprachlern nachkontrolliert. Es wurde gemäß dem
DTA-Basisformat in XML/TEI P5 kodiert.
Kürnberger, Ferdinand: Der Amerika-Müde. Frankfurt (Main), 1855, S. 457. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/kuernberger_amerikamuede_1855/475>, abgerufen am 21.11.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.