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Kürnberger, Ferdinand: Der Amerika-Müde. Frankfurt (Main), 1855.

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einer musterhaften Aufführung beflissen, habe unter Anderem nicht am
Familientisch, wie es doch Recht und Sitte unserer weiblichen Do¬
mestiken, sondern abgesondert gespeist, -- eine vorgebliche "Grille",
in welcher Miß B * * allen Zartsinn verrieth, der ihr in ihrer Lage
überhaupt möglich war.

Moorfeld hielt plötzlich inne. An dieser Stelle blitzte eine Ahnung
in ihm auf. Er errinnerte sich an das Kammermädchen Betty bei
weiland Staunton. Der Zug, welcher hier angegeben war: abgeson¬
derter Tisch von der Herrnfamilie, wies zuerst mit Besonderheit auf
sie. Augenblicks überlas er von Neuem, und nun fiel aus jeder Zeile
Licht in sein Auge. Auch die Vorbereitungsstudien zu einer Schul¬
stelle fanden sich besprochen. Moorfeld ließ das Blatt aus den Hän¬
den sinken und starrte. Welch eine Entdeckung! welch ein Sittenbild!
welch ein Erstlingsgruß Newyork's an den Zurückkehrenden!

Er sank verworren in sich zusammen. Ein später, unruhiger Schlaf
jagte ihn durch ein Chaos von Träumen. Benthal und das Fieber
drangen aus allen Fugen dazwischen vor. Eine nebliche Morgensonne
erhob sich über sein Lager und rief ihn in ein wüstes Tagesbewußt¬
sein. Er warf den "Sun" ins Kamin, machte verstört Toilette und
stand -- nachdem er noch einen Umweg über die Battery genommen, um
seinen Namen in Bennet's Visitenbuch zu schreiben, -- zur üblichen
Besuchsstunde iu Frau v. Milden's Zimmer.


Zweites Kapitel.

Nun, mein Kind, wie nimmst du dich? Kennst du den Herrn
Baron -- den Herrn Doctor, wollt' ich sagen, nicht mehr?

Die kleine Malwine drückte sich scheu in den Winkel von Wand
und Sopha und schüttelte den Kopf.

Ist das nicht derselbe Herr, welcher die Güte gehabt, dich nach
Mr. Mockingbird's Schule zu fahren und welcher uns einst einen
freundlichen Besuch zum Thee geschenkt?

einer muſterhaften Aufführung befliſſen, habe unter Anderem nicht am
Familientiſch, wie es doch Recht und Sitte unſerer weiblichen Do¬
meſtiken, ſondern abgeſondert geſpeist, — eine vorgebliche „Grille“,
in welcher Miß B * * allen Zartſinn verrieth, der ihr in ihrer Lage
überhaupt möglich war.

Moorfeld hielt plötzlich inne. An dieſer Stelle blitzte eine Ahnung
in ihm auf. Er errinnerte ſich an das Kammermädchen Betty bei
weiland Staunton. Der Zug, welcher hier angegeben war: abgeſon¬
derter Tiſch von der Herrnfamilie, wies zuerſt mit Beſonderheit auf
ſie. Augenblicks überlas er von Neuem, und nun fiel aus jeder Zeile
Licht in ſein Auge. Auch die Vorbereitungsſtudien zu einer Schul¬
ſtelle fanden ſich beſprochen. Moorfeld ließ das Blatt aus den Hän¬
den ſinken und ſtarrte. Welch eine Entdeckung! welch ein Sittenbild!
welch ein Erſtlingsgruß Newyork's an den Zurückkehrenden!

Er ſank verworren in ſich zuſammen. Ein ſpäter, unruhiger Schlaf
jagte ihn durch ein Chaos von Träumen. Benthal und das Fieber
drangen aus allen Fugen dazwiſchen vor. Eine nebliche Morgenſonne
erhob ſich über ſein Lager und rief ihn in ein wüſtes Tagesbewußt¬
ſein. Er warf den „Sun“ ins Kamin, machte verſtört Toilette und
ſtand — nachdem er noch einen Umweg über die Battery genommen, um
ſeinen Namen in Bennet's Viſitenbuch zu ſchreiben, — zur üblichen
Beſuchsſtunde iu Frau v. Milden's Zimmer.


Zweites Kapitel.

Nun, mein Kind, wie nimmſt du dich? Kennſt du den Herrn
Baron — den Herrn Doctor, wollt' ich ſagen, nicht mehr?

Die kleine Malwine drückte ſich ſcheu in den Winkel von Wand
und Sopha und ſchüttelte den Kopf.

Iſt das nicht derſelbe Herr, welcher die Güte gehabt, dich nach
Mr. Mockingbird's Schule zu fahren und welcher uns einſt einen
freundlichen Beſuch zum Thee geſchenkt?

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[457/0475] einer muſterhaften Aufführung befliſſen, habe unter Anderem nicht am Familientiſch, wie es doch Recht und Sitte unſerer weiblichen Do¬ meſtiken, ſondern abgeſondert geſpeist, — eine vorgebliche „Grille“, in welcher Miß B * * allen Zartſinn verrieth, der ihr in ihrer Lage überhaupt möglich war. Moorfeld hielt plötzlich inne. An dieſer Stelle blitzte eine Ahnung in ihm auf. Er errinnerte ſich an das Kammermädchen Betty bei weiland Staunton. Der Zug, welcher hier angegeben war: abgeſon¬ derter Tiſch von der Herrnfamilie, wies zuerſt mit Beſonderheit auf ſie. Augenblicks überlas er von Neuem, und nun fiel aus jeder Zeile Licht in ſein Auge. Auch die Vorbereitungsſtudien zu einer Schul¬ ſtelle fanden ſich beſprochen. Moorfeld ließ das Blatt aus den Hän¬ den ſinken und ſtarrte. Welch eine Entdeckung! welch ein Sittenbild! welch ein Erſtlingsgruß Newyork's an den Zurückkehrenden! Er ſank verworren in ſich zuſammen. Ein ſpäter, unruhiger Schlaf jagte ihn durch ein Chaos von Träumen. Benthal und das Fieber drangen aus allen Fugen dazwiſchen vor. Eine nebliche Morgenſonne erhob ſich über ſein Lager und rief ihn in ein wüſtes Tagesbewußt¬ ſein. Er warf den „Sun“ ins Kamin, machte verſtört Toilette und ſtand — nachdem er noch einen Umweg über die Battery genommen, um ſeinen Namen in Bennet's Viſitenbuch zu ſchreiben, — zur üblichen Beſuchsſtunde iu Frau v. Milden's Zimmer. Zweites Kapitel. Nun, mein Kind, wie nimmſt du dich? Kennſt du den Herrn Baron — den Herrn Doctor, wollt' ich ſagen, nicht mehr? Die kleine Malwine drückte ſich ſcheu in den Winkel von Wand und Sopha und ſchüttelte den Kopf. Iſt das nicht derſelbe Herr, welcher die Güte gehabt, dich nach Mr. Mockingbird's Schule zu fahren und welcher uns einſt einen freundlichen Beſuch zum Thee geſchenkt?

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Zitationshilfe: Kürnberger, Ferdinand: Der Amerika-Müde. Frankfurt (Main), 1855, S. 457. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/kuernberger_amerikamuede_1855/475>, abgerufen am 21.11.2024.