Mustang, oder indianischer Pony, mit gestutzten Ohren, von der Kälte zusammengekrümmt, vom hohen Alter aufs Aeußerste herabgebracht, und hungrige Maulthiere hatten weiland seinen Schweif ausgerauft. Parbleu, es war ein pitoyabler Anblick! Die Knochen drangen dem Thiere durch die steife Haut, es hatte seine Beine unter sich eingezogen, sein müder Kopf und ausgestreckter Hals hingen gleichgiltig herab, und schienen ein Uebergewicht zu bilden, das der schwankende Körper kaum mehr zu tragen vermochte! Das verglaste und eingesunkene Auge, die heraushängende, schaumbedeckte Zunge, die keuchende Flanke und der zuckende Schweif -- Alles verrieth, daß die Laufbahn dieses Thieres zu Ende, und Schnee- und Hagelgestöber und der durch¬ dringende Herbststurm machten kaum noch einen Eindruck auf seinen unempfindlichen Körper. Ah, ein erbärmlicher Anblick! -- Wir hatten aber Einen unter uns, der das Thier in all seiner Decadence auf den ersten Blick erkannte. Hört ihr's, rief er, das ist das berühmte nez¬ perce-Pferd des berühmten Bill Williams, des ältesten, tapfersten und schlauesten Gebirgsjägers, der Krone aller Trappers! Man hat lange nichts gehört von dem alten Gaul, gebt Acht, er muß in der Nähe sein. Und so war es! Als wir das Fichten- und Cederngebüsch sorgfältig zu durchsuchen anfingen, stießen wir auf ein altes Lager, von welchem die geschwärzten Ueberreste einer Feuerstelle aus dem frühen Herbstschnee hervorragten. Hier saß die Leiche des alten Wil¬ liams. Sie saß mit untergeschlagenen Beinen, den Rücken an einen Fichtenstamm gelehnt, den Kopf tief auf die Brust hängend und mit Schnee bedeckt. Sein bekannter Jagdrock von Elenleder hing steif um seine Glieder, welche der Nachtfrost steif wie Glas gemacht hatte, seine Büchse, seine Munition, seine Biberfelle und Fallen lagen un¬ verletzt um ihn her, sein Körper zeigte neben den vernarbten, keine frische blutgeronnene Wunde. Er hatte die Laufbahn eines Trappers unbesiegt zu Ende gemessen, er war eines natürlichen Todes -- ver¬ hungert! -- Ah, dacht' ich, das ist kein Anblick für einen Anfänger. Au Reste wird zurückschrecken. Aber Au Reste erschrack nicht. Wir gaben dem Pferd einen mitleidigen Schuß, machten ein großes Grab, wozu der aufgehende Mond uns leuchtete, legten Roß und Reiter hinein, und Au Reste half so unverzagt, wie jeder Andere und nach gethaner Arbeit sagte er: wagh! -- Ha, Monsieur! ob mein braver
Muſtang, oder indianiſcher Pony, mit geſtutzten Ohren, von der Kälte zuſammengekrümmt, vom hohen Alter aufs Aeußerſte herabgebracht, und hungrige Maulthiere hatten weiland ſeinen Schweif ausgerauft. Parbleu, es war ein pitoyabler Anblick! Die Knochen drangen dem Thiere durch die ſteife Haut, es hatte ſeine Beine unter ſich eingezogen, ſein müder Kopf und ausgeſtreckter Hals hingen gleichgiltig herab, und ſchienen ein Uebergewicht zu bilden, das der ſchwankende Körper kaum mehr zu tragen vermochte! Das verglaste und eingeſunkene Auge, die heraushängende, ſchaumbedeckte Zunge, die keuchende Flanke und der zuckende Schweif — Alles verrieth, daß die Laufbahn dieſes Thieres zu Ende, und Schnee- und Hagelgeſtöber und der durch¬ dringende Herbſtſturm machten kaum noch einen Eindruck auf ſeinen unempfindlichen Körper. Ah, ein erbärmlicher Anblick! — Wir hatten aber Einen unter uns, der das Thier in all ſeiner Decadence auf den erſten Blick erkannte. Hört ihr's, rief er, das iſt das berühmte nez¬ percé-Pferd des berühmten Bill Williams, des älteſten, tapferſten und ſchlaueſten Gebirgsjägers, der Krone aller Trappers! Man hat lange nichts gehört von dem alten Gaul, gebt Acht, er muß in der Nähe ſein. Und ſo war es! Als wir das Fichten- und Cederngebüſch ſorgfältig zu durchſuchen anfingen, ſtießen wir auf ein altes Lager, von welchem die geſchwärzten Ueberreſte einer Feuerſtelle aus dem frühen Herbſtſchnee hervorragten. Hier ſaß die Leiche des alten Wil¬ liams. Sie ſaß mit untergeſchlagenen Beinen, den Rücken an einen Fichtenſtamm gelehnt, den Kopf tief auf die Bruſt hängend und mit Schnee bedeckt. Sein bekannter Jagdrock von Elenleder hing ſteif um ſeine Glieder, welche der Nachtfroſt ſteif wie Glas gemacht hatte, ſeine Büchſe, ſeine Munition, ſeine Biberfelle und Fallen lagen un¬ verletzt um ihn her, ſein Körper zeigte neben den vernarbten, keine friſche blutgeronnene Wunde. Er hatte die Laufbahn eines Trappers unbeſiegt zu Ende gemeſſen, er war eines natürlichen Todes — ver¬ hungert! — Ah, dacht' ich, das iſt kein Anblick für einen Anfänger. Au Reſte wird zurückſchrecken. Aber Au Reſte erſchrack nicht. Wir gaben dem Pferd einen mitleidigen Schuß, machten ein großes Grab, wozu der aufgehende Mond uns leuchtete, legten Roß und Reiter hinein, und Au Reſte half ſo unverzagt, wie jeder Andere und nach gethaner Arbeit ſagte er: wagh! — Ha, Monſieur! ob mein braver
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Muſtang, oder indianiſcher Pony, mit geſtutzten Ohren, von der Kälte
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und hungrige Maulthiere hatten weiland ſeinen Schweif ausgerauft.
Parbleu, es war ein pitoyabler Anblick! Die Knochen drangen dem
Thiere durch die ſteife Haut, es hatte ſeine Beine unter ſich eingezogen,
ſein müder Kopf und ausgeſtreckter Hals hingen gleichgiltig herab,
und ſchienen ein Uebergewicht zu bilden, das der ſchwankende Körper
kaum mehr zu tragen vermochte! Das verglaste und eingeſunkene Auge,
die heraushängende, ſchaumbedeckte Zunge, die keuchende Flanke und
der zuckende Schweif — Alles verrieth, daß die Laufbahn dieſes
Thieres zu Ende, und Schnee- und Hagelgeſtöber und der durch¬
dringende Herbſtſturm machten kaum noch einen Eindruck auf ſeinen
unempfindlichen Körper. Ah, ein erbärmlicher Anblick! — Wir hatten
aber Einen unter uns, der das Thier in all ſeiner Decadence auf den
erſten Blick erkannte. Hört ihr's, rief er, das iſt das berühmte nez¬
percé-Pferd des berühmten Bill Williams, des älteſten, tapferſten
und ſchlaueſten Gebirgsjägers, der Krone aller Trappers! Man hat
lange nichts gehört von dem alten Gaul, gebt Acht, er muß in der
Nähe ſein. Und ſo war es! Als wir das Fichten- und Cederngebüſch
ſorgfältig zu durchſuchen anfingen, ſtießen wir auf ein altes Lager,
von welchem die geſchwärzten Ueberreſte einer Feuerſtelle aus dem
frühen Herbſtſchnee hervorragten. Hier ſaß die Leiche des alten Wil¬
liams. Sie ſaß mit untergeſchlagenen Beinen, den Rücken an einen
Fichtenſtamm gelehnt, den Kopf tief auf die Bruſt hängend und mit
Schnee bedeckt. Sein bekannter Jagdrock von Elenleder hing ſteif um
ſeine Glieder, welche der Nachtfroſt ſteif wie Glas gemacht hatte,
ſeine Büchſe, ſeine Munition, ſeine Biberfelle und Fallen lagen un¬
verletzt um ihn her, ſein Körper zeigte neben den vernarbten, keine
friſche blutgeronnene Wunde. Er hatte die Laufbahn eines Trappers
unbeſiegt zu Ende gemeſſen, er war eines natürlichen Todes — ver¬
hungert! — Ah, dacht' ich, das iſt kein Anblick für einen Anfänger.
Au Reſte wird zurückſchrecken. Aber Au Reſte erſchrack nicht. Wir
gaben dem Pferd einen mitleidigen Schuß, machten ein großes Grab,
wozu der aufgehende Mond uns leuchtete, legten Roß und Reiter
hinein, und Au Reſte half ſo unverzagt, wie jeder Andere und nach
gethaner Arbeit ſagte er: wagh! — Ha, Monſieur! ob mein braver
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Kürnberger, Ferdinand: Der Amerika-Müde. Frankfurt (Main), 1855, S. 417. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/kuernberger_amerikamuede_1855/435>, abgerufen am 24.11.2024.
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