er hat, von ihrer guten, und Dinge, die er verliert, von ihrer schlimmen Seite. Und meine Juanita war doch ein verdammt übermüthiges Ding, und meine Chil-cho-the nur ein willenloses Schaf. Wagh! Weiber sind gut, aber die Freiheit ist besser!
Das klingt wild, mein Freund, antwortete Moorfeld, und experi¬ mentirend wie weit der Leichtsinn oder das Selbstvertrauen dieser Natursöhne gehe, fügte er hinzu: Fürchtet Ihr nicht die Tage des Alters? wenn eine liebevolle Hand nicht mehr Luxus, sondern Be¬ dürfniß ist?
Wagh! sagte der Canadier sich schüttelnd, haben Sie schon einen alten Franzosen gesehen? So wenig als einen jungen Engländer! Alt? qu'est ce que cela? Ein Franzose wird nicht alt!
Eine charakteristische Antwort! Ein Sittenforscher könnte sich wohl an ihr genügen lassen.
Und damit war zugleich auch das Thema für eine ausreichende Abendunterhaltung gefunden. Der Canadier hatte an eine Zeit seines Lebens erinnert, wo er "Trapper" gewesen. Moorfeld brauchte ihn nur zu Erzählungen aus dieser bewegten Sphäre zu ermuntern, und er unterhielt seinen freundlichen Wirth ganz auf seine eigenen Kosten, während er selbst die passive Rolle, die so sehr zu seinem Gemüthe stimmte, ohne Zwang inne haben konnte. Der Canadier ließ sich nicht nöthigen. Im dämmerungsvollen Schein seines Herdfeuers und bei einer ziemlich unverkürzten Mitgift französischer Selbsteingenommenheit hatte er wenig Blick für den Seelenzustand seines Gastes. Auch fragte er nicht: woher? und wohin? Eine Reiseerscheinung wie Moorfeld bot einem Manne wie ihm nichts Merkwürdiges. So überließ er sich ganz seinen eigenen Merkwürdigkeiten. Wahrlich, er war ein unerschöpflicher Erzähler! Nach Stoff und Neigung. Der Himmel stürmte, der See zischte, die Schnepfen brieten, der Reis kochte, der Canadier sah fleißig zur Küche, man speiste, trank dazu, und hatte abgespeist, und der Fluß seiner Rede schwebte wie ein ewiges Element über all diesen endlichen Dingen. Leider können wir uns nicht darauf einlassen, unsern Antheil an dieser Conversation zu fordern. Welche Episode dürften wir herausheben, ohne Parteilichkeit gegen die übrigen? Und welcher Raum dieser Blätter wäre geräumig genug, das Ganze zu geben?
er hat, von ihrer guten, und Dinge, die er verliert, von ihrer ſchlimmen Seite. Und meine Juanita war doch ein verdammt übermüthiges Ding, und meine Chil-cho-the nur ein willenloſes Schaf. Wagh! Weiber ſind gut, aber die Freiheit iſt beſſer!
Das klingt wild, mein Freund, antwortete Moorfeld, und experi¬ mentirend wie weit der Leichtſinn oder das Selbſtvertrauen dieſer Naturſöhne gehe, fügte er hinzu: Fürchtet Ihr nicht die Tage des Alters? wenn eine liebevolle Hand nicht mehr Luxus, ſondern Be¬ dürfniß iſt?
Wagh! ſagte der Canadier ſich ſchüttelnd, haben Sie ſchon einen alten Franzoſen geſehen? So wenig als einen jungen Engländer! Alt? qu'est ce que cela? Ein Franzoſe wird nicht alt!
Eine charakteriſtiſche Antwort! Ein Sittenforſcher könnte ſich wohl an ihr genügen laſſen.
Und damit war zugleich auch das Thema für eine ausreichende Abendunterhaltung gefunden. Der Canadier hatte an eine Zeit ſeines Lebens erinnert, wo er „Trapper“ geweſen. Moorfeld brauchte ihn nur zu Erzählungen aus dieſer bewegten Sphäre zu ermuntern, und er unterhielt ſeinen freundlichen Wirth ganz auf ſeine eigenen Koſten, während er ſelbſt die paſſive Rolle, die ſo ſehr zu ſeinem Gemüthe ſtimmte, ohne Zwang inne haben konnte. Der Canadier ließ ſich nicht nöthigen. Im dämmerungsvollen Schein ſeines Herdfeuers und bei einer ziemlich unverkürzten Mitgift franzöſiſcher Selbſteingenommenheit hatte er wenig Blick für den Seelenzuſtand ſeines Gaſtes. Auch fragte er nicht: woher? und wohin? Eine Reiſeerſcheinung wie Moorfeld bot einem Manne wie ihm nichts Merkwürdiges. So überließ er ſich ganz ſeinen eigenen Merkwürdigkeiten. Wahrlich, er war ein unerſchöpflicher Erzähler! Nach Stoff und Neigung. Der Himmel ſtürmte, der See ziſchte, die Schnepfen brieten, der Reis kochte, der Canadier ſah fleißig zur Küche, man ſpeiſte, trank dazu, und hatte abgeſpeiſt, und der Fluß ſeiner Rede ſchwebte wie ein ewiges Element über all dieſen endlichen Dingen. Leider können wir uns nicht darauf einlaſſen, unſern Antheil an dieſer Converſation zu fordern. Welche Epiſode dürften wir herausheben, ohne Parteilichkeit gegen die übrigen? Und welcher Raum dieſer Blätter wäre geräumig genug, das Ganze zu geben?
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und meine Chil-cho-the nur ein willenloſes Schaf. Wagh! Weiber
ſind gut, aber die Freiheit iſt beſſer!
Das klingt wild, mein Freund, antwortete Moorfeld, und experi¬
mentirend wie weit der Leichtſinn oder das Selbſtvertrauen dieſer
Naturſöhne gehe, fügte er hinzu: Fürchtet Ihr nicht die Tage des
Alters? wenn eine liebevolle Hand nicht mehr Luxus, ſondern Be¬
dürfniß iſt?
Wagh! ſagte der Canadier ſich ſchüttelnd, haben Sie ſchon einen
alten Franzoſen geſehen? So wenig als einen jungen Engländer! Alt?
qu'est ce que cela? Ein Franzoſe wird nicht alt!
Eine charakteriſtiſche Antwort! Ein Sittenforſcher könnte ſich wohl
an ihr genügen laſſen.
Und damit war zugleich auch das Thema für eine ausreichende
Abendunterhaltung gefunden. Der Canadier hatte an eine Zeit ſeines
Lebens erinnert, wo er „Trapper“ geweſen. Moorfeld brauchte ihn
nur zu Erzählungen aus dieſer bewegten Sphäre zu ermuntern, und
er unterhielt ſeinen freundlichen Wirth ganz auf ſeine eigenen Koſten,
während er ſelbſt die paſſive Rolle, die ſo ſehr zu ſeinem Gemüthe
ſtimmte, ohne Zwang inne haben konnte. Der Canadier ließ ſich nicht
nöthigen. Im dämmerungsvollen Schein ſeines Herdfeuers und bei
einer ziemlich unverkürzten Mitgift franzöſiſcher Selbſteingenommenheit
hatte er wenig Blick für den Seelenzuſtand ſeines Gaſtes. Auch fragte
er nicht: woher? und wohin? Eine Reiſeerſcheinung wie Moorfeld bot
einem Manne wie ihm nichts Merkwürdiges. So überließ er ſich ganz
ſeinen eigenen Merkwürdigkeiten. Wahrlich, er war ein unerſchöpflicher
Erzähler! Nach Stoff und Neigung. Der Himmel ſtürmte, der See
ziſchte, die Schnepfen brieten, der Reis kochte, der Canadier ſah fleißig
zur Küche, man ſpeiſte, trank dazu, und hatte abgeſpeiſt, und der
Fluß ſeiner Rede ſchwebte wie ein ewiges Element über all dieſen
endlichen Dingen. Leider können wir uns nicht darauf einlaſſen, unſern
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wir herausheben, ohne Parteilichkeit gegen die übrigen? Und welcher
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Kürnberger, Ferdinand: Der Amerika-Müde. Frankfurt (Main), 1855, S. 414. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/kuernberger_amerikamuede_1855/432>, abgerufen am 24.11.2024.
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