Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Kürnberger, Ferdinand: Der Amerika-Müde. Frankfurt (Main), 1855.

Bild:
<< vorherige Seite

er hat, von ihrer guten, und Dinge, die er verliert, von ihrer schlimmen
Seite. Und meine Juanita war doch ein verdammt übermüthiges Ding,
und meine Chil-cho-the nur ein willenloses Schaf. Wagh! Weiber
sind gut, aber die Freiheit ist besser!

Das klingt wild, mein Freund, antwortete Moorfeld, und experi¬
mentirend wie weit der Leichtsinn oder das Selbstvertrauen dieser
Natursöhne gehe, fügte er hinzu: Fürchtet Ihr nicht die Tage des
Alters? wenn eine liebevolle Hand nicht mehr Luxus, sondern Be¬
dürfniß ist?

Wagh! sagte der Canadier sich schüttelnd, haben Sie schon einen
alten Franzosen gesehen? So wenig als einen jungen Engländer! Alt?
qu'est ce que cela? Ein Franzose wird nicht alt!

Eine charakteristische Antwort! Ein Sittenforscher könnte sich wohl
an ihr genügen lassen.

Und damit war zugleich auch das Thema für eine ausreichende
Abendunterhaltung gefunden. Der Canadier hatte an eine Zeit seines
Lebens erinnert, wo er "Trapper" gewesen. Moorfeld brauchte ihn
nur zu Erzählungen aus dieser bewegten Sphäre zu ermuntern, und
er unterhielt seinen freundlichen Wirth ganz auf seine eigenen Kosten,
während er selbst die passive Rolle, die so sehr zu seinem Gemüthe
stimmte, ohne Zwang inne haben konnte. Der Canadier ließ sich nicht
nöthigen. Im dämmerungsvollen Schein seines Herdfeuers und bei
einer ziemlich unverkürzten Mitgift französischer Selbsteingenommenheit
hatte er wenig Blick für den Seelenzustand seines Gastes. Auch fragte
er nicht: woher? und wohin? Eine Reiseerscheinung wie Moorfeld bot
einem Manne wie ihm nichts Merkwürdiges. So überließ er sich ganz
seinen eigenen Merkwürdigkeiten. Wahrlich, er war ein unerschöpflicher
Erzähler! Nach Stoff und Neigung. Der Himmel stürmte, der See
zischte, die Schnepfen brieten, der Reis kochte, der Canadier sah fleißig
zur Küche, man speiste, trank dazu, und hatte abgespeist, und der
Fluß seiner Rede schwebte wie ein ewiges Element über all diesen
endlichen Dingen. Leider können wir uns nicht darauf einlassen, unsern
Antheil an dieser Conversation zu fordern. Welche Episode dürften
wir herausheben, ohne Parteilichkeit gegen die übrigen? Und welcher
Raum dieser Blätter wäre geräumig genug, das Ganze zu geben?

er hat, von ihrer guten, und Dinge, die er verliert, von ihrer ſchlimmen
Seite. Und meine Juanita war doch ein verdammt übermüthiges Ding,
und meine Chil-cho-the nur ein willenloſes Schaf. Wagh! Weiber
ſind gut, aber die Freiheit iſt beſſer!

Das klingt wild, mein Freund, antwortete Moorfeld, und experi¬
mentirend wie weit der Leichtſinn oder das Selbſtvertrauen dieſer
Naturſöhne gehe, fügte er hinzu: Fürchtet Ihr nicht die Tage des
Alters? wenn eine liebevolle Hand nicht mehr Luxus, ſondern Be¬
dürfniß iſt?

Wagh! ſagte der Canadier ſich ſchüttelnd, haben Sie ſchon einen
alten Franzoſen geſehen? So wenig als einen jungen Engländer! Alt?
qu'est ce que cela? Ein Franzoſe wird nicht alt!

Eine charakteriſtiſche Antwort! Ein Sittenforſcher könnte ſich wohl
an ihr genügen laſſen.

Und damit war zugleich auch das Thema für eine ausreichende
Abendunterhaltung gefunden. Der Canadier hatte an eine Zeit ſeines
Lebens erinnert, wo er „Trapper“ geweſen. Moorfeld brauchte ihn
nur zu Erzählungen aus dieſer bewegten Sphäre zu ermuntern, und
er unterhielt ſeinen freundlichen Wirth ganz auf ſeine eigenen Koſten,
während er ſelbſt die paſſive Rolle, die ſo ſehr zu ſeinem Gemüthe
ſtimmte, ohne Zwang inne haben konnte. Der Canadier ließ ſich nicht
nöthigen. Im dämmerungsvollen Schein ſeines Herdfeuers und bei
einer ziemlich unverkürzten Mitgift franzöſiſcher Selbſteingenommenheit
hatte er wenig Blick für den Seelenzuſtand ſeines Gaſtes. Auch fragte
er nicht: woher? und wohin? Eine Reiſeerſcheinung wie Moorfeld bot
einem Manne wie ihm nichts Merkwürdiges. So überließ er ſich ganz
ſeinen eigenen Merkwürdigkeiten. Wahrlich, er war ein unerſchöpflicher
Erzähler! Nach Stoff und Neigung. Der Himmel ſtürmte, der See
ziſchte, die Schnepfen brieten, der Reis kochte, der Canadier ſah fleißig
zur Küche, man ſpeiſte, trank dazu, und hatte abgeſpeiſt, und der
Fluß ſeiner Rede ſchwebte wie ein ewiges Element über all dieſen
endlichen Dingen. Leider können wir uns nicht darauf einlaſſen, unſern
Antheil an dieſer Converſation zu fordern. Welche Epiſode dürften
wir herausheben, ohne Parteilichkeit gegen die übrigen? Und welcher
Raum dieſer Blätter wäre geräumig genug, das Ganze zu geben?

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <p><pb facs="#f0432" n="414"/>
er hat, von ihrer guten, und Dinge, die er verliert, von ihrer &#x017F;chlimmen<lb/>
Seite. Und meine Juanita war doch ein verdammt übermüthiges Ding,<lb/>
und meine Chil-cho-the nur ein willenlo&#x017F;es Schaf. Wagh! Weiber<lb/>
&#x017F;ind gut, aber die Freiheit i&#x017F;t be&#x017F;&#x017F;er!</p><lb/>
          <p>Das klingt wild, mein Freund, antwortete Moorfeld, und experi¬<lb/>
mentirend wie weit der Leicht&#x017F;inn oder das Selb&#x017F;tvertrauen die&#x017F;er<lb/>
Natur&#x017F;öhne gehe, fügte er hinzu: Fürchtet Ihr nicht die Tage des<lb/>
Alters? wenn eine liebevolle Hand nicht mehr Luxus, &#x017F;ondern Be¬<lb/>
dürfniß i&#x017F;t?</p><lb/>
          <p>Wagh! &#x017F;agte der Canadier &#x017F;ich &#x017F;chüttelnd, haben Sie &#x017F;chon einen<lb/>
alten Franzo&#x017F;en ge&#x017F;ehen? So wenig als einen jungen Engländer! Alt?<lb/><hi rendition="#aq">qu'est ce que cela</hi>? Ein Franzo&#x017F;e wird nicht alt!</p><lb/>
          <p>Eine charakteri&#x017F;ti&#x017F;che Antwort! Ein Sittenfor&#x017F;cher könnte &#x017F;ich wohl<lb/>
an ihr genügen la&#x017F;&#x017F;en.</p><lb/>
          <p>Und damit war zugleich auch das Thema für eine ausreichende<lb/>
Abendunterhaltung gefunden. Der Canadier hatte an eine Zeit &#x017F;eines<lb/>
Lebens erinnert, wo er &#x201E;Trapper&#x201C; gewe&#x017F;en. Moorfeld brauchte ihn<lb/>
nur zu Erzählungen aus die&#x017F;er bewegten Sphäre zu ermuntern, und<lb/>
er unterhielt &#x017F;einen freundlichen Wirth ganz auf &#x017F;eine eigenen Ko&#x017F;ten,<lb/>
während er &#x017F;elb&#x017F;t die pa&#x017F;&#x017F;ive Rolle, die &#x017F;o &#x017F;ehr zu &#x017F;einem Gemüthe<lb/>
&#x017F;timmte, ohne Zwang inne haben konnte. Der Canadier ließ &#x017F;ich nicht<lb/>
nöthigen. Im dämmerungsvollen Schein &#x017F;eines Herdfeuers und bei<lb/>
einer ziemlich unverkürzten Mitgift franzö&#x017F;i&#x017F;cher Selb&#x017F;teingenommenheit<lb/>
hatte er wenig Blick für den Seelenzu&#x017F;tand &#x017F;eines Ga&#x017F;tes. Auch fragte<lb/>
er nicht: woher? und wohin? Eine Rei&#x017F;eer&#x017F;cheinung wie Moorfeld bot<lb/>
einem Manne wie ihm nichts Merkwürdiges. So überließ er &#x017F;ich ganz<lb/>
&#x017F;einen eigenen Merkwürdigkeiten. Wahrlich, er war ein uner&#x017F;chöpflicher<lb/>
Erzähler! Nach Stoff und Neigung. Der Himmel &#x017F;türmte, der See<lb/>
zi&#x017F;chte, die Schnepfen brieten, der Reis kochte, der Canadier &#x017F;ah fleißig<lb/>
zur Küche, man &#x017F;pei&#x017F;te, trank dazu, und hatte abge&#x017F;pei&#x017F;t, und der<lb/>
Fluß &#x017F;einer Rede &#x017F;chwebte wie ein ewiges Element über all die&#x017F;en<lb/>
endlichen Dingen. Leider können wir uns nicht darauf einla&#x017F;&#x017F;en, un&#x017F;ern<lb/>
Antheil an die&#x017F;er Conver&#x017F;ation zu fordern. Welche Epi&#x017F;ode dürften<lb/>
wir herausheben, ohne Parteilichkeit gegen die übrigen? Und welcher<lb/>
Raum die&#x017F;er Blätter wäre geräumig genug, das Ganze zu geben?<lb/></p>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[414/0432] er hat, von ihrer guten, und Dinge, die er verliert, von ihrer ſchlimmen Seite. Und meine Juanita war doch ein verdammt übermüthiges Ding, und meine Chil-cho-the nur ein willenloſes Schaf. Wagh! Weiber ſind gut, aber die Freiheit iſt beſſer! Das klingt wild, mein Freund, antwortete Moorfeld, und experi¬ mentirend wie weit der Leichtſinn oder das Selbſtvertrauen dieſer Naturſöhne gehe, fügte er hinzu: Fürchtet Ihr nicht die Tage des Alters? wenn eine liebevolle Hand nicht mehr Luxus, ſondern Be¬ dürfniß iſt? Wagh! ſagte der Canadier ſich ſchüttelnd, haben Sie ſchon einen alten Franzoſen geſehen? So wenig als einen jungen Engländer! Alt? qu'est ce que cela? Ein Franzoſe wird nicht alt! Eine charakteriſtiſche Antwort! Ein Sittenforſcher könnte ſich wohl an ihr genügen laſſen. Und damit war zugleich auch das Thema für eine ausreichende Abendunterhaltung gefunden. Der Canadier hatte an eine Zeit ſeines Lebens erinnert, wo er „Trapper“ geweſen. Moorfeld brauchte ihn nur zu Erzählungen aus dieſer bewegten Sphäre zu ermuntern, und er unterhielt ſeinen freundlichen Wirth ganz auf ſeine eigenen Koſten, während er ſelbſt die paſſive Rolle, die ſo ſehr zu ſeinem Gemüthe ſtimmte, ohne Zwang inne haben konnte. Der Canadier ließ ſich nicht nöthigen. Im dämmerungsvollen Schein ſeines Herdfeuers und bei einer ziemlich unverkürzten Mitgift franzöſiſcher Selbſteingenommenheit hatte er wenig Blick für den Seelenzuſtand ſeines Gaſtes. Auch fragte er nicht: woher? und wohin? Eine Reiſeerſcheinung wie Moorfeld bot einem Manne wie ihm nichts Merkwürdiges. So überließ er ſich ganz ſeinen eigenen Merkwürdigkeiten. Wahrlich, er war ein unerſchöpflicher Erzähler! Nach Stoff und Neigung. Der Himmel ſtürmte, der See ziſchte, die Schnepfen brieten, der Reis kochte, der Canadier ſah fleißig zur Küche, man ſpeiſte, trank dazu, und hatte abgeſpeiſt, und der Fluß ſeiner Rede ſchwebte wie ein ewiges Element über all dieſen endlichen Dingen. Leider können wir uns nicht darauf einlaſſen, unſern Antheil an dieſer Converſation zu fordern. Welche Epiſode dürften wir herausheben, ohne Parteilichkeit gegen die übrigen? Und welcher Raum dieſer Blätter wäre geräumig genug, das Ganze zu geben?

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde von OCR-Software automatisch erfasst und anschließend gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien von Muttersprachlern nachkontrolliert. Es wurde gemäß dem DTA-Basisformat in XML/TEI P5 kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/kuernberger_amerikamuede_1855
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/kuernberger_amerikamuede_1855/432
Zitationshilfe: Kürnberger, Ferdinand: Der Amerika-Müde. Frankfurt (Main), 1855, S. 414. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/kuernberger_amerikamuede_1855/432>, abgerufen am 24.11.2024.