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Kürnberger, Ferdinand: Der Amerika-Müde. Frankfurt (Main), 1855.

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alle frei gemacht hat, und sie konnten nicht ihn einmal von ein paar
häßlichen Linien frei machen! Sind politische Helden wohlfeiler als
poetische? Schnell wandte er sich hinweg, um sein Auge an gelungenen
Gegenständen zu entschädigen, aber er entdeckte nichts besonders mehr.
Nach einem Bücherschrank sah er sich z. B. vergebens um. Das ein¬
zige Buch, das er im Zimmer fand, war die Bibel. Sie lag mit einer
seltsamen Ostentation auf dem runden Tisch, der vor dem waldbren¬
nenden Sopha stand. Die Tapeten des Zimmers, der Fußteppich und
die Vorhänge waren theilweise reiche Stoffe, aber harmonirten in ihren
Farben nicht, denn jede einzelne war so schreiend gewählt, als ob sie Selbst¬
zweck wäre, und die optische Belebung des Gemaches allein zu tragen hätte.
Die leeren Wandflächen wiesen ein einziges Bild auf, ein Familienportrait,
wie es schien; Moorfeld wandte aber eben so schnell wie von dem Washing¬
ton sein Auge davon. Das Gesicht war wie mit Kalk und Ziegelroth auf
eine unerträglich rohe Weise gepinselt. Ein prächtiger Goldrahmen schmückte
das Bild, aber das Gold stand so außer Verhältniß zur Kunst, daß
es nur eine Satyre auf dasselbe schien. Das war die Ausstattung
des Parlours. Sie athmete den Geist einer bürgerlichen Frugalität,
das aufwachende Bedürfniß des Luxus und dieser selbst wieder den
crassen und heftigen Geschmack der Kindheit. "Vielleicht ein hübsches
Gesicht, aber eine erfrorene Nase" murmelte das europäische Urtheil
unsers Freundes; dem Zimmer fehlte der gemüthliche Zug, wir möch¬
ten sagen die organische Wärme der Häuslichkeit.

Während Moorfeld diese flüchtige und wie wir sehen nicht sehr
lohnende Rundschau gehalten hatte, öffnete sich die innere Thür des
Parlours und Herr Staunton, der Hausherr, trat ein. Eine lange
schmächtige Figur mit enger Brust, nach vorn abfallenden Schultern
und dünnem Halse präsentirt ihren amerikanischen Typus. Der läng¬
liche, nicht unedel geformte Kopf zeigt allen Zerfall des Herbstes, aber
allen Schein des Lenzes. Gefärbtes Haar, bepinselte Augenbraunen,
eingesetzte Zähne, ein leicht aufgetragenes Roth auf dem glattrasirten
Gesichte schillert aus einer gewissen Ferne mit einem gewissen Jugend¬
glanze, natürlich zur mehreren Wehmuth des genauen Betrachters. Die
freie, weltmännische Haltung des Eintretenden, verbunden mit einer
Sorte geschäftsfreundlicher Heiterkeit ist gleichsam der moralische Theil
dieser Toilettenkunst. Ein Zug von merkantiler Selbstsucht wird aus

alle frei gemacht hat, und ſie konnten nicht ihn einmal von ein paar
häßlichen Linien frei machen! Sind politiſche Helden wohlfeiler als
poetiſche? Schnell wandte er ſich hinweg, um ſein Auge an gelungenen
Gegenſtänden zu entſchädigen, aber er entdeckte nichts beſonders mehr.
Nach einem Bücherſchrank ſah er ſich z. B. vergebens um. Das ein¬
zige Buch, das er im Zimmer fand, war die Bibel. Sie lag mit einer
ſeltſamen Oſtentation auf dem runden Tiſch, der vor dem waldbren¬
nenden Sopha ſtand. Die Tapeten des Zimmers, der Fußteppich und
die Vorhänge waren theilweiſe reiche Stoffe, aber harmonirten in ihren
Farben nicht, denn jede einzelne war ſo ſchreiend gewählt, als ob ſie Selbſt¬
zweck wäre, und die optiſche Belebung des Gemaches allein zu tragen hätte.
Die leeren Wandflächen wieſen ein einziges Bild auf, ein Familienportrait,
wie es ſchien; Moorfeld wandte aber eben ſo ſchnell wie von dem Waſhing¬
ton ſein Auge davon. Das Geſicht war wie mit Kalk und Ziegelroth auf
eine unerträglich rohe Weiſe gepinſelt. Ein prächtiger Goldrahmen ſchmückte
das Bild, aber das Gold ſtand ſo außer Verhältniß zur Kunſt, daß
es nur eine Satyre auf daſſelbe ſchien. Das war die Ausſtattung
des Parlours. Sie athmete den Geiſt einer bürgerlichen Frugalität,
das aufwachende Bedürfniß des Luxus und dieſer ſelbſt wieder den
craſſen und heftigen Geſchmack der Kindheit. „Vielleicht ein hübſches
Geſicht, aber eine erfrorene Naſe“ murmelte das europäiſche Urtheil
unſers Freundes; dem Zimmer fehlte der gemüthliche Zug, wir möch¬
ten ſagen die organiſche Wärme der Häuslichkeit.

Während Moorfeld dieſe flüchtige und wie wir ſehen nicht ſehr
lohnende Rundſchau gehalten hatte, öffnete ſich die innere Thür des
Parlours und Herr Staunton, der Hausherr, trat ein. Eine lange
ſchmächtige Figur mit enger Bruſt, nach vorn abfallenden Schultern
und dünnem Halſe präſentirt ihren amerikaniſchen Typus. Der läng¬
liche, nicht unedel geformte Kopf zeigt allen Zerfall des Herbſtes, aber
allen Schein des Lenzes. Gefärbtes Haar, bepinſelte Augenbraunen,
eingeſetzte Zähne, ein leicht aufgetragenes Roth auf dem glattraſirten
Geſichte ſchillert aus einer gewiſſen Ferne mit einem gewiſſen Jugend¬
glanze, natürlich zur mehreren Wehmuth des genauen Betrachters. Die
freie, weltmänniſche Haltung des Eintretenden, verbunden mit einer
Sorte geſchäftsfreundlicher Heiterkeit iſt gleichſam der moraliſche Theil
dieſer Toilettenkunſt. Ein Zug von merkantiler Selbſtſucht wird aus

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[25/0043] alle frei gemacht hat, und ſie konnten nicht ihn einmal von ein paar häßlichen Linien frei machen! Sind politiſche Helden wohlfeiler als poetiſche? Schnell wandte er ſich hinweg, um ſein Auge an gelungenen Gegenſtänden zu entſchädigen, aber er entdeckte nichts beſonders mehr. Nach einem Bücherſchrank ſah er ſich z. B. vergebens um. Das ein¬ zige Buch, das er im Zimmer fand, war die Bibel. Sie lag mit einer ſeltſamen Oſtentation auf dem runden Tiſch, der vor dem waldbren¬ nenden Sopha ſtand. Die Tapeten des Zimmers, der Fußteppich und die Vorhänge waren theilweiſe reiche Stoffe, aber harmonirten in ihren Farben nicht, denn jede einzelne war ſo ſchreiend gewählt, als ob ſie Selbſt¬ zweck wäre, und die optiſche Belebung des Gemaches allein zu tragen hätte. Die leeren Wandflächen wieſen ein einziges Bild auf, ein Familienportrait, wie es ſchien; Moorfeld wandte aber eben ſo ſchnell wie von dem Waſhing¬ ton ſein Auge davon. Das Geſicht war wie mit Kalk und Ziegelroth auf eine unerträglich rohe Weiſe gepinſelt. Ein prächtiger Goldrahmen ſchmückte das Bild, aber das Gold ſtand ſo außer Verhältniß zur Kunſt, daß es nur eine Satyre auf daſſelbe ſchien. Das war die Ausſtattung des Parlours. Sie athmete den Geiſt einer bürgerlichen Frugalität, das aufwachende Bedürfniß des Luxus und dieſer ſelbſt wieder den craſſen und heftigen Geſchmack der Kindheit. „Vielleicht ein hübſches Geſicht, aber eine erfrorene Naſe“ murmelte das europäiſche Urtheil unſers Freundes; dem Zimmer fehlte der gemüthliche Zug, wir möch¬ ten ſagen die organiſche Wärme der Häuslichkeit. Während Moorfeld dieſe flüchtige und wie wir ſehen nicht ſehr lohnende Rundſchau gehalten hatte, öffnete ſich die innere Thür des Parlours und Herr Staunton, der Hausherr, trat ein. Eine lange ſchmächtige Figur mit enger Bruſt, nach vorn abfallenden Schultern und dünnem Halſe präſentirt ihren amerikaniſchen Typus. Der läng¬ liche, nicht unedel geformte Kopf zeigt allen Zerfall des Herbſtes, aber allen Schein des Lenzes. Gefärbtes Haar, bepinſelte Augenbraunen, eingeſetzte Zähne, ein leicht aufgetragenes Roth auf dem glattraſirten Geſichte ſchillert aus einer gewiſſen Ferne mit einem gewiſſen Jugend¬ glanze, natürlich zur mehreren Wehmuth des genauen Betrachters. Die freie, weltmänniſche Haltung des Eintretenden, verbunden mit einer Sorte geſchäftsfreundlicher Heiterkeit iſt gleichſam der moraliſche Theil dieſer Toilettenkunſt. Ein Zug von merkantiler Selbſtſucht wird aus

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Zitationshilfe: Kürnberger, Ferdinand: Der Amerika-Müde. Frankfurt (Main), 1855, S. 25. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/kuernberger_amerikamuede_1855/43>, abgerufen am 19.04.2024.