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Kürnberger, Ferdinand: Der Amerika-Müde. Frankfurt (Main), 1855.

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dahinter, der immer breiter und voller wurde, Wimpel wehten, Ma¬
trosen johlten, Krahnen seufzten, und im Nu wiegte sich das zierliche
Wagengebäude auf dem platanenbesäumten Kai des Hudson oder Nord¬
flusses, der sich wohl an drei englische Meilen breit vor den überrasch¬
ten Augen des Europäers ausdehnte. Der Wagen rollte längs des
Flusses an einer Häuserreihe hinab, welche in ihrem bunten Nebeneinan¬
der eine äußerst heitere Enfilade bildete: dieses Haus trug einen
lebhaften Farbenanstrich, jenes stach durch seine hellgrünen Jalousien
hervor, ein drittes durch eine glänzend gefirnißte Pallisadenverzäunung,
hinter welchen lombardische Pappeln eine steife Parade hielten, jedes
machte in seiner Einzelheit einen Versuch zu brilliren, der wirklich im
Ganzen erreicht, wenn auch im Besonderen fast immer verfehlt und
oft chinesisch verfehlt war.

Vor einem dieser Häuser hielt der Kutscher. Moorfeld sprang
aufgeweckt heraus, ließ den Klopfer ertönen, und wartete. Ein Neger
öffnete. Aber ehe Moorfeld ihm seinen Namen nennen, oder seine
Karte abgeben konnte, war der schwarze Hausgeist schon wieder ver¬
schwunden, indem er ein solches Ceremoniell nicht zu erwarten schien.
"Help you selp" lächelte Moorfeld, und sah sich im Hausflur, wo man
ihn so republikanisch-formlos allein stehen ließ, auf gut Glück um.
Er fand rechts ein Zimmer, dessen Thüre, wahrscheinlich der großen
Hitze wegen, halb offen stand. Er blickte vorsichtig hinein. Eine junge
Dame von großer Schönheit saß darin und studirte über Landkarten
und Bücher eifrig hinter einem großen Comptoirtisch. Der Fremdling
glaubte sich hier an guter Adresse; er öffnete unter einem bescheidenen
Klopfen auch die übrige Hälfte der Thür und stellte sich der schönen
Einsiedlerin mit all jener Artigkeit vor, womit ein Mann von Er¬
ziehung die Tochter des Hauses unter diesen Umständen anredet. Das
Mädchen hörte ihn an, ohne eine Miene zu verändern, ja fast ohne
den Blick zu ihm aufzuschlagen, worüber der junge Mann, der sich im
Besitz eines gefallenden Aeußern wußte und vielleicht etwas verwöhnt
in diesem Punkte war, eine unwillkommene Regung empfand. Treten
Sie gefälligst ins Parlour gegenüber, antwortete die lakonische Venus
mit einer leichten Handbewegung; Moorfeld zog sich zurück, nicht ohne
einen seiner bezwingendsten Blicke in das schöne regungslose Antlitz des
Mädchens zu werfen. Selbst das offizielle Lächeln der Höflichkeit hätte

dahinter, der immer breiter und voller wurde, Wimpel wehten, Ma¬
troſen johlten, Krahnen ſeufzten, und im Nu wiegte ſich das zierliche
Wagengebäude auf dem platanenbeſäumten Kai des Hudſon oder Nord¬
fluſſes, der ſich wohl an drei engliſche Meilen breit vor den überraſch¬
ten Augen des Europäers ausdehnte. Der Wagen rollte längs des
Fluſſes an einer Häuſerreihe hinab, welche in ihrem bunten Nebeneinan¬
der eine äußerſt heitere Enfilade bildete: dieſes Haus trug einen
lebhaften Farbenanſtrich, jenes ſtach durch ſeine hellgrünen Jalouſien
hervor, ein drittes durch eine glänzend gefirnißte Palliſadenverzäunung,
hinter welchen lombardiſche Pappeln eine ſteife Parade hielten, jedes
machte in ſeiner Einzelheit einen Verſuch zu brilliren, der wirklich im
Ganzen erreicht, wenn auch im Beſonderen faſt immer verfehlt und
oft chineſiſch verfehlt war.

Vor einem dieſer Häuſer hielt der Kutſcher. Moorfeld ſprang
aufgeweckt heraus, ließ den Klopfer ertönen, und wartete. Ein Neger
öffnete. Aber ehe Moorfeld ihm ſeinen Namen nennen, oder ſeine
Karte abgeben konnte, war der ſchwarze Hausgeiſt ſchon wieder ver¬
ſchwunden, indem er ein ſolches Ceremoniell nicht zu erwarten ſchien.
„Help you selp“ lächelte Moorfeld, und ſah ſich im Hausflur, wo man
ihn ſo republikaniſch-formlos allein ſtehen ließ, auf gut Glück um.
Er fand rechts ein Zimmer, deſſen Thüre, wahrſcheinlich der großen
Hitze wegen, halb offen ſtand. Er blickte vorſichtig hinein. Eine junge
Dame von großer Schönheit ſaß darin und ſtudirte über Landkarten
und Bücher eifrig hinter einem großen Comptoirtiſch. Der Fremdling
glaubte ſich hier an guter Adreſſe; er öffnete unter einem beſcheidenen
Klopfen auch die übrige Hälfte der Thür und ſtellte ſich der ſchönen
Einſiedlerin mit all jener Artigkeit vor, womit ein Mann von Er¬
ziehung die Tochter des Hauſes unter dieſen Umſtänden anredet. Das
Mädchen hörte ihn an, ohne eine Miene zu verändern, ja faſt ohne
den Blick zu ihm aufzuſchlagen, worüber der junge Mann, der ſich im
Beſitz eines gefallenden Aeußern wußte und vielleicht etwas verwöhnt
in dieſem Punkte war, eine unwillkommene Regung empfand. Treten
Sie gefälligſt ins Parlour gegenüber, antwortete die lakoniſche Venus
mit einer leichten Handbewegung; Moorfeld zog ſich zurück, nicht ohne
einen ſeiner bezwingendſten Blicke in das ſchöne regungsloſe Antlitz des
Mädchens zu werfen. Selbſt das offizielle Lächeln der Höflichkeit hätte

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[23/0041] dahinter, der immer breiter und voller wurde, Wimpel wehten, Ma¬ troſen johlten, Krahnen ſeufzten, und im Nu wiegte ſich das zierliche Wagengebäude auf dem platanenbeſäumten Kai des Hudſon oder Nord¬ fluſſes, der ſich wohl an drei engliſche Meilen breit vor den überraſch¬ ten Augen des Europäers ausdehnte. Der Wagen rollte längs des Fluſſes an einer Häuſerreihe hinab, welche in ihrem bunten Nebeneinan¬ der eine äußerſt heitere Enfilade bildete: dieſes Haus trug einen lebhaften Farbenanſtrich, jenes ſtach durch ſeine hellgrünen Jalouſien hervor, ein drittes durch eine glänzend gefirnißte Palliſadenverzäunung, hinter welchen lombardiſche Pappeln eine ſteife Parade hielten, jedes machte in ſeiner Einzelheit einen Verſuch zu brilliren, der wirklich im Ganzen erreicht, wenn auch im Beſonderen faſt immer verfehlt und oft chineſiſch verfehlt war. Vor einem dieſer Häuſer hielt der Kutſcher. Moorfeld ſprang aufgeweckt heraus, ließ den Klopfer ertönen, und wartete. Ein Neger öffnete. Aber ehe Moorfeld ihm ſeinen Namen nennen, oder ſeine Karte abgeben konnte, war der ſchwarze Hausgeiſt ſchon wieder ver¬ ſchwunden, indem er ein ſolches Ceremoniell nicht zu erwarten ſchien. „Help you selp“ lächelte Moorfeld, und ſah ſich im Hausflur, wo man ihn ſo republikaniſch-formlos allein ſtehen ließ, auf gut Glück um. Er fand rechts ein Zimmer, deſſen Thüre, wahrſcheinlich der großen Hitze wegen, halb offen ſtand. Er blickte vorſichtig hinein. Eine junge Dame von großer Schönheit ſaß darin und ſtudirte über Landkarten und Bücher eifrig hinter einem großen Comptoirtiſch. Der Fremdling glaubte ſich hier an guter Adreſſe; er öffnete unter einem beſcheidenen Klopfen auch die übrige Hälfte der Thür und ſtellte ſich der ſchönen Einſiedlerin mit all jener Artigkeit vor, womit ein Mann von Er¬ ziehung die Tochter des Hauſes unter dieſen Umſtänden anredet. Das Mädchen hörte ihn an, ohne eine Miene zu verändern, ja faſt ohne den Blick zu ihm aufzuſchlagen, worüber der junge Mann, der ſich im Beſitz eines gefallenden Aeußern wußte und vielleicht etwas verwöhnt in dieſem Punkte war, eine unwillkommene Regung empfand. Treten Sie gefälligſt ins Parlour gegenüber, antwortete die lakoniſche Venus mit einer leichten Handbewegung; Moorfeld zog ſich zurück, nicht ohne einen ſeiner bezwingendſten Blicke in das ſchöne regungsloſe Antlitz des Mädchens zu werfen. Selbſt das offizielle Lächeln der Höflichkeit hätte

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Zitationshilfe: Kürnberger, Ferdinand: Der Amerika-Müde. Frankfurt (Main), 1855, S. 23. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/kuernberger_amerikamuede_1855/41>, abgerufen am 23.04.2024.