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Kürnberger, Ferdinand: Der Amerika-Müde. Frankfurt (Main), 1855.

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der zwischen Mardern und Iltissen um die Integrität seines Harems schreit,
wenn er im schneidendsten Falsett auf einmal den Aufschrei einer ver¬
dammten Seele losließ. Kurz, der Weihevolle schlug sich in Gedanken,
Worten und Geberden über alle Hindernisse der menschlichen Grenzen
direct zum Pavian durch.

Das war der Hirt. Und diesem Hirten entsprach die Heerde. Die
Heerde steht hier ganz ohne Allegorie da. Sie war es wirklich. Zwar
in der ersten Viertelstunde hielt die mitgebrachte Menschenhaut noch
ihre Näthe. Aber bald fing sie zu platzen an. Zuerst brachte die
Bußpredigt eine sonderbare, gewitterähnliche Unruhe unter den Zuhö¬
rern hervor, ein Zappeln und Trippeln von einem Bein auf das an¬
dere, ein Stöhnen, Seufzen, Wimmern und Schluchzen, gemischt mit
einem fast zornigen Murren, das einem Aufruhrgemurmel glich --
Aufruhr gegen den Teufel. Diese Geräusche erhoben sich nach und
nach zu der Höhe des Lärmes. Wie man in einem schwülen Raum
die Kleidungsstücke ablegt, so begannen die Seelen, die ins Schwei߬
treiben geriethen, sich zu lüften. Man verzweifelte, man verfluchte sich,
man schrie laut die Namen derjenigen Laster umher, von denen man
sich am schwersten bedrückt fühlte, und forderte Andere auf, das Gleiche
zu thun, man schrie dem Prediger Beifall zu, ließ sich die kräftigsten
Stellen wiederholen, brüllte sie im Chor nach, -- kurz, man betäubte
sich gewaltsam. Einer Versammlung von Tausenden gelingt das wun¬
derbar schnell. Im Nu waren die menschlichen Stimmen verschwunden
und ein Heulen, Blöcken, Bellen, Grunzen, Miauen und Schnarren
hub an, als ob eine Noahsarche im Schiffbruch begriffen wäre, und
alle Thiergattungen der Erde um Hilfe schrien. Dazu strampften die
Beine, die Arme fuhren in der Luft, die Hände schlugen um sich,
man schüttelte die Leiber, stieß, rieb, trieb, zwickte und zwackte sich,
um der Teufelsaustreibung so gewiß als möglich zu werden. In
diesem Tumulte gingen endlich die Donner des Predigers unter. Nur
in einzelnen langgehaltenen Pausen schlug noch sein hohler Weheruf
durch, wie Glockensignale in einer feuerlärmenden Stadt. Zuletzt
verhallte auch das -- der Brand war fertig, das Schürreisen ruhte.

Ich stand da, von Scham übergossen. Die Unkeuschheit dieser
Scene ließ mich bereuen, ein Mensch zu sein. Darum also mähte der
Würgengel der Civilisation die eingebornen Naturvölker vor sich her,

der zwiſchen Mardern und Iltiſſen um die Integrität ſeines Harems ſchreit,
wenn er im ſchneidendſten Falſett auf einmal den Aufſchrei einer ver¬
dammten Seele losließ. Kurz, der Weihevolle ſchlug ſich in Gedanken,
Worten und Geberden über alle Hinderniſſe der menſchlichen Grenzen
direct zum Pavian durch.

Das war der Hirt. Und dieſem Hirten entſprach die Heerde. Die
Heerde ſteht hier ganz ohne Allegorie da. Sie war es wirklich. Zwar
in der erſten Viertelſtunde hielt die mitgebrachte Menſchenhaut noch
ihre Näthe. Aber bald fing ſie zu platzen an. Zuerſt brachte die
Bußpredigt eine ſonderbare, gewitterähnliche Unruhe unter den Zuhö¬
rern hervor, ein Zappeln und Trippeln von einem Bein auf das an¬
dere, ein Stöhnen, Seufzen, Wimmern und Schluchzen, gemiſcht mit
einem faſt zornigen Murren, das einem Aufruhrgemurmel glich —
Aufruhr gegen den Teufel. Dieſe Geräuſche erhoben ſich nach und
nach zu der Höhe des Lärmes. Wie man in einem ſchwülen Raum
die Kleidungsſtücke ablegt, ſo begannen die Seelen, die ins Schwei߬
treiben geriethen, ſich zu lüften. Man verzweifelte, man verfluchte ſich,
man ſchrie laut die Namen derjenigen Laſter umher, von denen man
ſich am ſchwerſten bedrückt fühlte, und forderte Andere auf, das Gleiche
zu thun, man ſchrie dem Prediger Beifall zu, ließ ſich die kräftigſten
Stellen wiederholen, brüllte ſie im Chor nach, — kurz, man betäubte
ſich gewaltſam. Einer Verſammlung von Tauſenden gelingt das wun¬
derbar ſchnell. Im Nu waren die menſchlichen Stimmen verſchwunden
und ein Heulen, Blöcken, Bellen, Grunzen, Miauen und Schnarren
hub an, als ob eine Noahsarche im Schiffbruch begriffen wäre, und
alle Thiergattungen der Erde um Hilfe ſchrien. Dazu ſtrampften die
Beine, die Arme fuhren in der Luft, die Hände ſchlugen um ſich,
man ſchüttelte die Leiber, ſtieß, rieb, trieb, zwickte und zwackte ſich,
um der Teufelsaustreibung ſo gewiß als möglich zu werden. In
dieſem Tumulte gingen endlich die Donner des Predigers unter. Nur
in einzelnen langgehaltenen Pauſen ſchlug noch ſein hohler Weheruf
durch, wie Glockenſignale in einer feuerlärmenden Stadt. Zuletzt
verhallte auch das — der Brand war fertig, das Schürreiſen ruhte.

Ich ſtand da, von Scham übergoſſen. Die Unkeuſchheit dieſer
Scene ließ mich bereuen, ein Menſch zu ſein. Darum alſo mähte der
Würgengel der Civiliſation die eingebornen Naturvölker vor ſich her,

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[387/0405] der zwiſchen Mardern und Iltiſſen um die Integrität ſeines Harems ſchreit, wenn er im ſchneidendſten Falſett auf einmal den Aufſchrei einer ver¬ dammten Seele losließ. Kurz, der Weihevolle ſchlug ſich in Gedanken, Worten und Geberden über alle Hinderniſſe der menſchlichen Grenzen direct zum Pavian durch. Das war der Hirt. Und dieſem Hirten entſprach die Heerde. Die Heerde ſteht hier ganz ohne Allegorie da. Sie war es wirklich. Zwar in der erſten Viertelſtunde hielt die mitgebrachte Menſchenhaut noch ihre Näthe. Aber bald fing ſie zu platzen an. Zuerſt brachte die Bußpredigt eine ſonderbare, gewitterähnliche Unruhe unter den Zuhö¬ rern hervor, ein Zappeln und Trippeln von einem Bein auf das an¬ dere, ein Stöhnen, Seufzen, Wimmern und Schluchzen, gemiſcht mit einem faſt zornigen Murren, das einem Aufruhrgemurmel glich — Aufruhr gegen den Teufel. Dieſe Geräuſche erhoben ſich nach und nach zu der Höhe des Lärmes. Wie man in einem ſchwülen Raum die Kleidungsſtücke ablegt, ſo begannen die Seelen, die ins Schwei߬ treiben geriethen, ſich zu lüften. Man verzweifelte, man verfluchte ſich, man ſchrie laut die Namen derjenigen Laſter umher, von denen man ſich am ſchwerſten bedrückt fühlte, und forderte Andere auf, das Gleiche zu thun, man ſchrie dem Prediger Beifall zu, ließ ſich die kräftigſten Stellen wiederholen, brüllte ſie im Chor nach, — kurz, man betäubte ſich gewaltſam. Einer Verſammlung von Tauſenden gelingt das wun¬ derbar ſchnell. Im Nu waren die menſchlichen Stimmen verſchwunden und ein Heulen, Blöcken, Bellen, Grunzen, Miauen und Schnarren hub an, als ob eine Noahsarche im Schiffbruch begriffen wäre, und alle Thiergattungen der Erde um Hilfe ſchrien. Dazu ſtrampften die Beine, die Arme fuhren in der Luft, die Hände ſchlugen um ſich, man ſchüttelte die Leiber, ſtieß, rieb, trieb, zwickte und zwackte ſich, um der Teufelsaustreibung ſo gewiß als möglich zu werden. In dieſem Tumulte gingen endlich die Donner des Predigers unter. Nur in einzelnen langgehaltenen Pauſen ſchlug noch ſein hohler Weheruf durch, wie Glockenſignale in einer feuerlärmenden Stadt. Zuletzt verhallte auch das — der Brand war fertig, das Schürreiſen ruhte. Ich ſtand da, von Scham übergoſſen. Die Unkeuſchheit dieſer Scene ließ mich bereuen, ein Menſch zu ſein. Darum alſo mähte der Würgengel der Civiliſation die eingebornen Naturvölker vor ſich her,

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Zitationshilfe: Kürnberger, Ferdinand: Der Amerika-Müde. Frankfurt (Main), 1855, S. 387. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/kuernberger_amerikamuede_1855/405>, abgerufen am 24.11.2024.