ein Ziel meiner Irrfahrt zu finden. Ich spannte meine Aufmerk¬ samkeit nach allen Richtungen, umsonst. Tiefe unberührte Waldfremde rings, -- keine Spur, kein Merkzeichen eines Menschen. Wäre ich noch Herr eines Pulverkörnchens gewesen, so hätte ich's jetzt zu Noth¬ signalen verschossen; dagegen verführte mich lange Zeit eine hiesige Spechtart, der wood-cock, der mit einem menschenähnlichen Klopfen die Bäume behackt, und dessen Treiben ich selbst für Signale hielt. So gerieth ich immer tiefer ins Waldöde. Einmal stand ich an einer gräßlichen Stelle. Der Boden war bedeckt mit Gerippen von Hornvieh; die Schädel der Thiere glotzten fürchterlich in allen Lagen und Richtungen aus dem verworrenen Beinhaufen. Schaudernd starrte ich das Räthsel dieses gespenstischen Bildes an, bis ich mich auf seine Erklärung besann. Die Heerden überwintern bekanntlich im Freien hier; aber in diesem aus Scandinavien und Italien zusammenge¬ backenen Clima erfriert das Vieh oft massenhaft in kalten Winter¬ nächten. Der Leichenanger solch einer verunglückten Heerde war's, der mir da aufgestoßen.
Krankenbesuch -- Waldschattirung -- Gedicht -- Eichhörnchenjagd -- Hunger -- gefallenes Vieh -- ich skizzire diese Scenerie, um darzuthun, wie sehr ich mit meinem Sinnenleben am Aeußerlichen betheiligt war, und nichts weniger als zur Schwärmerei aufgelegt. Zuletzt brachte mich das Geläute einer weidenden Heerde wieder auf die rechte Bahn. Sie weidete zwar nach Landesart frei im Walde, aber indem ich ihren Spuren folgte, erreichte ich den Rand desselben. Vor mir lag ein Ackerfeld, in der Ferne entdeckte ich eine Hofstelle, doch konnte ich nicht erkennen, welche? Ich setzte mich auf einen der niedergebrannten Baumstämme am Waldessaum und ruhte aus.
Die Sonne stand im Zenith; es war die Panstunde. Der Himmel glühte in einem grau-rostigen Dunst. Die Luft vor mir zitterte wie über einem Kalkofen. Auf dem Acker knisterte das Stroh, als würde es langsam geröstet. Der strohene Acker war ein häßlicher Anblick. Indem man hier nur die Aehren absichelt, das Stroh aber stehen läßt, so sieht sich das Besenfeld an, als hätten Buben die ganze Ernte muthwillig geköpft und gemeuchelmordet. Später brennt man das Stroh nieder und die Asche ist der einzige Dünger des Feldes.
25 *
ein Ziel meiner Irrfahrt zu finden. Ich ſpannte meine Aufmerk¬ ſamkeit nach allen Richtungen, umſonſt. Tiefe unberührte Waldfremde rings, — keine Spur, kein Merkzeichen eines Menſchen. Wäre ich noch Herr eines Pulverkörnchens geweſen, ſo hätte ich's jetzt zu Noth¬ ſignalen verſchoſſen; dagegen verführte mich lange Zeit eine hieſige Spechtart, der wood-cock, der mit einem menſchenähnlichen Klopfen die Bäume behackt, und deſſen Treiben ich ſelbſt für Signale hielt. So gerieth ich immer tiefer ins Waldöde. Einmal ſtand ich an einer gräßlichen Stelle. Der Boden war bedeckt mit Gerippen von Hornvieh; die Schädel der Thiere glotzten fürchterlich in allen Lagen und Richtungen aus dem verworrenen Beinhaufen. Schaudernd ſtarrte ich das Räthſel dieſes geſpenſtiſchen Bildes an, bis ich mich auf ſeine Erklärung beſann. Die Heerden überwintern bekanntlich im Freien hier; aber in dieſem aus Scandinavien und Italien zuſammenge¬ backenen Clima erfriert das Vieh oft maſſenhaft in kalten Winter¬ nächten. Der Leichenanger ſolch einer verunglückten Heerde war's, der mir da aufgeſtoßen.
Krankenbeſuch — Waldſchattirung — Gedicht — Eichhörnchenjagd — Hunger — gefallenes Vieh — ich ſkizzire dieſe Scenerie, um darzuthun, wie ſehr ich mit meinem Sinnenleben am Aeußerlichen betheiligt war, und nichts weniger als zur Schwärmerei aufgelegt. Zuletzt brachte mich das Geläute einer weidenden Heerde wieder auf die rechte Bahn. Sie weidete zwar nach Landesart frei im Walde, aber indem ich ihren Spuren folgte, erreichte ich den Rand deſſelben. Vor mir lag ein Ackerfeld, in der Ferne entdeckte ich eine Hofſtelle, doch konnte ich nicht erkennen, welche? Ich ſetzte mich auf einen der niedergebrannten Baumſtämme am Waldesſaum und ruhte aus.
Die Sonne ſtand im Zenith; es war die Panſtunde. Der Himmel glühte in einem grau-roſtigen Dunſt. Die Luft vor mir zitterte wie über einem Kalkofen. Auf dem Acker kniſterte das Stroh, als würde es langſam geröſtet. Der ſtrohene Acker war ein häßlicher Anblick. Indem man hier nur die Aehren abſichelt, das Stroh aber ſtehen läßt, ſo ſieht ſich das Beſenfeld an, als hätten Buben die ganze Ernte muthwillig geköpft und gemeuchelmordet. Später brennt man das Stroh nieder und die Aſche iſt der einzige Dünger des Feldes.
25 *
<TEI><text><body><divn="1"><divn="2"><p><pbfacs="#f0393"n="375"/>
ein Ziel meiner Irrfahrt zu finden. Ich ſpannte meine Aufmerk¬<lb/>ſamkeit nach allen Richtungen, umſonſt. Tiefe unberührte Waldfremde<lb/>
rings, — keine Spur, kein Merkzeichen eines Menſchen. Wäre ich<lb/>
noch Herr eines Pulverkörnchens geweſen, ſo hätte ich's jetzt zu Noth¬<lb/>ſignalen verſchoſſen; dagegen verführte mich lange Zeit eine hieſige<lb/>
Spechtart, der <hirendition="#aq">wood</hi>-<hirendition="#aq">cock</hi>, der mit einem menſchenähnlichen Klopfen<lb/>
die Bäume behackt, und deſſen Treiben ich ſelbſt für Signale hielt.<lb/>
So gerieth ich immer tiefer ins Waldöde. Einmal ſtand ich an<lb/>
einer gräßlichen Stelle. Der Boden war bedeckt mit Gerippen von<lb/>
Hornvieh; die Schädel der Thiere glotzten fürchterlich in allen Lagen<lb/>
und Richtungen aus dem verworrenen Beinhaufen. Schaudernd ſtarrte<lb/>
ich das Räthſel dieſes geſpenſtiſchen Bildes an, bis ich mich auf ſeine<lb/>
Erklärung beſann. Die Heerden überwintern bekanntlich im Freien<lb/>
hier; aber in dieſem aus Scandinavien und Italien zuſammenge¬<lb/>
backenen Clima erfriert das Vieh oft maſſenhaft in kalten Winter¬<lb/>
nächten. Der Leichenanger ſolch einer verunglückten Heerde war's, der<lb/>
mir da aufgeſtoßen.</p><lb/><p>Krankenbeſuch — Waldſchattirung — Gedicht — Eichhörnchenjagd<lb/>— Hunger — gefallenes Vieh — ich ſkizzire dieſe Scenerie, um<lb/>
darzuthun, wie ſehr ich mit meinem Sinnenleben am Aeußerlichen<lb/>
betheiligt war, und nichts weniger als zur Schwärmerei aufgelegt.<lb/>
Zuletzt brachte mich das Geläute einer weidenden Heerde wieder<lb/>
auf die rechte Bahn. Sie weidete zwar nach Landesart frei im<lb/>
Walde, aber indem ich ihren Spuren folgte, erreichte ich den Rand<lb/>
deſſelben. Vor mir lag ein Ackerfeld, in der Ferne entdeckte ich eine<lb/>
Hofſtelle, doch konnte ich nicht erkennen, welche? Ich ſetzte mich<lb/>
auf einen der niedergebrannten Baumſtämme am Waldesſaum und<lb/>
ruhte aus.</p><lb/><p>Die Sonne ſtand im Zenith; es war die Panſtunde. Der Himmel<lb/>
glühte in einem grau-roſtigen Dunſt. Die Luft vor mir zitterte wie<lb/>
über einem Kalkofen. Auf dem Acker kniſterte das Stroh, als würde es<lb/>
langſam geröſtet. Der ſtrohene Acker war ein häßlicher Anblick.<lb/>
Indem man hier nur die Aehren abſichelt, das Stroh aber ſtehen<lb/>
läßt, ſo ſieht ſich das Beſenfeld an, als hätten Buben die ganze<lb/>
Ernte muthwillig geköpft und gemeuchelmordet. Später brennt man<lb/>
das Stroh nieder und die Aſche iſt der einzige Dünger des Feldes.<lb/><fwplace="bottom"type="sig">25 *<lb/></fw></p></div></div></body></text></TEI>
[375/0393]
ein Ziel meiner Irrfahrt zu finden. Ich ſpannte meine Aufmerk¬
ſamkeit nach allen Richtungen, umſonſt. Tiefe unberührte Waldfremde
rings, — keine Spur, kein Merkzeichen eines Menſchen. Wäre ich
noch Herr eines Pulverkörnchens geweſen, ſo hätte ich's jetzt zu Noth¬
ſignalen verſchoſſen; dagegen verführte mich lange Zeit eine hieſige
Spechtart, der wood-cock, der mit einem menſchenähnlichen Klopfen
die Bäume behackt, und deſſen Treiben ich ſelbſt für Signale hielt.
So gerieth ich immer tiefer ins Waldöde. Einmal ſtand ich an
einer gräßlichen Stelle. Der Boden war bedeckt mit Gerippen von
Hornvieh; die Schädel der Thiere glotzten fürchterlich in allen Lagen
und Richtungen aus dem verworrenen Beinhaufen. Schaudernd ſtarrte
ich das Räthſel dieſes geſpenſtiſchen Bildes an, bis ich mich auf ſeine
Erklärung beſann. Die Heerden überwintern bekanntlich im Freien
hier; aber in dieſem aus Scandinavien und Italien zuſammenge¬
backenen Clima erfriert das Vieh oft maſſenhaft in kalten Winter¬
nächten. Der Leichenanger ſolch einer verunglückten Heerde war's, der
mir da aufgeſtoßen.
Krankenbeſuch — Waldſchattirung — Gedicht — Eichhörnchenjagd
— Hunger — gefallenes Vieh — ich ſkizzire dieſe Scenerie, um
darzuthun, wie ſehr ich mit meinem Sinnenleben am Aeußerlichen
betheiligt war, und nichts weniger als zur Schwärmerei aufgelegt.
Zuletzt brachte mich das Geläute einer weidenden Heerde wieder
auf die rechte Bahn. Sie weidete zwar nach Landesart frei im
Walde, aber indem ich ihren Spuren folgte, erreichte ich den Rand
deſſelben. Vor mir lag ein Ackerfeld, in der Ferne entdeckte ich eine
Hofſtelle, doch konnte ich nicht erkennen, welche? Ich ſetzte mich
auf einen der niedergebrannten Baumſtämme am Waldesſaum und
ruhte aus.
Die Sonne ſtand im Zenith; es war die Panſtunde. Der Himmel
glühte in einem grau-roſtigen Dunſt. Die Luft vor mir zitterte wie
über einem Kalkofen. Auf dem Acker kniſterte das Stroh, als würde es
langſam geröſtet. Der ſtrohene Acker war ein häßlicher Anblick.
Indem man hier nur die Aehren abſichelt, das Stroh aber ſtehen
läßt, ſo ſieht ſich das Beſenfeld an, als hätten Buben die ganze
Ernte muthwillig geköpft und gemeuchelmordet. Später brennt man
das Stroh nieder und die Aſche iſt der einzige Dünger des Feldes.
25 *
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Sie haben einen Fehler gefunden?
Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform
DTAQ melden.
Kommentar zur DTA-Ausgabe
Dieses Werk wurde von OCR-Software automatisch erfasst und anschließend
gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien
von Muttersprachlern nachkontrolliert. Es wurde gemäß dem
DTA-Basisformat in XML/TEI P5 kodiert.
Kürnberger, Ferdinand: Der Amerika-Müde. Frankfurt (Main), 1855, S. 375. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/kuernberger_amerikamuede_1855/393>, abgerufen am 24.11.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.