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Kürnberger, Ferdinand: Der Amerika-Müde. Frankfurt (Main), 1855.

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der Selbstbespiegelung, der ihn an dieses Gegenüber fesselt, erst deut¬
licher aufzudecken? Hier liegt ja volles Bewußtsein. Seine Monade --,
Psyche, -- Schwesterchen, -- Vignette seines eigenen Ich ist ihm das
Kind, dem sich -- wenn auch nur über Blumen -- zu Amerika das
Herz versperrt! Was sonst sucht er also dort, als den Genuß seiner
Selbstqual, das Echo seiner eigenen Verneinungen? Nur daß das
Kind der einfachste Ausdruck, er selbst der unbändigste für den gleichen
Seelenzustand ist. Es läuft, dürfen wir ahnen, sogar ein Zug des
künstlerischen Wohlgefallens hier durch. Das kleine Mädchen ist
ihm die naivste Form dessen, was auf den höheren Stufen seines
Gedanken-Lebens zerklüftet und widerspruchsvoll in unkünstlerischer
Maßlosigkeit sich abmüdet. Wir würden daher ein tiefes Verkennen
an den Tag legen, wenn wir an dieser Kindes-Freundschaft unsern
Trost fänden. Ja, sie eine Davidsharfe, in der Sauls-Melancholie
unsers Helden. Aber hat die Harfe den Saul geheilt? So schmei¬
chelt sich in Annette'n süß und wohlklingend der schwarzblütige Dämon
ein, den Moorfeld ohne sie vielleicht kräftig zurückstieße. Sie zertheilt
die Gewitterwolke, welche stürmen, blitzen und -- reinigen sollte, in
ein weiches, nebelhaftes Geflör, das den Horizont leichter umschleiert,
aber schwüler am Marke saugt. Diese zarte Geselligkeit lindert die
Schmerzen des Einsamen -- gewiß! nur daß mit den Schmerzen auch
die Kraft zerstreut, auch der Wille aufgelöst wird, der vom Schmerz
frei macht, nur daß am unschuldigen Mitleid mit seiner kleinen
Verbannten Moorfeld schuldig wird an sich selbst, denn er leidet in
ungleich größerem Style mit, -- er leidet gelinder, aber erschöpfend,
schwächend bis zur Ohnmacht.

Aus dieser Ohnmacht blitzte dann plötzlich wieder das höchste Le¬
bensgefühl auf. In Momenten, wo Moorfeld Alles verloren zu haben
schien, verlor er doch das Eine nicht: die Erinnerung seiner selbst.
Aber seine Täuschung war es dann, daß er Erinnerung zugleich für
Besitz hielt! Er verkannte die Natur solcher Rückschläge, nahm als
Begeisterung, was nur Stolz, als Fülle, was nur Glaube an Er¬
füllung. Mit einer Gier, welche die Stelle des gesunden Enthusiasmus
vertrat, griff er dann in die Saiten und sang -- wir kennen sein
Thema. "In Ohio wird's eins deiner Gedichte!" hatte er sich schon
im ersten Augenblicke gesagt; -- hier lag ein theurer tiefgehüteter

der Selbſtbeſpiegelung, der ihn an dieſes Gegenüber feſſelt, erſt deut¬
licher aufzudecken? Hier liegt ja volles Bewußtſein. Seine Monade —,
Pſyche, — Schweſterchen, — Vignette ſeines eigenen Ich iſt ihm das
Kind, dem ſich — wenn auch nur über Blumen — zu Amerika das
Herz verſperrt! Was ſonſt ſucht er alſo dort, als den Genuß ſeiner
Selbſtqual, das Echo ſeiner eigenen Verneinungen? Nur daß das
Kind der einfachſte Ausdruck, er ſelbſt der unbändigſte für den gleichen
Seelenzuſtand iſt. Es läuft, dürfen wir ahnen, ſogar ein Zug des
künſtleriſchen Wohlgefallens hier durch. Das kleine Mädchen iſt
ihm die naivſte Form deſſen, was auf den höheren Stufen ſeines
Gedanken-Lebens zerklüftet und widerſpruchsvoll in unkünſtleriſcher
Maßloſigkeit ſich abmüdet. Wir würden daher ein tiefes Verkennen
an den Tag legen, wenn wir an dieſer Kindes-Freundſchaft unſern
Troſt fänden. Ja, ſie eine Davidsharfe, in der Sauls-Melancholie
unſers Helden. Aber hat die Harfe den Saul geheilt? So ſchmei¬
chelt ſich in Annette’n ſüß und wohlklingend der ſchwarzblütige Dämon
ein, den Moorfeld ohne ſie vielleicht kräftig zurückſtieße. Sie zertheilt
die Gewitterwolke, welche ſtürmen, blitzen und — reinigen ſollte, in
ein weiches, nebelhaftes Geflör, das den Horizont leichter umſchleiert,
aber ſchwüler am Marke ſaugt. Dieſe zarte Geſelligkeit lindert die
Schmerzen des Einſamen — gewiß! nur daß mit den Schmerzen auch
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Verbannten Moorfeld ſchuldig wird an ſich ſelbſt, denn er leidet in
ungleich größerem Style mit, — er leidet gelinder, aber erſchöpfend,
ſchwächend bis zur Ohnmacht.

Aus dieſer Ohnmacht blitzte dann plötzlich wieder das höchſte Le¬
bensgefühl auf. In Momenten, wo Moorfeld Alles verloren zu haben
ſchien, verlor er doch das Eine nicht: die Erinnerung ſeiner ſelbſt.
Aber ſeine Täuſchung war es dann, daß er Erinnerung zugleich für
Beſitz hielt! Er verkannte die Natur ſolcher Rückſchläge, nahm als
Begeiſterung, was nur Stolz, als Fülle, was nur Glaube an Er¬
füllung. Mit einer Gier, welche die Stelle des geſunden Enthuſiasmus
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[370/0388] der Selbſtbeſpiegelung, der ihn an dieſes Gegenüber feſſelt, erſt deut¬ licher aufzudecken? Hier liegt ja volles Bewußtſein. Seine Monade —, Pſyche, — Schweſterchen, — Vignette ſeines eigenen Ich iſt ihm das Kind, dem ſich — wenn auch nur über Blumen — zu Amerika das Herz verſperrt! Was ſonſt ſucht er alſo dort, als den Genuß ſeiner Selbſtqual, das Echo ſeiner eigenen Verneinungen? Nur daß das Kind der einfachſte Ausdruck, er ſelbſt der unbändigſte für den gleichen Seelenzuſtand iſt. Es läuft, dürfen wir ahnen, ſogar ein Zug des künſtleriſchen Wohlgefallens hier durch. Das kleine Mädchen iſt ihm die naivſte Form deſſen, was auf den höheren Stufen ſeines Gedanken-Lebens zerklüftet und widerſpruchsvoll in unkünſtleriſcher Maßloſigkeit ſich abmüdet. Wir würden daher ein tiefes Verkennen an den Tag legen, wenn wir an dieſer Kindes-Freundſchaft unſern Troſt fänden. Ja, ſie eine Davidsharfe, in der Sauls-Melancholie unſers Helden. Aber hat die Harfe den Saul geheilt? So ſchmei¬ chelt ſich in Annette’n ſüß und wohlklingend der ſchwarzblütige Dämon ein, den Moorfeld ohne ſie vielleicht kräftig zurückſtieße. Sie zertheilt die Gewitterwolke, welche ſtürmen, blitzen und — reinigen ſollte, in ein weiches, nebelhaftes Geflör, das den Horizont leichter umſchleiert, aber ſchwüler am Marke ſaugt. Dieſe zarte Geſelligkeit lindert die Schmerzen des Einſamen — gewiß! nur daß mit den Schmerzen auch die Kraft zerſtreut, auch der Wille aufgelöſt wird, der vom Schmerz frei macht, nur daß am unſchuldigen Mitleid mit ſeiner kleinen Verbannten Moorfeld ſchuldig wird an ſich ſelbſt, denn er leidet in ungleich größerem Style mit, — er leidet gelinder, aber erſchöpfend, ſchwächend bis zur Ohnmacht. Aus dieſer Ohnmacht blitzte dann plötzlich wieder das höchſte Le¬ bensgefühl auf. In Momenten, wo Moorfeld Alles verloren zu haben ſchien, verlor er doch das Eine nicht: die Erinnerung ſeiner ſelbſt. Aber ſeine Täuſchung war es dann, daß er Erinnerung zugleich für Beſitz hielt! Er verkannte die Natur ſolcher Rückſchläge, nahm als Begeiſterung, was nur Stolz, als Fülle, was nur Glaube an Er¬ füllung. Mit einer Gier, welche die Stelle des geſunden Enthuſiasmus vertrat, griff er dann in die Saiten und ſang — wir kennen ſein Thema. „In Ohio wird's eins deiner Gedichte!“ hatte er ſich ſchon im erſten Augenblicke geſagt; — hier lag ein theurer tiefgehüteter

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Zitationshilfe: Kürnberger, Ferdinand: Der Amerika-Müde. Frankfurt (Main), 1855, S. 370. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/kuernberger_amerikamuede_1855/388>, abgerufen am 24.11.2024.