nach Kentucky vor. Einer Newyorker Soire, wär' ich bald einst stehen¬ den Fußes davon gelaufen, so brannte mir Byron's effectvoll declamirte Kentucky-Begeisterung an den Sohlen. Wohlan, diesen Wahn bin ich nun auch los. Einen einäugigen Kentuckyer traf ich auf meinem Penn¬ sylvania-Frolic. Ohne was zu denken, gewissermaßen aus ärztlichem Instincte, bracht' ich die Rede auf diesen Defect, und erkundigte mich um seine Ursache. Das hätte mir bald übel bekommen. Der Kerl nahm eine Miene an, als ob ich ihn foppte, so daß ich wohl merkte, dahinter stecke etwas. In der That belehrte mich Doctor Althof. Der Mann trug seine Niederlage von einer Boxerwette zur Schau. Aber der Ausdruck ist uneigentlich, denn die Kentuckyer boxen sich nicht wie die Engländer, sondern die Kämpfer wetten über die Geschicklichkeit, wer von ihnen dem andern ein Auge ausdrehen könne! Hat die Menschencanaille je solch eine Scheußlichkeit ausgedacht? Augenausdrehen ein Geschicklichkeitsspiel! eine Bravour der männlichen Kraftübung! Aber dieser Zug geht durch ganz Amerika. Der frische Stahlbrunnen der Barbarei, den man hier zu trinken meint, schmeckt überall verdor¬ ben. Es ist Raffinement in der Wildheit! Bei den großstäd¬ tischen Rowdies merkt' ich das schnell, und hier bei den Hinterwalds¬ helden des blutigen Grundes find' ich's nun wieder. Sich boxen auf Augenausdrehen!
Noch ein Nachtrag von meinem Frolic. An der Grenze von Ohio und Pennsylvanien steht ein Posthaus, heißt Marlington und scheint eine Stadt werden zu wollen. Als ich im Vorbeireiten mein Pferd hier fütterte, kam eben die Post von Erie an. Sie gab in Marling¬ ton ein paar Zeitungen unter Kreuzband ab, darunter auch eine deutsche wie ich sehen konnte. Der Posthalter sonderte die deutsche von den übrigen aus und warf sie mit einem dam'nd dutch! in den Enten¬ pfuhl vor seinem Hause. So expedirt man hier deutsche Blätter. --
Wir haben freilich gut sagen, das Volk fürchtet instinctiv die deutsche Geistesüberlegenheit, von der es schon jetzt in allen Zwei¬ gen seines Nationallebens zehrt, und sein Haß müsse uns eigentlich schmeicheln; aber Mensch ist Mensch, und es zückt Einem wie Dolches¬ gier in den Fingern, dieser Brut nach ihrem Rechte zu thun.
nach Kentucky vor. Einer Newyorker Soire, wär' ich bald einſt ſtehen¬ den Fußes davon gelaufen, ſo brannte mir Byron's effectvoll declamirte Kentucky-Begeiſterung an den Sohlen. Wohlan, dieſen Wahn bin ich nun auch los. Einen einäugigen Kentuckyer traf ich auf meinem Penn¬ ſylvania-Frolic. Ohne was zu denken, gewiſſermaßen aus ärztlichem Inſtincte, bracht' ich die Rede auf dieſen Defect, und erkundigte mich um ſeine Urſache. Das hätte mir bald übel bekommen. Der Kerl nahm eine Miene an, als ob ich ihn foppte, ſo daß ich wohl merkte, dahinter ſtecke etwas. In der That belehrte mich Doctor Althof. Der Mann trug ſeine Niederlage von einer Boxerwette zur Schau. Aber der Ausdruck iſt uneigentlich, denn die Kentuckyer boxen ſich nicht wie die Engländer, ſondern die Kämpfer wetten über die Geſchicklichkeit, wer von ihnen dem andern ein Auge ausdrehen könne! Hat die Menſchencanaille je ſolch eine Scheußlichkeit ausgedacht? Augenausdrehen ein Geſchicklichkeitsſpiel! eine Bravour der männlichen Kraftübung! Aber dieſer Zug geht durch ganz Amerika. Der friſche Stahlbrunnen der Barbarei, den man hier zu trinken meint, ſchmeckt überall verdor¬ ben. Es iſt Raffinement in der Wildheit! Bei den großſtäd¬ tiſchen Rowdies merkt' ich das ſchnell, und hier bei den Hinterwalds¬ helden des blutigen Grundes find' ich's nun wieder. Sich boxen auf Augenausdrehen!
Noch ein Nachtrag von meinem Frolic. An der Grenze von Ohio und Pennſylvanien ſteht ein Poſthaus, heißt Marlington und ſcheint eine Stadt werden zu wollen. Als ich im Vorbeireiten mein Pferd hier fütterte, kam eben die Poſt von Erie an. Sie gab in Marling¬ ton ein paar Zeitungen unter Kreuzband ab, darunter auch eine deutſche wie ich ſehen konnte. Der Poſthalter ſonderte die deutſche von den übrigen aus und warf ſie mit einem dam’nd dutch! in den Enten¬ pfuhl vor ſeinem Hauſe. So expedirt man hier deutſche Blätter. —
Wir haben freilich gut ſagen, das Volk fürchtet inſtinctiv die deutſche Geiſtesüberlegenheit, von der es ſchon jetzt in allen Zwei¬ gen ſeines Nationallebens zehrt, und ſein Haß müſſe uns eigentlich ſchmeicheln; aber Menſch iſt Menſch, und es zückt Einem wie Dolches¬ gier in den Fingern, dieſer Brut nach ihrem Rechte zu thun.
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nach Kentucky vor. Einer Newyorker Soire, wär' ich bald einſt ſtehen¬
den Fußes davon gelaufen, ſo brannte mir Byron's effectvoll declamirte
Kentucky-Begeiſterung an den Sohlen. Wohlan, dieſen Wahn bin ich
nun auch los. Einen einäugigen Kentuckyer traf ich auf meinem Penn¬
ſylvania-Frolic. Ohne was zu denken, gewiſſermaßen aus ärztlichem
Inſtincte, bracht' ich die Rede auf dieſen Defect, und erkundigte mich
um ſeine Urſache. Das hätte mir bald übel bekommen. Der Kerl
nahm eine Miene an, als ob ich ihn foppte, ſo daß ich wohl merkte,
dahinter ſtecke etwas. In der That belehrte mich Doctor Althof. Der
Mann trug ſeine Niederlage von einer Boxerwette zur Schau. Aber
der Ausdruck iſt uneigentlich, denn die Kentuckyer boxen ſich nicht wie
die Engländer, ſondern die Kämpfer wetten über die Geſchicklichkeit,
wer von ihnen dem andern ein Auge ausdrehen könne! Hat die
Menſchencanaille je ſolch eine Scheußlichkeit ausgedacht? Augenausdrehen
ein Geſchicklichkeitsſpiel! eine Bravour der männlichen Kraftübung!
Aber dieſer Zug geht durch ganz Amerika. Der friſche Stahlbrunnen
der Barbarei, den man hier zu trinken meint, ſchmeckt überall verdor¬
ben. Es iſt Raffinement in der Wildheit! Bei den großſtäd¬
tiſchen Rowdies merkt' ich das ſchnell, und hier bei den Hinterwalds¬
helden des blutigen Grundes find' ich's nun wieder. Sich boxen auf
Augenausdrehen!
Noch ein Nachtrag von meinem Frolic. An der Grenze von Ohio
und Pennſylvanien ſteht ein Poſthaus, heißt Marlington und ſcheint
eine Stadt werden zu wollen. Als ich im Vorbeireiten mein Pferd
hier fütterte, kam eben die Poſt von Erie an. Sie gab in Marling¬
ton ein paar Zeitungen unter Kreuzband ab, darunter auch eine deutſche
wie ich ſehen konnte. Der Poſthalter ſonderte die deutſche von den
übrigen aus und warf ſie mit einem dam’nd dutch! in den Enten¬
pfuhl vor ſeinem Hauſe. So expedirt man hier deutſche Blätter. —
Wir haben freilich gut ſagen, das Volk fürchtet inſtinctiv die
deutſche Geiſtesüberlegenheit, von der es ſchon jetzt in allen Zwei¬
gen ſeines Nationallebens zehrt, und ſein Haß müſſe uns eigentlich
ſchmeicheln; aber Menſch iſt Menſch, und es zückt Einem wie Dolches¬
gier in den Fingern, dieſer Brut nach ihrem Rechte zu thun.
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Kürnberger, Ferdinand: Der Amerika-Müde. Frankfurt (Main), 1855, S. 366. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/kuernberger_amerikamuede_1855/384>, abgerufen am 24.11.2024.
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