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Kürnberger, Ferdinand: Der Amerika-Müde. Frankfurt (Main), 1855.

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sprach von der Würde der Therapie. Ueberdies, fuhr ich fort, --
denn meine Beobachtung des Kranken hatte mir inzwischen sehr deut¬
liche diagnostische Resultate geliefert, -- überdies sollte es scheinen, daß
hier vor allem Anderen Aderlässe indicirt seien, welche bei der hohen
Expansion des Blutes, den gewaltigen congestiven und entzündlichen
Affectionen, sowie der bedeutenden Hirnerregung, deren Symptome wir
offenbar vor uns haben, jedenfalls der China vorauszugehen hätten,
wenn anders von einer rationellen Behandlung die Rede sein sollte. --
Gewiß, gewiß, antwortete der Aeskulap so rasch und heimlich, wie
zuvor, aber die Leute hier glauben, nur das Geben curire, nicht
das Nehmen. Und lauter setzte er in einem ganz andern Tone
hinzu: Ich habe über Blutentziehung meine eigenen Ansichten, mein
Herr. Blut ist der Träger der Lebenskraft, wie wir wissen; das
Heilbestreben der Natur liegt vorzüglich im Blute, es äußert sich
am kräftigsten und wirksamsten durch dieses. Mit welchen Waffen
sollte die Natur den Krankheits-Dämon bekämpfen, wenn nicht mit
dem Blute? Das Blut ist gewissermaßen das ganze active Ver¬
mögen der Natur; um dem Bankrott, d. h. dem Tode zu entgehen,
kann sie die Passiva, d. h. die Krankheit nur allein aus der Blut¬
masse decken. Das ist klar. Auch wissen wir ja, daß die neueren
Schriftsteller unsrer Wissenschaft von der Theorie der Blutentziehung
mehr und mehr zurückkommen. -- Mir stand der Verstand still. In
der Verlegenheit, daß Worte nicht Haselstöcke seien, fehlte mir
einen Augenblick lang das Wort. Einzig im Interesse des Kranken
verschonte ich ihn mit einer Scene, die er verdiente, und beschränkte
mich darauf, mit äußerster Kälte zu antworten: Was immer der
Werth des Blutes sei, es sei zunächst werth, daß der Heilkünstler es
kennen lerne. Was neuere Schriftsteller über Aderlässe in remittirenden
Fiebern sagen, empfehle ich ihm nachzulesen bei Shapter, bei Irvine und
Burnett, bei Esmarsch in Hufeland's Journal, Band sechsundsiebenzig,
Heft sechs, Bericht über die Marsch-Epidemien zu Eiderstädt aus den
Jahren achtzehnhundert siebenundzwanzig bis neunundzwanzig, was hof¬
fentlich "neu" heißen wird. Diese neueren Autoritäten hätten den lethalen
Verlauf des Fiebers nur durch Oeffnen der Adern verhindert, Burnett
selbst durch die der Arteria temporalis. -- Der Papagei plapperte
sogleich, wie folgt: Arteria temporalis; ja, ja, ich kenne sie wohl

ſprach von der Würde der Therapie. Ueberdies, fuhr ich fort, —
denn meine Beobachtung des Kranken hatte mir inzwiſchen ſehr deut¬
liche diagnoſtiſche Reſultate geliefert, — überdies ſollte es ſcheinen, daß
hier vor allem Anderen Aderläſſe indicirt ſeien, welche bei der hohen
Expanſion des Blutes, den gewaltigen congeſtiven und entzündlichen
Affectionen, ſowie der bedeutenden Hirnerregung, deren Symptome wir
offenbar vor uns haben, jedenfalls der China vorauszugehen hätten,
wenn anders von einer rationellen Behandlung die Rede ſein ſollte. —
Gewiß, gewiß, antwortete der Aeskulap ſo raſch und heimlich, wie
zuvor, aber die Leute hier glauben, nur das Geben curire, nicht
das Nehmen. Und lauter ſetzte er in einem ganz andern Tone
hinzu: Ich habe über Blutentziehung meine eigenen Anſichten, mein
Herr. Blut iſt der Träger der Lebenskraft, wie wir wiſſen; das
Heilbeſtreben der Natur liegt vorzüglich im Blute, es äußert ſich
am kräftigſten und wirkſamſten durch dieſes. Mit welchen Waffen
ſollte die Natur den Krankheits-Dämon bekämpfen, wenn nicht mit
dem Blute? Das Blut iſt gewiſſermaßen das ganze active Ver¬
mögen der Natur; um dem Bankrott, d. h. dem Tode zu entgehen,
kann ſie die Paſſiva, d. h. die Krankheit nur allein aus der Blut¬
maſſe decken. Das iſt klar. Auch wiſſen wir ja, daß die neueren
Schriftſteller unſrer Wiſſenſchaft von der Theorie der Blutentziehung
mehr und mehr zurückkommen. — Mir ſtand der Verſtand ſtill. In
der Verlegenheit, daß Worte nicht Haſelſtöcke ſeien, fehlte mir
einen Augenblick lang das Wort. Einzig im Intereſſe des Kranken
verſchonte ich ihn mit einer Scene, die er verdiente, und beſchränkte
mich darauf, mit äußerſter Kälte zu antworten: Was immer der
Werth des Blutes ſei, es ſei zunächſt werth, daß der Heilkünſtler es
kennen lerne. Was neuere Schriftſteller über Aderläſſe in remittirenden
Fiebern ſagen, empfehle ich ihm nachzuleſen bei Shapter, bei Irvine und
Burnett, bei Esmarſch in Hufeland's Journal, Band ſechsundſiebenzig,
Heft ſechs, Bericht über die Marſch-Epidemien zu Eiderſtädt aus den
Jahren achtzehnhundert ſiebenundzwanzig bis neunundzwanzig, was hof¬
fentlich „neu“ heißen wird. Dieſe neueren Autoritäten hätten den lethalen
Verlauf des Fiebers nur durch Oeffnen der Adern verhindert, Burnett
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[352/0370] ſprach von der Würde der Therapie. Ueberdies, fuhr ich fort, — denn meine Beobachtung des Kranken hatte mir inzwiſchen ſehr deut¬ liche diagnoſtiſche Reſultate geliefert, — überdies ſollte es ſcheinen, daß hier vor allem Anderen Aderläſſe indicirt ſeien, welche bei der hohen Expanſion des Blutes, den gewaltigen congeſtiven und entzündlichen Affectionen, ſowie der bedeutenden Hirnerregung, deren Symptome wir offenbar vor uns haben, jedenfalls der China vorauszugehen hätten, wenn anders von einer rationellen Behandlung die Rede ſein ſollte. — Gewiß, gewiß, antwortete der Aeskulap ſo raſch und heimlich, wie zuvor, aber die Leute hier glauben, nur das Geben curire, nicht das Nehmen. Und lauter ſetzte er in einem ganz andern Tone hinzu: Ich habe über Blutentziehung meine eigenen Anſichten, mein Herr. Blut iſt der Träger der Lebenskraft, wie wir wiſſen; das Heilbeſtreben der Natur liegt vorzüglich im Blute, es äußert ſich am kräftigſten und wirkſamſten durch dieſes. Mit welchen Waffen ſollte die Natur den Krankheits-Dämon bekämpfen, wenn nicht mit dem Blute? Das Blut iſt gewiſſermaßen das ganze active Ver¬ mögen der Natur; um dem Bankrott, d. h. dem Tode zu entgehen, kann ſie die Paſſiva, d. h. die Krankheit nur allein aus der Blut¬ maſſe decken. Das iſt klar. Auch wiſſen wir ja, daß die neueren Schriftſteller unſrer Wiſſenſchaft von der Theorie der Blutentziehung mehr und mehr zurückkommen. — Mir ſtand der Verſtand ſtill. In der Verlegenheit, daß Worte nicht Haſelſtöcke ſeien, fehlte mir einen Augenblick lang das Wort. Einzig im Intereſſe des Kranken verſchonte ich ihn mit einer Scene, die er verdiente, und beſchränkte mich darauf, mit äußerſter Kälte zu antworten: Was immer der Werth des Blutes ſei, es ſei zunächſt werth, daß der Heilkünſtler es kennen lerne. Was neuere Schriftſteller über Aderläſſe in remittirenden Fiebern ſagen, empfehle ich ihm nachzuleſen bei Shapter, bei Irvine und Burnett, bei Esmarſch in Hufeland's Journal, Band ſechsundſiebenzig, Heft ſechs, Bericht über die Marſch-Epidemien zu Eiderſtädt aus den Jahren achtzehnhundert ſiebenundzwanzig bis neunundzwanzig, was hof¬ fentlich „neu“ heißen wird. Dieſe neueren Autoritäten hätten den lethalen Verlauf des Fiebers nur durch Oeffnen der Adern verhindert, Burnett ſelbſt durch die der Arteria temporalis. — Der Papagei plapperte ſogleich, wie folgt: Arteria temporalis; ja, ja, ich kenne ſie wohl

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Zitationshilfe: Kürnberger, Ferdinand: Der Amerika-Müde. Frankfurt (Main), 1855, S. 352. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/kuernberger_amerikamuede_1855/370>, abgerufen am 24.11.2024.