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Kürnberger, Ferdinand: Der Amerika-Müde. Frankfurt (Main), 1855.

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deutsch an, und hatte richtig gerathen. Das erschrockene Kind zeigte
Spuren von Zutrauen. Warum sie mich geflohen, und ob ich denn
wie ein Räuber aussehe? Sie rückte etwas scheu zur Seite, hob
bedächtig ihr blaues Auge zu mir auf und sagte: ich sähe aus
wie ein Herr. -- Was ein Herr Schlimmes sei? ich mußte es wieder¬
holt fragen. Zaudernd antwortete sie: Der Vater sagt -- aber mehr
war ihr nicht abzugewinnen. Sie legte ihren Arm vor die Augen
und sagte: ich sag's nicht! Ich schloß das keusche Kind in meine Arme
und versucht' es auch nicht weiter, auf die reinen, kindlichen Lippen
ein Schmähwort heraufzubeschwören. Ich fragte nach ihrer Familie.
Sie war das einzige Kind eines deutschen Farmers in der Nähe, eines
ausgewanderten Landmanns vom Niederrhein. Das erklärte mir frei¬
lich, was der Vater gegen die Herren hatte. Leider hat man das
Landvolk gewöhnt, im städtischen Rock die summarische Quelle seiner
Uebel zu sehen. Deßungeachtet hörte ich mit Verwunderung, daß sie
ein Bauernkind sei. Ich faßte sogleich den höchsten Begriff von der
Mutter; -- es mußte eine mütterliche Mutter sein nach der muster¬
haften Art, wie sie das Aeußere ihres Kindes hielt. Ihr Haar war
offenbar schlicht, und die schönen langen Locken nur ein Kunstwerk der
Zärtlichkeit. Ihr weißes Leibchen, ihr rothes Sergeröckchen, die Schnur
von Glasperlen an ihrem Halse -- Alles so schmuck, so inspirirt!
möchte ich sagen. -- Was sie hier schaffe? Sie sagte, sie sei aus¬
gegangen, nach Eiern zu suchen, indeß wie immer vergeblich, denn --
belehrte sie mich -- die Hinkel kämen zu ihrer Zeit wohl mit einem
Schwarm Küchlein aus dem Walddickicht hervor, aber die Eier ließen
sie sich selten ablauern. Sie habe schon den ganzen Vormittag ihre
Noth mit dieser Aufgabe gehabt. Das Alles sprach sie im reinsten
Hochdeutsch, indem sie ihre Ehre darein zu setzen schien, das Platt
sorgfältig zu vermeiden, das ihr ohne Zweifel mundgerechter war.
Auch bewegte sich ihre Zunge etwas schwer dabei, da das Zungenband
ein wenig länger als normal. Ihre Rede bekam dadurch etwas Be¬
dächtiges, Abgemessenes, das ihr ungemein wohl stand. Es stimmte
wunderbar zu ihrem Charakter von Ernst und Zurückhaltung.

Das nun war meine Erlöserin aus den Wirren dieser Waldfahrt.
Wir ließen die Eier Eier sein und machten uns nach Annettens
Heimwesen auf. Ich nahm die Kleine vor mich auf's Pferd, und sie gab

deutſch an, und hatte richtig gerathen. Das erſchrockene Kind zeigte
Spuren von Zutrauen. Warum ſie mich geflohen, und ob ich denn
wie ein Räuber ausſehe? Sie rückte etwas ſcheu zur Seite, hob
bedächtig ihr blaues Auge zu mir auf und ſagte: ich ſähe aus
wie ein Herr. — Was ein Herr Schlimmes ſei? ich mußte es wieder¬
holt fragen. Zaudernd antwortete ſie: Der Vater ſagt — aber mehr
war ihr nicht abzugewinnen. Sie legte ihren Arm vor die Augen
und ſagte: ich ſag's nicht! Ich ſchloß das keuſche Kind in meine Arme
und verſucht' es auch nicht weiter, auf die reinen, kindlichen Lippen
ein Schmähwort heraufzubeſchwören. Ich fragte nach ihrer Familie.
Sie war das einzige Kind eines deutſchen Farmers in der Nähe, eines
ausgewanderten Landmanns vom Niederrhein. Das erklärte mir frei¬
lich, was der Vater gegen die Herren hatte. Leider hat man das
Landvolk gewöhnt, im ſtädtiſchen Rock die ſummariſche Quelle ſeiner
Uebel zu ſehen. Deßungeachtet hörte ich mit Verwunderung, daß ſie
ein Bauernkind ſei. Ich faßte ſogleich den höchſten Begriff von der
Mutter; — es mußte eine mütterliche Mutter ſein nach der muſter¬
haften Art, wie ſie das Aeußere ihres Kindes hielt. Ihr Haar war
offenbar ſchlicht, und die ſchönen langen Locken nur ein Kunſtwerk der
Zärtlichkeit. Ihr weißes Leibchen, ihr rothes Sergeröckchen, die Schnur
von Glasperlen an ihrem Halſe — Alles ſo ſchmuck, ſo inſpirirt!
möchte ich ſagen. — Was ſie hier ſchaffe? Sie ſagte, ſie ſei aus¬
gegangen, nach Eiern zu ſuchen, indeß wie immer vergeblich, denn —
belehrte ſie mich — die Hinkel kämen zu ihrer Zeit wohl mit einem
Schwarm Küchlein aus dem Walddickicht hervor, aber die Eier ließen
ſie ſich ſelten ablauern. Sie habe ſchon den ganzen Vormittag ihre
Noth mit dieſer Aufgabe gehabt. Das Alles ſprach ſie im reinſten
Hochdeutſch, indem ſie ihre Ehre darein zu ſetzen ſchien, das Platt
ſorgfältig zu vermeiden, das ihr ohne Zweifel mundgerechter war.
Auch bewegte ſich ihre Zunge etwas ſchwer dabei, da das Zungenband
ein wenig länger als normal. Ihre Rede bekam dadurch etwas Be¬
dächtiges, Abgemeſſenes, das ihr ungemein wohl ſtand. Es ſtimmte
wunderbar zu ihrem Charakter von Ernſt und Zurückhaltung.

Das nun war meine Erlöſerin aus den Wirren dieſer Waldfahrt.
Wir ließen die Eier Eier ſein und machten uns nach Annettens
Heimweſen auf. Ich nahm die Kleine vor mich auf's Pferd, und ſie gab

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[333/0351] deutſch an, und hatte richtig gerathen. Das erſchrockene Kind zeigte Spuren von Zutrauen. Warum ſie mich geflohen, und ob ich denn wie ein Räuber ausſehe? Sie rückte etwas ſcheu zur Seite, hob bedächtig ihr blaues Auge zu mir auf und ſagte: ich ſähe aus wie ein Herr. — Was ein Herr Schlimmes ſei? ich mußte es wieder¬ holt fragen. Zaudernd antwortete ſie: Der Vater ſagt — aber mehr war ihr nicht abzugewinnen. Sie legte ihren Arm vor die Augen und ſagte: ich ſag's nicht! Ich ſchloß das keuſche Kind in meine Arme und verſucht' es auch nicht weiter, auf die reinen, kindlichen Lippen ein Schmähwort heraufzubeſchwören. Ich fragte nach ihrer Familie. Sie war das einzige Kind eines deutſchen Farmers in der Nähe, eines ausgewanderten Landmanns vom Niederrhein. Das erklärte mir frei¬ lich, was der Vater gegen die Herren hatte. Leider hat man das Landvolk gewöhnt, im ſtädtiſchen Rock die ſummariſche Quelle ſeiner Uebel zu ſehen. Deßungeachtet hörte ich mit Verwunderung, daß ſie ein Bauernkind ſei. Ich faßte ſogleich den höchſten Begriff von der Mutter; — es mußte eine mütterliche Mutter ſein nach der muſter¬ haften Art, wie ſie das Aeußere ihres Kindes hielt. Ihr Haar war offenbar ſchlicht, und die ſchönen langen Locken nur ein Kunſtwerk der Zärtlichkeit. Ihr weißes Leibchen, ihr rothes Sergeröckchen, die Schnur von Glasperlen an ihrem Halſe — Alles ſo ſchmuck, ſo inſpirirt! möchte ich ſagen. — Was ſie hier ſchaffe? Sie ſagte, ſie ſei aus¬ gegangen, nach Eiern zu ſuchen, indeß wie immer vergeblich, denn — belehrte ſie mich — die Hinkel kämen zu ihrer Zeit wohl mit einem Schwarm Küchlein aus dem Walddickicht hervor, aber die Eier ließen ſie ſich ſelten ablauern. Sie habe ſchon den ganzen Vormittag ihre Noth mit dieſer Aufgabe gehabt. Das Alles ſprach ſie im reinſten Hochdeutſch, indem ſie ihre Ehre darein zu ſetzen ſchien, das Platt ſorgfältig zu vermeiden, das ihr ohne Zweifel mundgerechter war. Auch bewegte ſich ihre Zunge etwas ſchwer dabei, da das Zungenband ein wenig länger als normal. Ihre Rede bekam dadurch etwas Be¬ dächtiges, Abgemeſſenes, das ihr ungemein wohl ſtand. Es ſtimmte wunderbar zu ihrem Charakter von Ernſt und Zurückhaltung. Das nun war meine Erlöſerin aus den Wirren dieſer Waldfahrt. Wir ließen die Eier Eier ſein und machten uns nach Annettens Heimweſen auf. Ich nahm die Kleine vor mich auf's Pferd, und ſie gab

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Zitationshilfe: Kürnberger, Ferdinand: Der Amerika-Müde. Frankfurt (Main), 1855, S. 333. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/kuernberger_amerikamuede_1855/351>, abgerufen am 22.11.2024.