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Kürnberger, Ferdinand: Der Amerika-Müde. Frankfurt (Main), 1855.

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folgt ihm, -- ein wenig zögernd und unsicher. Seine Miene drückt
ziemlich unzweideutig den Grad seiner Erwartungen aus. Die Per¬
sönlichkeit des ehrenwerthen Mr. Mockingbird scheint ihm eine ausge¬
sprochen sinnliche, und die Pflege von Kinderseelen, zwischen Thran
und Zwiebeln betrieben, dünkt ihm nicht dessen natürlichster Beruf.
Doch folgt er.

Die Schulstube war ein geräumiges, luftiges Zimmer, dessen ganzer
Schmuck in dem hellen Tageslichte bestand, das reichlich einfiel. Tische
und Bänke waren nur aus dem Rohesten gehobelt, Lack oder Firniß
nirgend verschwendet. Auf den Bänken saßen sechzig bis achtzig Knaben,
der Mehrzahl nach in einem Alter von neun bis zwölf Jahren. Ihr
Aeußeres war reinlich gehalten, ihre Bekleidung mehr grob und formlos,
als defect, eigentliche Zerlumpungen nirgends. An einem der vorhan¬
denen Tische arbeitete mit einer Linirmaschine ein junger Mann --
Mr. Benthal, Hilfslehrer, sagte Mr. Mockingbird. Der Fremde nahm
mit einer leichten Verbeugung den Namen entgegen und erwiderte ihn
mit seinem eigenen, indem er sich als Doctor Moorfeld vorstellte. Das
kleine Mädchen war gleich bei ihrem Eintritte auf den Hilfslehrer zu¬
geeilt; sie brachte ihm, wie es schien, eine Nachricht. Dann hielt sie
sich vertraulich an seine Seite, indeß er stillvertieft fortarbeitete.

Die Schulstube feierte eben, wenn nicht mit dem eleganten, doch
mit dem hungerigen Newyork, ihre Mittagsstunde. Dr. Moorfeld,
wie wir den Fremden jetzt nennen dürfen, fand die kleinen Republi¬
kaner über großen Vorräthen mitgebrachten Fleisches und Brodes thätig.
Deßungeachtet sah er seinen Zweck nicht nur nicht verfehlt, sondern
sogar noch besser erreicht. Mr. Mockingbird hielt nämlich eine Art
Brachwirthschaft in dieser Pause, eine freie Conversation. Er ließ
sich mit seinen Schülern in einen Dialog ein, aus welchem der Namens¬
aufruf verbannt war: wer einen Gedanken hatte, konnte mit Auszeich¬
nung antworten, wer nicht, ohne Beschämung schweigen; es war ein
zwangloses Spiel der Individualitäten, mehr Clubb als Schule. Kurz,
diese Zeit der Ernährung wurde, weil Amerika überhaupt keine Zeit ver¬
liert, zwar dem Schulzwecke gewonnen, aber ihrem eigenen nicht entzogen.

Mr. Mockingbird legte behaglich die Arme auf den Rücken und be¬
gann mit seinem kleinen Volke ein Wechselpiel von Fragen und Ant¬
worten, das eine lebendigere Ausführung etwa dieses Umrisses war:

folgt ihm, — ein wenig zögernd und unſicher. Seine Miene drückt
ziemlich unzweideutig den Grad ſeiner Erwartungen aus. Die Per¬
ſönlichkeit des ehrenwerthen Mr. Mockingbird ſcheint ihm eine ausge¬
ſprochen ſinnliche, und die Pflege von Kinderſeelen, zwiſchen Thran
und Zwiebeln betrieben, dünkt ihm nicht deſſen natürlichſter Beruf.
Doch folgt er.

Die Schulſtube war ein geräumiges, luftiges Zimmer, deſſen ganzer
Schmuck in dem hellen Tageslichte beſtand, das reichlich einfiel. Tiſche
und Bänke waren nur aus dem Roheſten gehobelt, Lack oder Firniß
nirgend verſchwendet. Auf den Bänken ſaßen ſechzig bis achtzig Knaben,
der Mehrzahl nach in einem Alter von neun bis zwölf Jahren. Ihr
Aeußeres war reinlich gehalten, ihre Bekleidung mehr grob und formlos,
als defect, eigentliche Zerlumpungen nirgends. An einem der vorhan¬
denen Tiſche arbeitete mit einer Linirmaſchine ein junger Mann —
Mr. Benthal, Hilfslehrer, ſagte Mr. Mockingbird. Der Fremde nahm
mit einer leichten Verbeugung den Namen entgegen und erwiderte ihn
mit ſeinem eigenen, indem er ſich als Doctor Moorfeld vorſtellte. Das
kleine Mädchen war gleich bei ihrem Eintritte auf den Hilfslehrer zu¬
geeilt; ſie brachte ihm, wie es ſchien, eine Nachricht. Dann hielt ſie
ſich vertraulich an ſeine Seite, indeß er ſtillvertieft fortarbeitete.

Die Schulſtube feierte eben, wenn nicht mit dem eleganten, doch
mit dem hungerigen Newyork, ihre Mittagsſtunde. Dr. Moorfeld,
wie wir den Fremden jetzt nennen dürfen, fand die kleinen Republi¬
kaner über großen Vorräthen mitgebrachten Fleiſches und Brodes thätig.
Deßungeachtet ſah er ſeinen Zweck nicht nur nicht verfehlt, ſondern
ſogar noch beſſer erreicht. Mr. Mockingbird hielt nämlich eine Art
Brachwirthſchaft in dieſer Pauſe, eine freie Converſation. Er ließ
ſich mit ſeinen Schülern in einen Dialog ein, aus welchem der Namens¬
aufruf verbannt war: wer einen Gedanken hatte, konnte mit Auszeich¬
nung antworten, wer nicht, ohne Beſchämung ſchweigen; es war ein
zwangloſes Spiel der Individualitäten, mehr Clubb als Schule. Kurz,
dieſe Zeit der Ernährung wurde, weil Amerika überhaupt keine Zeit ver¬
liert, zwar dem Schulzwecke gewonnen, aber ihrem eigenen nicht entzogen.

Mr. Mockingbird legte behaglich die Arme auf den Rücken und be¬
gann mit ſeinem kleinen Volke ein Wechſelpiel von Fragen und Ant¬
worten, das eine lebendigere Ausführung etwa dieſes Umriſſes war:

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[16/0034] folgt ihm, — ein wenig zögernd und unſicher. Seine Miene drückt ziemlich unzweideutig den Grad ſeiner Erwartungen aus. Die Per¬ ſönlichkeit des ehrenwerthen Mr. Mockingbird ſcheint ihm eine ausge¬ ſprochen ſinnliche, und die Pflege von Kinderſeelen, zwiſchen Thran und Zwiebeln betrieben, dünkt ihm nicht deſſen natürlichſter Beruf. Doch folgt er. Die Schulſtube war ein geräumiges, luftiges Zimmer, deſſen ganzer Schmuck in dem hellen Tageslichte beſtand, das reichlich einfiel. Tiſche und Bänke waren nur aus dem Roheſten gehobelt, Lack oder Firniß nirgend verſchwendet. Auf den Bänken ſaßen ſechzig bis achtzig Knaben, der Mehrzahl nach in einem Alter von neun bis zwölf Jahren. Ihr Aeußeres war reinlich gehalten, ihre Bekleidung mehr grob und formlos, als defect, eigentliche Zerlumpungen nirgends. An einem der vorhan¬ denen Tiſche arbeitete mit einer Linirmaſchine ein junger Mann — Mr. Benthal, Hilfslehrer, ſagte Mr. Mockingbird. Der Fremde nahm mit einer leichten Verbeugung den Namen entgegen und erwiderte ihn mit ſeinem eigenen, indem er ſich als Doctor Moorfeld vorſtellte. Das kleine Mädchen war gleich bei ihrem Eintritte auf den Hilfslehrer zu¬ geeilt; ſie brachte ihm, wie es ſchien, eine Nachricht. Dann hielt ſie ſich vertraulich an ſeine Seite, indeß er ſtillvertieft fortarbeitete. Die Schulſtube feierte eben, wenn nicht mit dem eleganten, doch mit dem hungerigen Newyork, ihre Mittagsſtunde. Dr. Moorfeld, wie wir den Fremden jetzt nennen dürfen, fand die kleinen Republi¬ kaner über großen Vorräthen mitgebrachten Fleiſches und Brodes thätig. Deßungeachtet ſah er ſeinen Zweck nicht nur nicht verfehlt, ſondern ſogar noch beſſer erreicht. Mr. Mockingbird hielt nämlich eine Art Brachwirthſchaft in dieſer Pauſe, eine freie Converſation. Er ließ ſich mit ſeinen Schülern in einen Dialog ein, aus welchem der Namens¬ aufruf verbannt war: wer einen Gedanken hatte, konnte mit Auszeich¬ nung antworten, wer nicht, ohne Beſchämung ſchweigen; es war ein zwangloſes Spiel der Individualitäten, mehr Clubb als Schule. Kurz, dieſe Zeit der Ernährung wurde, weil Amerika überhaupt keine Zeit ver¬ liert, zwar dem Schulzwecke gewonnen, aber ihrem eigenen nicht entzogen. Mr. Mockingbird legte behaglich die Arme auf den Rücken und be¬ gann mit ſeinem kleinen Volke ein Wechſelpiel von Fragen und Ant¬ worten, das eine lebendigere Ausführung etwa dieſes Umriſſes war:

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Zitationshilfe: Kürnberger, Ferdinand: Der Amerika-Müde. Frankfurt (Main), 1855, S. 16. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/kuernberger_amerikamuede_1855/34>, abgerufen am 24.11.2024.