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Kürnberger, Ferdinand: Der Amerika-Müde. Frankfurt (Main), 1855.

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Mit nichten, antwortete Anhorst ruhig. Ich verkaufe gegen Käsch
an den Abnehmer, nichts weiter. Ich lasse mich nicht auf Commissions¬
geschäften ein, ich gebe nicht Credit.

Aber warum wollen Sie überhaupt wieder handeln? fragte Moor¬
feld noch immer verwundert.

Anhorst sah ihn groß an. Heißt es denn handeln, wenn man all¬
jährlich einmal eine Ernte zu Markt führt? Und was ist meine Expe¬
dition an die Seen? Kommt es doch vor, daß Farmer dieser Gegend
sich zur Erntezeit ein paar Hickory's schlagen, ein Boot zimmern,
und mit der Frucht den Ohio und den Mississippi hinab nach Neu¬
orleans fahren! Dort verkaufen sie Ladung und Schiff zugleich
und machen dann tausend Meilen den Landweg zurück auf einem
Klepper, den sie im Süden gekauft haben und hier ebenfalls wieder
losschlagen. Das sind amerikanische Marktfahrten, Herr Doktor. Ja,
der Bauernstand ist kein Ruhestand bei uns. Hier handelt Alles, was
sein bischen Mark noch fühlt. Schlimm genug, wen das Fieber nieder¬
knebelt; wer sich aber rühren kann, dem ist die Straße sein Haus;
sein Haus nur Absteigquartier.

Moorfeld schwieg. Schlagender konnte das Ungemüthliche des
hiesigen Landlebens nicht mehr ausgedrückt werden.

Nach dem Frühstücke sattelte Anhorst sein und Moorfeld's Pferd
indem er es nicht anders zu erwarten schien, als daß Moorfeld seinen
Kauf jetzt besehen wolle. Moorfeld nahm die Parthie an und verbarg,
so gut es ihm möglich war, mit wie wenig Interesse er's that.

Indeß hatte Anhorst doch wahr gesprochen, als er gestern die Ge¬
gend von Lisbon und die hiesige außer Vergleich gesetzt. Wenn Moor¬
feld einen Molch- und Unkenpfuhl erwartet hatte, so war wenigstens
diese Erwartung übertroffen. Zwar als die Reisigen ausritten, ging's
nicht unmittelbar in den Waldesgrund, der vor ihnen lag: ein böser
Schwaden schlug aus seinen nächtlichen Schattentiefen, der Mensch
und Thier dämonisch anschauerte. Aber Moorfeld wußte, das sei eben
der ungesunde Athem Amerika's in den Früh- und Abendstunden, die
denn auch kein Amerikaner "im Freien" zubringt, namentlich in der
Nähe von Neuboden nicht. Die Reiter traten ihre Urwaldparthie auf
einem Umwege an und dieser war nicht ohne Reiz. Sie faßten in
einem großen Bogen den Wald von der Ostseite, wo die Sonne schon

Mit nichten, antwortete Anhorſt ruhig. Ich verkaufe gegen Käſch
an den Abnehmer, nichts weiter. Ich laſſe mich nicht auf Commiſſions¬
geſchäften ein, ich gebe nicht Credit.

Aber warum wollen Sie überhaupt wieder handeln? fragte Moor¬
feld noch immer verwundert.

Anhorſt ſah ihn groß an. Heißt es denn handeln, wenn man all¬
jährlich einmal eine Ernte zu Markt führt? Und was iſt meine Expe¬
dition an die Seen? Kommt es doch vor, daß Farmer dieſer Gegend
ſich zur Erntezeit ein paar Hickory's ſchlagen, ein Boot zimmern,
und mit der Frucht den Ohio und den Miſſiſſippi hinab nach Neu¬
orleans fahren! Dort verkaufen ſie Ladung und Schiff zugleich
und machen dann tauſend Meilen den Landweg zurück auf einem
Klepper, den ſie im Süden gekauft haben und hier ebenfalls wieder
losſchlagen. Das ſind amerikaniſche Marktfahrten, Herr Doktor. Ja,
der Bauernſtand iſt kein Ruheſtand bei uns. Hier handelt Alles, was
ſein bischen Mark noch fühlt. Schlimm genug, wen das Fieber nieder¬
knebelt; wer ſich aber rühren kann, dem iſt die Straße ſein Haus;
ſein Haus nur Abſteigquartier.

Moorfeld ſchwieg. Schlagender konnte das Ungemüthliche des
hieſigen Landlebens nicht mehr ausgedrückt werden.

Nach dem Frühſtücke ſattelte Anhorſt ſein und Moorfeld's Pferd
indem er es nicht anders zu erwarten ſchien, als daß Moorfeld ſeinen
Kauf jetzt beſehen wolle. Moorfeld nahm die Parthie an und verbarg,
ſo gut es ihm möglich war, mit wie wenig Intereſſe er's that.

Indeß hatte Anhorſt doch wahr geſprochen, als er geſtern die Ge¬
gend von Lisbon und die hieſige außer Vergleich geſetzt. Wenn Moor¬
feld einen Molch- und Unkenpfuhl erwartet hatte, ſo war wenigſtens
dieſe Erwartung übertroffen. Zwar als die Reiſigen ausritten, ging's
nicht unmittelbar in den Waldesgrund, der vor ihnen lag: ein böſer
Schwaden ſchlug aus ſeinen nächtlichen Schattentiefen, der Menſch
und Thier dämoniſch anſchauerte. Aber Moorfeld wußte, das ſei eben
der ungeſunde Athem Amerika's in den Früh- und Abendſtunden, die
denn auch kein Amerikaner „im Freien“ zubringt, namentlich in der
Nähe von Neuboden nicht. Die Reiter traten ihre Urwaldparthie auf
einem Umwege an und dieſer war nicht ohne Reiz. Sie faßten in
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[319/0337] Mit nichten, antwortete Anhorſt ruhig. Ich verkaufe gegen Käſch an den Abnehmer, nichts weiter. Ich laſſe mich nicht auf Commiſſions¬ geſchäften ein, ich gebe nicht Credit. Aber warum wollen Sie überhaupt wieder handeln? fragte Moor¬ feld noch immer verwundert. Anhorſt ſah ihn groß an. Heißt es denn handeln, wenn man all¬ jährlich einmal eine Ernte zu Markt führt? Und was iſt meine Expe¬ dition an die Seen? Kommt es doch vor, daß Farmer dieſer Gegend ſich zur Erntezeit ein paar Hickory's ſchlagen, ein Boot zimmern, und mit der Frucht den Ohio und den Miſſiſſippi hinab nach Neu¬ orleans fahren! Dort verkaufen ſie Ladung und Schiff zugleich und machen dann tauſend Meilen den Landweg zurück auf einem Klepper, den ſie im Süden gekauft haben und hier ebenfalls wieder losſchlagen. Das ſind amerikaniſche Marktfahrten, Herr Doktor. Ja, der Bauernſtand iſt kein Ruheſtand bei uns. Hier handelt Alles, was ſein bischen Mark noch fühlt. Schlimm genug, wen das Fieber nieder¬ knebelt; wer ſich aber rühren kann, dem iſt die Straße ſein Haus; ſein Haus nur Abſteigquartier. Moorfeld ſchwieg. Schlagender konnte das Ungemüthliche des hieſigen Landlebens nicht mehr ausgedrückt werden. Nach dem Frühſtücke ſattelte Anhorſt ſein und Moorfeld's Pferd indem er es nicht anders zu erwarten ſchien, als daß Moorfeld ſeinen Kauf jetzt beſehen wolle. Moorfeld nahm die Parthie an und verbarg, ſo gut es ihm möglich war, mit wie wenig Intereſſe er's that. Indeß hatte Anhorſt doch wahr geſprochen, als er geſtern die Ge¬ gend von Lisbon und die hieſige außer Vergleich geſetzt. Wenn Moor¬ feld einen Molch- und Unkenpfuhl erwartet hatte, ſo war wenigſtens dieſe Erwartung übertroffen. Zwar als die Reiſigen ausritten, ging's nicht unmittelbar in den Waldesgrund, der vor ihnen lag: ein böſer Schwaden ſchlug aus ſeinen nächtlichen Schattentiefen, der Menſch und Thier dämoniſch anſchauerte. Aber Moorfeld wußte, das ſei eben der ungeſunde Athem Amerika's in den Früh- und Abendſtunden, die denn auch kein Amerikaner „im Freien“ zubringt, namentlich in der Nähe von Neuboden nicht. Die Reiter traten ihre Urwaldparthie auf einem Umwege an und dieſer war nicht ohne Reiz. Sie faßten in einem großen Bogen den Wald von der Oſtſeite, wo die Sonne ſchon

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Zitationshilfe: Kürnberger, Ferdinand: Der Amerika-Müde. Frankfurt (Main), 1855, S. 319. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/kuernberger_amerikamuede_1855/337>, abgerufen am 10.05.2024.