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Kürnberger, Ferdinand: Der Amerika-Müde. Frankfurt (Main), 1855.

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zu seiner Matratze, indem er sein ganzes Gewicht so über meinen Körper
herlegte, daß ich darunter verschwand und gleichsam vernichtet war.
Mit dem Manne ließ sich noch weniger pacisciren. Ich nahm also
zur List meine Zuflucht. Ich stahl mich mit meiner eingeklemmten
Hand in meine Taschen, was mir nach vielen schmerzhaften Exkorsionen
gelang. Nun sucht' ich alles Spitzige darin zusammen, Federmesser,
Cigarrenspitzen, Haarkamm, und bemühte mich, diesen Gegenständen
eine solche Aufstellung zu geben, daß sie als Stacheln die Rippen
meines Alps von mir abhalten sollten. Kaum aber freute ich mich
meiner kleinlichen Erfolge hierin, als sich das blasse Schooßkind meiner
unverdaulichen Nachbarin übergab, und zwar auf mein rechtes Bein.
Entsetzt fuhr ich auf, aber die Lady hieß mich ruhig sein, denn ihr
Baby wäre eigentlich nicht krank, sagte sie, es komme nur vom schwachen
Magen. -- Wie gefällt dir dieses ganze Culturbildchen? Möchte sich doch
die Erde ein ganz klein wenig spalten und dies liebenswürdige Volk sanft
in ihr Centralfeuer hinabgleiten lassen. Ich rathe, dort wär's gut
aufgehoben.


Nach Harrisburg. -- Auf der Eisenbahn geplündert, im Stage¬
wagen zerquetscht und bespieen, wollt' ich es mit dem Dampfschiff
versuchen. Ich wanderte ein paar Meilen zu Fuß dem Thale des
Susquehanna zu und bestieg in Lancaster das Boot. Schlechtere
Reisegesellschaft hat wohl selten ein Wanderer gefunden, als ich, Un¬
glücklicher, bei dieser Fahrt. Es umgab mich ein Genre von Men¬
schen, das gar nicht zu charakterisiren ist, denn Alles fehlte ihnen,
um Menschen zu sein, und Alles besaßen sie, was zur Bestialität
gehört. Ihre Moralität und ihre Sitten waren gleich abscheulich.
Eine kalte, dickhäutige Selbstsucht, eine Nichtachtung jedes ge¬
sellschaftlichen Anstandes prägte sich so sehr in ihren Zügen,
Worten und Handlungen aus, daß ich unmöglich den Wunsch
unterdrücken konnte, das Register ihrer Untugenden möchte noch
mit einer einzigen vermehrt sein, -- mit der Scheinheiligkeit.
Diese konnte man ihnen aber nicht vorwerfen. Das Gespräch in der
Cajüte strotzte von den frevelhaftesten Gemeinheiten, die aber ohne alle
Wärme des Temperamentes, mit einer wahrhaft teufelsartigen Ruhe
und Kaltblütigkeit sich äußerten. Letzterer Umstand macht die hiesige

zu ſeiner Matratze, indem er ſein ganzes Gewicht ſo über meinen Körper
herlegte, daß ich darunter verſchwand und gleichſam vernichtet war.
Mit dem Manne ließ ſich noch weniger pacisciren. Ich nahm alſo
zur Liſt meine Zuflucht. Ich ſtahl mich mit meiner eingeklemmten
Hand in meine Taſchen, was mir nach vielen ſchmerzhaften Exkorſionen
gelang. Nun ſucht' ich alles Spitzige darin zuſammen, Federmeſſer,
Cigarrenſpitzen, Haarkamm, und bemühte mich, dieſen Gegenſtänden
eine ſolche Aufſtellung zu geben, daß ſie als Stacheln die Rippen
meines Alps von mir abhalten ſollten. Kaum aber freute ich mich
meiner kleinlichen Erfolge hierin, als ſich das blaſſe Schooßkind meiner
unverdaulichen Nachbarin übergab, und zwar auf mein rechtes Bein.
Entſetzt fuhr ich auf, aber die Lady hieß mich ruhig ſein, denn ihr
Baby wäre eigentlich nicht krank, ſagte ſie, es komme nur vom ſchwachen
Magen. — Wie gefällt dir dieſes ganze Culturbildchen? Möchte ſich doch
die Erde ein ganz klein wenig ſpalten und dies liebenswürdige Volk ſanft
in ihr Centralfeuer hinabgleiten laſſen. Ich rathe, dort wär's gut
aufgehoben.


Nach Harrisburg. — Auf der Eiſenbahn geplündert, im Stage¬
wagen zerquetſcht und beſpieen, wollt' ich es mit dem Dampfſchiff
verſuchen. Ich wanderte ein paar Meilen zu Fuß dem Thale des
Susquehanna zu und beſtieg in Lancaſter das Boot. Schlechtere
Reiſegeſellſchaft hat wohl ſelten ein Wanderer gefunden, als ich, Un¬
glücklicher, bei dieſer Fahrt. Es umgab mich ein Genre von Men¬
ſchen, das gar nicht zu charakteriſiren iſt, denn Alles fehlte ihnen,
um Menſchen zu ſein, und Alles beſaßen ſie, was zur Beſtialität
gehört. Ihre Moralität und ihre Sitten waren gleich abſcheulich.
Eine kalte, dickhäutige Selbſtſucht, eine Nichtachtung jedes ge¬
ſellſchaftlichen Anſtandes prägte ſich ſo ſehr in ihren Zügen,
Worten und Handlungen aus, daß ich unmöglich den Wunſch
unterdrücken konnte, das Regiſter ihrer Untugenden möchte noch
mit einer einzigen vermehrt ſein, — mit der Scheinheiligkeit.
Dieſe konnte man ihnen aber nicht vorwerfen. Das Geſpräch in der
Cajüte ſtrotzte von den frevelhafteſten Gemeinheiten, die aber ohne alle
Wärme des Temperamentes, mit einer wahrhaft teufelsartigen Ruhe
und Kaltblütigkeit ſich äußerten. Letzterer Umſtand macht die hieſige

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[276/0294] zu ſeiner Matratze, indem er ſein ganzes Gewicht ſo über meinen Körper herlegte, daß ich darunter verſchwand und gleichſam vernichtet war. Mit dem Manne ließ ſich noch weniger pacisciren. Ich nahm alſo zur Liſt meine Zuflucht. Ich ſtahl mich mit meiner eingeklemmten Hand in meine Taſchen, was mir nach vielen ſchmerzhaften Exkorſionen gelang. Nun ſucht' ich alles Spitzige darin zuſammen, Federmeſſer, Cigarrenſpitzen, Haarkamm, und bemühte mich, dieſen Gegenſtänden eine ſolche Aufſtellung zu geben, daß ſie als Stacheln die Rippen meines Alps von mir abhalten ſollten. Kaum aber freute ich mich meiner kleinlichen Erfolge hierin, als ſich das blaſſe Schooßkind meiner unverdaulichen Nachbarin übergab, und zwar auf mein rechtes Bein. Entſetzt fuhr ich auf, aber die Lady hieß mich ruhig ſein, denn ihr Baby wäre eigentlich nicht krank, ſagte ſie, es komme nur vom ſchwachen Magen. — Wie gefällt dir dieſes ganze Culturbildchen? Möchte ſich doch die Erde ein ganz klein wenig ſpalten und dies liebenswürdige Volk ſanft in ihr Centralfeuer hinabgleiten laſſen. Ich rathe, dort wär's gut aufgehoben. Nach Harrisburg. — Auf der Eiſenbahn geplündert, im Stage¬ wagen zerquetſcht und beſpieen, wollt' ich es mit dem Dampfſchiff verſuchen. Ich wanderte ein paar Meilen zu Fuß dem Thale des Susquehanna zu und beſtieg in Lancaſter das Boot. Schlechtere Reiſegeſellſchaft hat wohl ſelten ein Wanderer gefunden, als ich, Un¬ glücklicher, bei dieſer Fahrt. Es umgab mich ein Genre von Men¬ ſchen, das gar nicht zu charakteriſiren iſt, denn Alles fehlte ihnen, um Menſchen zu ſein, und Alles beſaßen ſie, was zur Beſtialität gehört. Ihre Moralität und ihre Sitten waren gleich abſcheulich. Eine kalte, dickhäutige Selbſtſucht, eine Nichtachtung jedes ge¬ ſellſchaftlichen Anſtandes prägte ſich ſo ſehr in ihren Zügen, Worten und Handlungen aus, daß ich unmöglich den Wunſch unterdrücken konnte, das Regiſter ihrer Untugenden möchte noch mit einer einzigen vermehrt ſein, — mit der Scheinheiligkeit. Dieſe konnte man ihnen aber nicht vorwerfen. Das Geſpräch in der Cajüte ſtrotzte von den frevelhafteſten Gemeinheiten, die aber ohne alle Wärme des Temperamentes, mit einer wahrhaft teufelsartigen Ruhe und Kaltblütigkeit ſich äußerten. Letzterer Umſtand macht die hieſige

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Zitationshilfe: Kürnberger, Ferdinand: Der Amerika-Müde. Frankfurt (Main), 1855, S. 276. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/kuernberger_amerikamuede_1855/294>, abgerufen am 22.11.2024.