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Kürnberger, Ferdinand: Der Amerika-Müde. Frankfurt (Main), 1855.

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doch von Ferro gezählt? -- Ja, stotterte das Mädchen verwirrt,
und wurde über und über roth. -- Der Kapitän murrte ihr eine
Antwort zu, die ich nicht mehr vernehmen konnte, und zog sich dann
ziemlich brummig zurück. -- Wir segeln im vierzehnten westlicher Länge
von Ferro berichtete mir hierauf Pauline, indem wir einander entgegen
gingen. Ich empfing das Wort, wie man eine süße verbotene Frucht
empfängt. Ich ergriff ihre Hand, küßte sie, und behielt sie noch in
der meinigen, als ich sie schon längst geküßt hatte. Wir segeln im
vierzehnten westlicher Länge von Ferro, wiederholte ich, -- und klang mir
das Wort nicht wie der seelenvollste Vers eines Dichters? Sie sehen,
selbst die Mathematik ist nicht trocken, wenn -- wenn es anders sein
soll! So wurde ich mit Paulinen bekannt, schloß Benthal mit einer
veränderten Stimme; -- ich lehrte sie von da an Englisch, und sie
lehrt mich: Amerika ertragen, wo möglich -- es besiegen!

Moorfeld ergriff die Hand des Erzählers, und drückte sie lebhaft:
Ich danke Ihnen mit meinem ganzen Herzen für Ihr bereitwilliges
Vertrauen! Noch liegt Kleindeutschland nicht weit hinter uns, aber
um wie viel näher sind Sie mir wieder gerückt! Wird Einem doch
erst recht wohl am Menschen, wenn man ihn lieben sieht!

Ich wenigstens, antwortete Benthal, erkenne meinen günstigsten
Stern darin. Vielleicht säß' ich selbst unter der verirrten Herde
Kleindeutschlands, schleppte in einem empfindsamen Thränensack das
Hambacher Andenken herum, und schliche als ein müssiger Schatten
durch die Jahre der Kraft. Mein Glück hat mich bewahrt davor.
Es zeigte mir schon im Ocean, wofür ich am Ufer ringen sollte. In
jener Wüste von Ekel, Langweile, körperlichem und geistigem Siechthum,
welche eine Unmasse von Auswanderer-Kräften schon vorweg aufzehrt,
und welche man eine Zwischendecks-Seefahrt nennt, -- in diesen mat¬
testen Jammertagen eines menschlichen Erdenwallens legte es seine Lunte
an mich, und entzündete meine brennendsten Energien. Ein Glück
nenne ich das, denn es ist das Einzige, das den Namen Glück ver¬
dient. Nicht mit einem großen Lotterietreffer die menschlichen Kräfte
zu pensioniren, sondern sie im rechten Augenblicke mit einem Ziele
heißer Begehrung aufzuregen, das ist das Glück!

Moorfeld erwiederte: Im Namen der europäischen Poesie müßte
ich eigentlich Einsprache thun gegen diese Auffassung der Liebe. Sie

doch von Ferro gezählt? — Ja, ſtotterte das Mädchen verwirrt,
und wurde über und über roth. — Der Kapitän murrte ihr eine
Antwort zu, die ich nicht mehr vernehmen konnte, und zog ſich dann
ziemlich brummig zurück. — Wir ſegeln im vierzehnten weſtlicher Länge
von Ferro berichtete mir hierauf Pauline, indem wir einander entgegen
gingen. Ich empfing das Wort, wie man eine ſüße verbotene Frucht
empfängt. Ich ergriff ihre Hand, küßte ſie, und behielt ſie noch in
der meinigen, als ich ſie ſchon längſt geküßt hatte. Wir ſegeln im
vierzehnten weſtlicher Länge von Ferro, wiederholte ich, — und klang mir
das Wort nicht wie der ſeelenvollſte Vers eines Dichters? Sie ſehen,
ſelbſt die Mathematik iſt nicht trocken, wenn — wenn es anders ſein
ſoll! So wurde ich mit Paulinen bekannt, ſchloß Benthal mit einer
veränderten Stimme; — ich lehrte ſie von da an Engliſch, und ſie
lehrt mich: Amerika ertragen, wo möglich — es beſiegen!

Moorfeld ergriff die Hand des Erzählers, und drückte ſie lebhaft:
Ich danke Ihnen mit meinem ganzen Herzen für Ihr bereitwilliges
Vertrauen! Noch liegt Kleindeutſchland nicht weit hinter uns, aber
um wie viel näher ſind Sie mir wieder gerückt! Wird Einem doch
erſt recht wohl am Menſchen, wenn man ihn lieben ſieht!

Ich wenigſtens, antwortete Benthal, erkenne meinen günſtigſten
Stern darin. Vielleicht ſäß’ ich ſelbſt unter der verirrten Herde
Kleindeutſchlands, ſchleppte in einem empfindſamen Thränenſack das
Hambacher Andenken herum, und ſchliche als ein müſſiger Schatten
durch die Jahre der Kraft. Mein Glück hat mich bewahrt davor.
Es zeigte mir ſchon im Ocean, wofür ich am Ufer ringen ſollte. In
jener Wüſte von Ekel, Langweile, körperlichem und geiſtigem Siechthum,
welche eine Unmaſſe von Auswanderer-Kräften ſchon vorweg aufzehrt,
und welche man eine Zwiſchendecks-Seefahrt nennt, — in dieſen mat¬
teſten Jammertagen eines menſchlichen Erdenwallens legte es ſeine Lunte
an mich, und entzündete meine brennendſten Energien. Ein Glück
nenne ich das, denn es iſt das Einzige, das den Namen Glück ver¬
dient. Nicht mit einem großen Lotterietreffer die menſchlichen Kräfte
zu penſioniren, ſondern ſie im rechten Augenblicke mit einem Ziele
heißer Begehrung aufzuregen, das iſt das Glück!

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ich eigentlich Einſprache thun gegen dieſe Auffaſſung der Liebe. Sie

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[141/0159] doch von Ferro gezählt? — Ja, ſtotterte das Mädchen verwirrt, und wurde über und über roth. — Der Kapitän murrte ihr eine Antwort zu, die ich nicht mehr vernehmen konnte, und zog ſich dann ziemlich brummig zurück. — Wir ſegeln im vierzehnten weſtlicher Länge von Ferro berichtete mir hierauf Pauline, indem wir einander entgegen gingen. Ich empfing das Wort, wie man eine ſüße verbotene Frucht empfängt. Ich ergriff ihre Hand, küßte ſie, und behielt ſie noch in der meinigen, als ich ſie ſchon längſt geküßt hatte. Wir ſegeln im vierzehnten weſtlicher Länge von Ferro, wiederholte ich, — und klang mir das Wort nicht wie der ſeelenvollſte Vers eines Dichters? Sie ſehen, ſelbſt die Mathematik iſt nicht trocken, wenn — wenn es anders ſein ſoll! So wurde ich mit Paulinen bekannt, ſchloß Benthal mit einer veränderten Stimme; — ich lehrte ſie von da an Engliſch, und ſie lehrt mich: Amerika ertragen, wo möglich — es beſiegen! Moorfeld ergriff die Hand des Erzählers, und drückte ſie lebhaft: Ich danke Ihnen mit meinem ganzen Herzen für Ihr bereitwilliges Vertrauen! Noch liegt Kleindeutſchland nicht weit hinter uns, aber um wie viel näher ſind Sie mir wieder gerückt! Wird Einem doch erſt recht wohl am Menſchen, wenn man ihn lieben ſieht! Ich wenigſtens, antwortete Benthal, erkenne meinen günſtigſten Stern darin. Vielleicht ſäß’ ich ſelbſt unter der verirrten Herde Kleindeutſchlands, ſchleppte in einem empfindſamen Thränenſack das Hambacher Andenken herum, und ſchliche als ein müſſiger Schatten durch die Jahre der Kraft. Mein Glück hat mich bewahrt davor. Es zeigte mir ſchon im Ocean, wofür ich am Ufer ringen ſollte. In jener Wüſte von Ekel, Langweile, körperlichem und geiſtigem Siechthum, welche eine Unmaſſe von Auswanderer-Kräften ſchon vorweg aufzehrt, und welche man eine Zwiſchendecks-Seefahrt nennt, — in dieſen mat¬ teſten Jammertagen eines menſchlichen Erdenwallens legte es ſeine Lunte an mich, und entzündete meine brennendſten Energien. Ein Glück nenne ich das, denn es iſt das Einzige, das den Namen Glück ver¬ dient. Nicht mit einem großen Lotterietreffer die menſchlichen Kräfte zu penſioniren, ſondern ſie im rechten Augenblicke mit einem Ziele heißer Begehrung aufzuregen, das iſt das Glück! Moorfeld erwiederte: Im Namen der europäiſchen Poeſie müßte ich eigentlich Einſprache thun gegen dieſe Auffaſſung der Liebe. Sie

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Zitationshilfe: Kürnberger, Ferdinand: Der Amerika-Müde. Frankfurt (Main), 1855, S. 141. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/kuernberger_amerikamuede_1855/159>, abgerufen am 28.04.2024.