Lobe des leitenden Artikels noch Mehreres bei, aber ich unterbrach sie mit den Worten: Madame, ein gewisses Gefühl sagt mir, daß ich Sie nicht fortfahren lassen soll, ohne Sie aufmerksam zu machen, daß hier von keinem Abwesenden die Rede ist. Der Verfasser dieses Artikels hat die Ehre, sich für Ihre Güte persönlich zu bedanken. Die Ueber¬ raschung der Frauen war groß. Natürlich lag für mich die Auffor¬ derung vor, von meiner Geschichte so viel mitzutheilen, als schicklich war, die erregte Neugierde von Damen zu befriedigen. Ich erzählte das Drama des Hambacher Festes. Meine Betheiligung daran ver¬ stand sich von selbst. Meine Flucht durch Frankreich und Einschiffung in Havre war eine Folge jenes Mißlingens. So stand ich am Bord des Auswandererschiffes. Als Gegengeschenk erhielt ich nun auch von den Verhältnissen der drei weiblichen Passagiere einen Abriß. Die Matrone war Witwe eines preußischen Beamten aus der Schule Steins. Die Vexationen der politischen Gegenströmung haben ihn aus der Activität gedrängt, vielleicht selbst seinen rascheren Tod mit verschuldet. Die nächste Verwandtschaft schien dem jenseitigen Lager so rücksichtslos anzugehören, daß es die verwaiste Familie bis in's Innerste ihres Privatlebens empfand. Die Matrone berührte den Punkt der Ver¬ mögensverhältnisse mit keiner Sylbe dabei; doch hielt ich's für wahr¬ scheinlich, daß sie namentlich auch hier viele Kränkungen erlitten und empfindliche Opfer gebracht. Mein Anerbieten, die Töchter im Eng¬ lischen vorzubereiten, wurde mit ausweichendem Danke beantwortet; ich glaubte zu bemerken, daß es nach einem Gesetze entsagendster Oeco¬ nomie geschah. Leider verbot mir eben dieser Umstand die Anspruch¬ losigkeit meines Offertes so weit zu betonen, daß ich die Ursache jenes Verzichtes zu errathen schien. Das Vertrauen der Matrone war über¬ haupt nicht leicht zu beanspruchen. In der angeborenen Fähigkeit ihres Geschlechtes, mit dem schicklichsten Muthe jene bebende Blumenscheu zu verbinden, welche schon vor der Berührung sich schließt, war sie wohl einzig. Was sagen Sie dazu, wenn der Hauptgrund ihrer Auswan¬ derung der Gedanke war, daß die Heilighaltung des Weibes in Ame¬ rika ihren Waisen einen besseren Schutz verspreche, als in Europa? Ist es nicht großartig, eine ganze Nation zur Hüterin seiner Haus¬ sitte zu machen? -- Indeß -- eine Art Bekanntschaft war immer eingeleitet, und wir begegneten uns jetzt nicht mehr auf dem Verdecke,
Lobe des leitenden Artikels noch Mehreres bei, aber ich unterbrach ſie mit den Worten: Madame, ein gewiſſes Gefühl ſagt mir, daß ich Sie nicht fortfahren laſſen ſoll, ohne Sie aufmerkſam zu machen, daß hier von keinem Abweſenden die Rede iſt. Der Verfaſſer dieſes Artikels hat die Ehre, ſich für Ihre Güte perſönlich zu bedanken. Die Ueber¬ raſchung der Frauen war groß. Natürlich lag für mich die Auffor¬ derung vor, von meiner Geſchichte ſo viel mitzutheilen, als ſchicklich war, die erregte Neugierde von Damen zu befriedigen. Ich erzählte das Drama des Hambacher Feſtes. Meine Betheiligung daran ver¬ ſtand ſich von ſelbſt. Meine Flucht durch Frankreich und Einſchiffung in Havre war eine Folge jenes Mißlingens. So ſtand ich am Bord des Auswandererſchiffes. Als Gegengeſchenk erhielt ich nun auch von den Verhältniſſen der drei weiblichen Paſſagiere einen Abriß. Die Matrone war Witwe eines preußiſchen Beamten aus der Schule Steins. Die Vexationen der politiſchen Gegenſtrömung haben ihn aus der Activität gedrängt, vielleicht ſelbſt ſeinen raſcheren Tod mit verſchuldet. Die nächſte Verwandtſchaft ſchien dem jenſeitigen Lager ſo rückſichtslos anzugehören, daß es die verwaiſte Familie bis in's Innerſte ihres Privatlebens empfand. Die Matrone berührte den Punkt der Ver¬ mögensverhältniſſe mit keiner Sylbe dabei; doch hielt ich's für wahr¬ ſcheinlich, daß ſie namentlich auch hier viele Kränkungen erlitten und empfindliche Opfer gebracht. Mein Anerbieten, die Töchter im Eng¬ liſchen vorzubereiten, wurde mit ausweichendem Danke beantwortet; ich glaubte zu bemerken, daß es nach einem Geſetze entſagendſter Oeco¬ nomie geſchah. Leider verbot mir eben dieſer Umſtand die Anſpruch¬ loſigkeit meines Offertes ſo weit zu betonen, daß ich die Urſache jenes Verzichtes zu errathen ſchien. Das Vertrauen der Matrone war über¬ haupt nicht leicht zu beanſpruchen. In der angeborenen Fähigkeit ihres Geſchlechtes, mit dem ſchicklichſten Muthe jene bebende Blumenſcheu zu verbinden, welche ſchon vor der Berührung ſich ſchließt, war ſie wohl einzig. Was ſagen Sie dazu, wenn der Hauptgrund ihrer Auswan¬ derung der Gedanke war, daß die Heilighaltung des Weibes in Ame¬ rika ihren Waiſen einen beſſeren Schutz verſpreche, als in Europa? Iſt es nicht großartig, eine ganze Nation zur Hüterin ſeiner Haus¬ ſitte zu machen? — Indeß — eine Art Bekanntſchaft war immer eingeleitet, und wir begegneten uns jetzt nicht mehr auf dem Verdecke,
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Lobe des leitenden Artikels noch Mehreres bei, aber ich unterbrach ſie
mit den Worten: Madame, ein gewiſſes Gefühl ſagt mir, daß ich Sie
nicht fortfahren laſſen ſoll, ohne Sie aufmerkſam zu machen, daß hier
von keinem Abweſenden die Rede iſt. Der Verfaſſer dieſes Artikels
hat die Ehre, ſich für Ihre Güte perſönlich zu bedanken. Die Ueber¬
raſchung der Frauen war groß. Natürlich lag für mich die Auffor¬
derung vor, von meiner Geſchichte ſo viel mitzutheilen, als ſchicklich
war, die erregte Neugierde von Damen zu befriedigen. Ich erzählte
das Drama des Hambacher Feſtes. Meine Betheiligung daran ver¬
ſtand ſich von ſelbſt. Meine Flucht durch Frankreich und Einſchiffung
in Havre war eine Folge jenes Mißlingens. So ſtand ich am Bord
des Auswandererſchiffes. Als Gegengeſchenk erhielt ich nun auch von
den Verhältniſſen der drei weiblichen Paſſagiere einen Abriß. Die
Matrone war Witwe eines preußiſchen Beamten aus der Schule Steins.
Die Vexationen der politiſchen Gegenſtrömung haben ihn aus der
Activität gedrängt, vielleicht ſelbſt ſeinen raſcheren Tod mit verſchuldet.
Die nächſte Verwandtſchaft ſchien dem jenſeitigen Lager ſo rückſichtslos
anzugehören, daß es die verwaiſte Familie bis in's Innerſte ihres
Privatlebens empfand. Die Matrone berührte den Punkt der Ver¬
mögensverhältniſſe mit keiner Sylbe dabei; doch hielt ich's für wahr¬
ſcheinlich, daß ſie namentlich auch hier viele Kränkungen erlitten und
empfindliche Opfer gebracht. Mein Anerbieten, die Töchter im Eng¬
liſchen vorzubereiten, wurde mit ausweichendem Danke beantwortet;
ich glaubte zu bemerken, daß es nach einem Geſetze entſagendſter Oeco¬
nomie geſchah. Leider verbot mir eben dieſer Umſtand die Anſpruch¬
loſigkeit meines Offertes ſo weit zu betonen, daß ich die Urſache jenes
Verzichtes zu errathen ſchien. Das Vertrauen der Matrone war über¬
haupt nicht leicht zu beanſpruchen. In der angeborenen Fähigkeit ihres
Geſchlechtes, mit dem ſchicklichſten Muthe jene bebende Blumenſcheu zu
verbinden, welche ſchon vor der Berührung ſich ſchließt, war ſie wohl
einzig. Was ſagen Sie dazu, wenn der Hauptgrund ihrer Auswan¬
derung der Gedanke war, daß die Heilighaltung des Weibes in Ame¬
rika ihren Waiſen einen beſſeren Schutz verſpreche, als in Europa?
Iſt es nicht großartig, eine ganze Nation zur Hüterin ſeiner Haus¬
ſitte zu machen? — Indeß — eine Art Bekanntſchaft war immer
eingeleitet, und wir begegneten uns jetzt nicht mehr auf dem Verdecke,
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Kürnberger, Ferdinand: Der Amerika-Müde. Frankfurt (Main), 1855, S. 139. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/kuernberger_amerikamuede_1855/157>, abgerufen am 25.11.2024.
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