Religion dem trockenen Sectenkram, Ihr deutsches Persönlichkeitsgefühl dem heerdemäßigen Parteitreiben, Ihr deutsches Gewissen dem Humbug und Yankee-Trike, Ihre deutsche Sprache dem Mißlaut und der Ge¬ dankenarmuth, Ihr deutsches Weinglas der Mäßigkeitsheuchelei, Ihre deutsche Sonntagslust dem Sonntagsmuckerthum Amerika's. Das Alles halten Sie fest; und hätten Sie bei Neufoundland oder zu Sandy Hook bis zum letzten Faden Schiffbruch gelitten, Ihre deutsche Sitte müßten Sie doch gerettet haben, oder ich wünschte, Sie wären mit zu Grunde gegangen. Aber Eins werfen Sie über Bord, wie die aus¬ gediente Matratze eines Zwischendeckbettes -- die deutsche Handwerks- Pedanterie. Sie könnten den Amerikanern eben so gut Ihre Flei߬ zettel aus der Schule vorzeigen, als daß Sie versessen sind auf das Handwerk, worin Sie Ihr "Meisterstück" gemacht. Die europäische Zunft war nur eine Schule des Handwerks; die Schule ist durchge¬ macht und nun fallen die Zünfte in Europa selbst, um wie viel mehr in Amerika. Wissen Sie, was hier Ihr Handwerk ist? Jedes Werk Ihrer Hand. Die Sache hat hier ihren ursprünglichen Wortbegriff. Finden Sie Ihr Handwerk im gewohnten europäischen Style hier -- gut; wo nicht, so ergreifen Sie das verwandte und vom verwandten wieder das verwandte, und durchlaufen Sie den ganzen Kreis wie eine Windrose, bis Sie den Punkt gefunden haben, auf dem schön Wetter wird. So kommt der Amerikaner fort; das nennt er "sein Leben machen". Nur kein Leben auf halbe Diät! Ueberlassen Sie das den Kranken und Alten. Hier ist man jung und gesund und verwandelt sich zehnmal des Tags, unternimmt Alles und verzweifelt an Nichts. Das erste Laster in Amerika ist die Zufriedenheit. Beharren Sie in keinem Zustande, der Sie nicht ganz befriedigt. Hüten Sie sich über¬ haupt vor dem deutschen Triebe des Beharrens. Warum erschreckte Sie das Wort Taglöhner so außerordentlich? Weil Sie es mit deut¬ schem Ohre hörten, weil Sie sich unwillkürlich ein Beharren in der Taglöhnerei dachten. Behüte der Himmel! Taglöhnern Sie ein paar Wochen, bis einige Dollars erspart sind zu der nächstbesten Unterneh¬ mung, sparen Sie bei dieser ein größeres Sümmchen zu einer noch vortheilhafteren Geschäftsart und fahren Sie so fort in diesem Staffel¬ bau, es wird schneller gehen, als Sie denken. Vielleicht eben so schnell, als ob Sie nach Deutschland zurückkehrten und sich in die alten aus¬
Religion dem trockenen Sectenkram, Ihr deutſches Perſönlichkeitsgefühl dem heerdemäßigen Parteitreiben, Ihr deutſches Gewiſſen dem Humbug und Yankee-Trike, Ihre deutſche Sprache dem Mißlaut und der Ge¬ dankenarmuth, Ihr deutſches Weinglas der Mäßigkeitsheuchelei, Ihre deutſche Sonntagsluſt dem Sonntagsmuckerthum Amerika's. Das Alles halten Sie feſt; und hätten Sie bei Neufoundland oder zu Sandy Hook bis zum letzten Faden Schiffbruch gelitten, Ihre deutſche Sitte müßten Sie doch gerettet haben, oder ich wünſchte, Sie wären mit zu Grunde gegangen. Aber Eins werfen Sie über Bord, wie die aus¬ gediente Matratze eines Zwiſchendeckbettes — die deutſche Handwerks- Pedanterie. Sie könnten den Amerikanern eben ſo gut Ihre Flei߬ zettel aus der Schule vorzeigen, als daß Sie verſeſſen ſind auf das Handwerk, worin Sie Ihr „Meiſterſtück“ gemacht. Die europäiſche Zunft war nur eine Schule des Handwerks; die Schule iſt durchge¬ macht und nun fallen die Zünfte in Europa ſelbſt, um wie viel mehr in Amerika. Wiſſen Sie, was hier Ihr Handwerk iſt? Jedes Werk Ihrer Hand. Die Sache hat hier ihren urſprünglichen Wortbegriff. Finden Sie Ihr Handwerk im gewohnten europäiſchen Style hier — gut; wo nicht, ſo ergreifen Sie das verwandte und vom verwandten wieder das verwandte, und durchlaufen Sie den ganzen Kreis wie eine Windroſe, bis Sie den Punkt gefunden haben, auf dem ſchön Wetter wird. So kommt der Amerikaner fort; das nennt er „ſein Leben machen“. Nur kein Leben auf halbe Diät! Ueberlaſſen Sie das den Kranken und Alten. Hier iſt man jung und geſund und verwandelt ſich zehnmal des Tags, unternimmt Alles und verzweifelt an Nichts. Das erſte Laſter in Amerika iſt die Zufriedenheit. Beharren Sie in keinem Zuſtande, der Sie nicht ganz befriedigt. Hüten Sie ſich über¬ haupt vor dem deutſchen Triebe des Beharrens. Warum erſchreckte Sie das Wort Taglöhner ſo außerordentlich? Weil Sie es mit deut¬ ſchem Ohre hörten, weil Sie ſich unwillkürlich ein Beharren in der Taglöhnerei dachten. Behüte der Himmel! Taglöhnern Sie ein paar Wochen, bis einige Dollars erſpart ſind zu der nächſtbeſten Unterneh¬ mung, ſparen Sie bei dieſer ein größeres Sümmchen zu einer noch vortheilhafteren Geſchäftsart und fahren Sie ſo fort in dieſem Staffel¬ bau, es wird ſchneller gehen, als Sie denken. Vielleicht eben ſo ſchnell, als ob Sie nach Deutſchland zurückkehrten und ſich in die alten aus¬
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Religion dem trockenen Sectenkram, Ihr deutſches Perſönlichkeitsgefühl
dem heerdemäßigen Parteitreiben, Ihr deutſches Gewiſſen dem Humbug
und Yankee-Trike, Ihre deutſche Sprache dem Mißlaut und der Ge¬
dankenarmuth, Ihr deutſches Weinglas der Mäßigkeitsheuchelei, Ihre
deutſche Sonntagsluſt dem Sonntagsmuckerthum Amerika's. Das Alles
halten Sie feſt; und hätten Sie bei Neufoundland oder zu Sandy
Hook bis zum letzten Faden Schiffbruch gelitten, Ihre deutſche Sitte
müßten Sie doch gerettet haben, oder ich wünſchte, Sie wären mit zu
Grunde gegangen. Aber Eins werfen Sie über Bord, wie die aus¬
gediente Matratze eines Zwiſchendeckbettes — die deutſche Handwerks-
Pedanterie. Sie könnten den Amerikanern eben ſo gut Ihre Flei߬
zettel aus der Schule vorzeigen, als daß Sie verſeſſen ſind auf das
Handwerk, worin Sie Ihr „Meiſterſtück“ gemacht. Die europäiſche
Zunft war nur eine Schule des Handwerks; die Schule iſt durchge¬
macht und nun fallen die Zünfte in Europa ſelbſt, um wie viel mehr
in Amerika. Wiſſen Sie, was hier Ihr Handwerk iſt? Jedes Werk
Ihrer Hand. Die Sache hat hier ihren urſprünglichen Wortbegriff.
Finden Sie Ihr Handwerk im gewohnten europäiſchen Style hier —
gut; wo nicht, ſo ergreifen Sie das verwandte und vom verwandten
wieder das verwandte, und durchlaufen Sie den ganzen Kreis wie eine
Windroſe, bis Sie den Punkt gefunden haben, auf dem ſchön Wetter
wird. So kommt der Amerikaner fort; das nennt er „ſein Leben
machen“. Nur kein Leben auf halbe Diät! Ueberlaſſen Sie das den
Kranken und Alten. Hier iſt man jung und geſund und verwandelt
ſich zehnmal des Tags, unternimmt Alles und verzweifelt an Nichts.
Das erſte Laſter in Amerika iſt die Zufriedenheit. Beharren Sie in
keinem Zuſtande, der Sie nicht ganz befriedigt. Hüten Sie ſich über¬
haupt vor dem deutſchen Triebe des Beharrens. Warum erſchreckte
Sie das Wort Taglöhner ſo außerordentlich? Weil Sie es mit deut¬
ſchem Ohre hörten, weil Sie ſich unwillkürlich ein Beharren in der
Taglöhnerei dachten. Behüte der Himmel! Taglöhnern Sie ein paar
Wochen, bis einige Dollars erſpart ſind zu der nächſtbeſten Unterneh¬
mung, ſparen Sie bei dieſer ein größeres Sümmchen zu einer noch
vortheilhafteren Geſchäftsart und fahren Sie ſo fort in dieſem Staffel¬
bau, es wird ſchneller gehen, als Sie denken. Vielleicht eben ſo ſchnell,
als ob Sie nach Deutſchland zurückkehrten und ſich in die alten aus¬
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Kürnberger, Ferdinand: Der Amerika-Müde. Frankfurt (Main), 1855, S. 130. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/kuernberger_amerikamuede_1855/148>, abgerufen am 22.11.2024.
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