und schrie, mit dem Modell aller Menschenlungen: "Noch einmal ge¬ storben! für einen Dime, Mr. Blackely, noch mal gestorben", -- und als der bescheidene Künstler diesem Appell an sein Genie nicht allso¬ gleich Folge leistete, stürzte der seltsame Kunstmäcen wie rasend seine Taschen um, warf ein Münzstück um's andere über die Lampen, und schrie dazu: "Gott verdamm' Euch, Mr. Blackely, wir schmeißen Euch mit Dollars todt, wenn Ihr nicht gutwillig sterbt, Ihr allmächtiger Satan." Und zugleich hagelte es aus allen Taschen der Straßenjun¬ gen, Lehrlinge und Newsboys eine Sprühwolke von zehn Centstücken auf die Bretter, welche die Welt bedeuten.
Ist's möglich! rief Moorfeld mit einer unwillkürlichen Bewunde¬ rung, dieser Roheste der Rohen wirft seine ganze Tagesrente hin, weil er die Bestie, der er sie opfert, für Kunst hält. Welche Höhe müßte bei so viel Empfänglichkeit die Kunst selbst hier erreichen, wenn sie den Gott statt des Thieres im Menschen entzündete!
Pardon, mein Herr! rief der Engländer bei diesem Ausbruch ohne eine Miene zu verziehen, es ist hier zunächst von einem Geldgeschäft die Rede. Der Bursche wirft keinen Cent auf die Bretter, den er nicht doppelt zurückerhält, weil er ihn einzig in der Absicht wirft, die Centstücke seiner dupirten Kameraden damit zu ködern. Er ist der agent provocateur seines Mr. Blackely, er wird von dem Mimen be¬ zahlt, wie der maeitre de la claque in Paris. Nur die Form dieser Claque ist amerikanisch.
Moorfeld senkte sein Haupt. Können Sie mir sagen, mein Herr, ob Newyork etwa Liebhaberbühnen von Ruf besitzt? begann er nach einer Pause.
Mr. Bennet, mein schätzbarer Freund, unterhielt sonst ein vor¬ zügliches Haustheater -- antwortete der Engländer, und fügte mit Hast hinzu: Ich bitte mir das Vergnügen aus, Sie ihm vorzustellen, Sir. Er hält zwar in der saison morte auf New-Jersey Villeggiatur, aber wir wollen hinausfahren, Sir. Ich will Sie auf New-Jersey vor¬ stellen, Sir; wahrhaftig ich will es, Sir, nennen Sie mir Tag und Stunde, ich bin ganz zu Ihren Diensten, Sir.
Moorfeld fand sich, um die Wahrheit zu sagen, mehr verlegen als dankbar für diese Güte gestimmt. Konnte er annehmen? Die unge¬ wöhnliche Zuvorkommenheit des Fremden -- zwar war sie nicht mehr,
und ſchrie, mit dem Modell aller Menſchenlungen: „Noch einmal ge¬ ſtorben! für einen Dime, Mr. Blackely, noch mal geſtorben“, — und als der beſcheidene Künſtler dieſem Appell an ſein Genie nicht allſo¬ gleich Folge leiſtete, ſtürzte der ſeltſame Kunſtmäcen wie raſend ſeine Taſchen um, warf ein Münzſtück um's andere über die Lampen, und ſchrie dazu: „Gott verdamm' Euch, Mr. Blackely, wir ſchmeißen Euch mit Dollars todt, wenn Ihr nicht gutwillig ſterbt, Ihr allmächtiger Satan.“ Und zugleich hagelte es aus allen Taſchen der Straßenjun¬ gen, Lehrlinge und Newsboys eine Sprühwolke von zehn Centſtücken auf die Bretter, welche die Welt bedeuten.
Iſt's möglich! rief Moorfeld mit einer unwillkürlichen Bewunde¬ rung, dieſer Roheſte der Rohen wirft ſeine ganze Tagesrente hin, weil er die Beſtie, der er ſie opfert, für Kunſt hält. Welche Höhe müßte bei ſo viel Empfänglichkeit die Kunſt ſelbſt hier erreichen, wenn ſie den Gott ſtatt des Thieres im Menſchen entzündete!
Pardon, mein Herr! rief der Engländer bei dieſem Ausbruch ohne eine Miene zu verziehen, es iſt hier zunächſt von einem Geldgeſchäft die Rede. Der Burſche wirft keinen Cent auf die Bretter, den er nicht doppelt zurückerhält, weil er ihn einzig in der Abſicht wirft, die Centſtücke ſeiner dupirten Kameraden damit zu ködern. Er iſt der agent provocateur ſeines Mr. Blackely, er wird von dem Mimen be¬ zahlt, wie der maître de la claque in Paris. Nur die Form dieſer Claque iſt amerikaniſch.
Moorfeld ſenkte ſein Haupt. Können Sie mir ſagen, mein Herr, ob Newyork etwa Liebhaberbühnen von Ruf beſitzt? begann er nach einer Pauſe.
Mr. Bennet, mein ſchätzbarer Freund, unterhielt ſonſt ein vor¬ zügliches Haustheater — antwortete der Engländer, und fügte mit Haſt hinzu: Ich bitte mir das Vergnügen aus, Sie ihm vorzuſtellen, Sir. Er hält zwar in der saison morte auf New-Jerſey Villeggiatur, aber wir wollen hinausfahren, Sir. Ich will Sie auf New-Jerſey vor¬ ſtellen, Sir; wahrhaftig ich will es, Sir, nennen Sie mir Tag und Stunde, ich bin ganz zu Ihren Dienſten, Sir.
Moorfeld fand ſich, um die Wahrheit zu ſagen, mehr verlegen als dankbar für dieſe Güte geſtimmt. Konnte er annehmen? Die unge¬ wöhnliche Zuvorkommenheit des Fremden — zwar war ſie nicht mehr,
<TEI><text><body><divn="1"><divn="2"><p><pbfacs="#f0114"n="96"/>
und ſchrie, mit dem Modell aller Menſchenlungen: „Noch einmal ge¬<lb/>ſtorben! für einen Dime, Mr. Blackely, noch mal geſtorben“, — und<lb/>
als der beſcheidene Künſtler dieſem Appell an ſein Genie nicht allſo¬<lb/>
gleich Folge leiſtete, ſtürzte der ſeltſame Kunſtmäcen wie raſend ſeine<lb/>
Taſchen um, warf ein Münzſtück um's andere über die Lampen, und<lb/>ſchrie dazu: „Gott verdamm' Euch, Mr. Blackely, wir ſchmeißen Euch<lb/>
mit Dollars todt, wenn Ihr nicht gutwillig ſterbt, Ihr allmächtiger<lb/>
Satan.“ Und zugleich hagelte es aus allen Taſchen der Straßenjun¬<lb/>
gen, Lehrlinge und Newsboys eine Sprühwolke von zehn Centſtücken<lb/>
auf die Bretter, welche die Welt bedeuten.</p><lb/><p>Iſt's möglich! rief Moorfeld mit einer unwillkürlichen Bewunde¬<lb/>
rung, dieſer Roheſte der Rohen wirft ſeine ganze Tagesrente hin, weil<lb/>
er die Beſtie, der er ſie opfert, für Kunſt hält. Welche Höhe müßte<lb/>
bei ſo viel Empfänglichkeit die Kunſt ſelbſt hier erreichen, wenn ſie<lb/>
den Gott ſtatt des Thieres im Menſchen entzündete!</p><lb/><p>Pardon, mein Herr! rief der Engländer bei dieſem Ausbruch ohne<lb/>
eine Miene zu verziehen, es iſt hier zunächſt von einem Geldgeſchäft<lb/>
die Rede. Der Burſche wirft keinen Cent auf die Bretter, den er<lb/>
nicht doppelt zurückerhält, weil er ihn einzig in der Abſicht wirft, die<lb/>
Centſtücke ſeiner dupirten Kameraden damit zu ködern. Er iſt der<lb/><hirendition="#aq">agent provocateur</hi>ſeines Mr. Blackely, er wird von dem Mimen be¬<lb/>
zahlt, wie der <hirendition="#aq">maître de la claque</hi> in Paris. Nur die Form dieſer<lb/>
Claque iſt amerikaniſch.</p><lb/><p>Moorfeld ſenkte ſein Haupt. Können Sie mir ſagen, mein Herr,<lb/>
ob Newyork etwa Liebhaberbühnen von Ruf beſitzt? begann er nach<lb/>
einer Pauſe.</p><lb/><p>Mr. Bennet, mein ſchätzbarer Freund, unterhielt ſonſt ein vor¬<lb/>
zügliches Haustheater — antwortete der Engländer, und fügte mit<lb/>
Haſt hinzu: Ich bitte mir das Vergnügen aus, Sie ihm vorzuſtellen,<lb/>
Sir. Er hält zwar in der <hirendition="#aq">saison morte</hi> auf New-Jerſey Villeggiatur,<lb/>
aber wir wollen hinausfahren, Sir. Ich will Sie auf New-Jerſey vor¬<lb/>ſtellen, Sir; wahrhaftig ich will es, Sir, nennen Sie mir Tag und<lb/>
Stunde, ich bin ganz zu Ihren Dienſten, Sir.</p><lb/><p>Moorfeld fand ſich, um die Wahrheit zu ſagen, mehr verlegen als<lb/>
dankbar für dieſe Güte geſtimmt. Konnte er annehmen? Die unge¬<lb/>
wöhnliche Zuvorkommenheit des Fremden — zwar war ſie nicht mehr,<lb/></p></div></div></body></text></TEI>
[96/0114]
und ſchrie, mit dem Modell aller Menſchenlungen: „Noch einmal ge¬
ſtorben! für einen Dime, Mr. Blackely, noch mal geſtorben“, — und
als der beſcheidene Künſtler dieſem Appell an ſein Genie nicht allſo¬
gleich Folge leiſtete, ſtürzte der ſeltſame Kunſtmäcen wie raſend ſeine
Taſchen um, warf ein Münzſtück um's andere über die Lampen, und
ſchrie dazu: „Gott verdamm' Euch, Mr. Blackely, wir ſchmeißen Euch
mit Dollars todt, wenn Ihr nicht gutwillig ſterbt, Ihr allmächtiger
Satan.“ Und zugleich hagelte es aus allen Taſchen der Straßenjun¬
gen, Lehrlinge und Newsboys eine Sprühwolke von zehn Centſtücken
auf die Bretter, welche die Welt bedeuten.
Iſt's möglich! rief Moorfeld mit einer unwillkürlichen Bewunde¬
rung, dieſer Roheſte der Rohen wirft ſeine ganze Tagesrente hin, weil
er die Beſtie, der er ſie opfert, für Kunſt hält. Welche Höhe müßte
bei ſo viel Empfänglichkeit die Kunſt ſelbſt hier erreichen, wenn ſie
den Gott ſtatt des Thieres im Menſchen entzündete!
Pardon, mein Herr! rief der Engländer bei dieſem Ausbruch ohne
eine Miene zu verziehen, es iſt hier zunächſt von einem Geldgeſchäft
die Rede. Der Burſche wirft keinen Cent auf die Bretter, den er
nicht doppelt zurückerhält, weil er ihn einzig in der Abſicht wirft, die
Centſtücke ſeiner dupirten Kameraden damit zu ködern. Er iſt der
agent provocateur ſeines Mr. Blackely, er wird von dem Mimen be¬
zahlt, wie der maître de la claque in Paris. Nur die Form dieſer
Claque iſt amerikaniſch.
Moorfeld ſenkte ſein Haupt. Können Sie mir ſagen, mein Herr,
ob Newyork etwa Liebhaberbühnen von Ruf beſitzt? begann er nach
einer Pauſe.
Mr. Bennet, mein ſchätzbarer Freund, unterhielt ſonſt ein vor¬
zügliches Haustheater — antwortete der Engländer, und fügte mit
Haſt hinzu: Ich bitte mir das Vergnügen aus, Sie ihm vorzuſtellen,
Sir. Er hält zwar in der saison morte auf New-Jerſey Villeggiatur,
aber wir wollen hinausfahren, Sir. Ich will Sie auf New-Jerſey vor¬
ſtellen, Sir; wahrhaftig ich will es, Sir, nennen Sie mir Tag und
Stunde, ich bin ganz zu Ihren Dienſten, Sir.
Moorfeld fand ſich, um die Wahrheit zu ſagen, mehr verlegen als
dankbar für dieſe Güte geſtimmt. Konnte er annehmen? Die unge¬
wöhnliche Zuvorkommenheit des Fremden — zwar war ſie nicht mehr,
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Sie haben einen Fehler gefunden?
Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform
DTAQ melden.
Kommentar zur DTA-Ausgabe
Dieses Werk wurde von OCR-Software automatisch erfasst und anschließend
gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien
von Muttersprachlern nachkontrolliert. Es wurde gemäß dem
DTA-Basisformat in XML/TEI P5 kodiert.
Kürnberger, Ferdinand: Der Amerika-Müde. Frankfurt (Main), 1855, S. 96. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/kuernberger_amerikamuede_1855/114>, abgerufen am 03.12.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.