Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Kuczynski, Jürgen: Tagebuch. Berlin, 1987.

Bild:
<< vorherige Seite

N001
Haba einen großen Artikel über Burckhardt (ca. 90 Seiten) N002
fertig. Da er, glaube iah, wirklich gut geworden, glaube ich N003
nicht, daß ich ihn werde veröffentlichen können.

N001
28.4.1969

N001
Vor kurzem stand, wohl im RD, ein Artikel, der etwa so N002
begannt "Kund 90 % unserer Erkenntnisse stammt aus dem letzten N003
halben Jahrhundert." Darauf kann man nur antworten! Auf dem N004
Gebiet der Gesellschaftswissenschaften haben es die 10 % von N005
Aristoteles bis zu Lenins Imperialismus dafür in sieh!

N001
Im Grunde ist wissenschaftliches Denken den meisten Punk- N002
tionären immer noch völlig fremd. Zwischen Kenntnissen und Er- N003
kenntnissen wird kein Unterschied gemacht. Und der fruchtbare N004
Forscher wird in der Theorie zur Denkmaschine gemacht, die mög- N005
lichst viel Hilfskräfte haben soll, damit er Ja dauernd zum N006
Denken kommen 3011. BUcher in der Bibliothek (aus dem Magazin, N007
wo man, wenn die Bibliothek thematisch geordnet ist, einen groß- N008
artigen überblick Uber die Literatur hat) zu holen, ist seiner N009
unwürdig, ebenso wie Berechnungen durchzuführen usw. Man über- N010
legt, wieviele Hilfskräfte auf einen Forscher kommen müssen, damit N011
er möglichst "nutzeffektiv" werden kann.

N001
Seit 2500 Jahren so entscheidend die Forschung, das Nach- N002
denken fördernde Verhältnisse wie freier Gedankenaustausch, echten N003
(auch gedruckten) Meinungsstreit, Gelehrtengeselligkeit, all das N004
vergißt man, ist dagegen oder heuchelt man. ,

N001
Man sage nicht, daß solohe Überlegungen den Weltklassenkampf, N002
die Sicherheitsfrage außer acht lassen! Ich bin Überzeugt, daß N003
man sehr wohl 20 Jahre ohne Gesellschaftswissenschaften, insbe- N004
sondere auch in ihrem Zustand der letzten 20 Jahre, auskommen und

N001
Haba einen großen Artikel über Burckhardt (ca. 90 Seiten) N002
fertig. Da er, glaube iah, wirklich gut geworden, glaube ich N003
nicht, daß ich ihn werde veröffentlichen können.

N001
28.4.1969

N001
Vor kurzem stand, wohl im RD, ein Artikel, der etwa so N002
begannt "Kund 90 % unserer Erkenntnisse stammt aus dem letzten N003
halben Jahrhundert." Darauf kann man nur antworten! Auf dem N004
Gebiet der Gesellschaftswissenschaften haben es die 10 % von N005
Aristoteles bis zu Lenins Imperialismus dafür in sieh!

N001
Im Grunde ist wissenschaftliches Denken den meisten Punk- N002
tionären immer noch völlig fremd. Zwischen Kenntnissen und Er- N003
kenntnissen wird kein Unterschied gemacht. Und der fruchtbare N004
Forscher wird in der Theorie zur Denkmaschine gemacht, die mög- N005
lichst viel Hilfskräfte haben soll, damit er Ja dauernd zum N006
Denken kommen 3011. BUcher in der Bibliothek (aus dem Magazin, N007
wo man, wenn die Bibliothek thematisch geordnet ist, einen groß- N008
artigen überblick Uber die Literatur hat) zu holen, ist seiner N009
unwürdig, ebenso wie Berechnungen durchzuführen usw. Man über- N010
legt, wieviele Hilfskräfte auf einen Forscher kommen müssen, damit N011
er möglichst "nutzeffektiv" werden kann.

N001
Seit 2500 Jahren so entscheidend die Forschung, das Nach- N002
denken fördernde Verhältnisse wie freier Gedankenaustausch, echten N003
(auch gedruckten) Meinungsstreit, Gelehrtengeselligkeit, all das N004
vergißt man, ist dagegen oder heuchelt man. ,

N001
Man sage nicht, daß solohe Überlegungen den Weltklassenkampf, N002
die Sicherheitsfrage außer acht lassen! Ich bin Überzeugt, daß N003
man sehr wohl 20 Jahre ohne Gesellschaftswissenschaften, insbe- N004
sondere auch in ihrem Zustand der letzten 20 Jahre, auskommen und

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div type="chapter">
        <pb facs="#f0408" n="16"/>
        <p><lb n="N001"/>
Haba einen großen Artikel über Burckhardt (ca. 90 Seiten)     <lb n="N002"/>
fertig. Da er, glaube iah, wirklich gut geworden, glaube ich     <lb n="N003"/>
nicht, daß ich ihn werde veröffentlichen können.</p>
        <p><lb n="N001"/>
28.4.1969</p>
        <p><lb n="N001"/>
Vor kurzem stand, wohl im RD, ein Artikel, der etwa so     <lb n="N002"/>
begannt "Kund 90 % unserer Erkenntnisse stammt aus dem letzten     <lb n="N003"/>
halben Jahrhundert." Darauf kann man nur antworten! Auf dem     <lb n="N004"/>
Gebiet der Gesellschaftswissenschaften haben es die 10 % von     <lb n="N005"/>
Aristoteles bis zu Lenins Imperialismus dafür in sieh!</p>
        <p><lb n="N001"/>
Im Grunde ist wissenschaftliches Denken den meisten Punk-     <lb n="N002"/>
tionären immer noch völlig fremd. Zwischen Kenntnissen und Er-     <lb n="N003"/>
kenntnissen wird kein Unterschied gemacht. Und der fruchtbare     <lb n="N004"/>
Forscher wird in der Theorie zur Denkmaschine gemacht, die mög-     <lb n="N005"/>
lichst viel Hilfskräfte haben soll, damit er Ja dauernd zum     <lb n="N006"/>
Denken kommen 3011. BUcher in der Bibliothek (aus dem Magazin,     <lb n="N007"/>
wo man, wenn die Bibliothek thematisch geordnet ist, einen groß-     <lb n="N008"/>
artigen überblick Uber die Literatur hat) zu holen, ist seiner     <lb n="N009"/>
unwürdig, ebenso wie Berechnungen durchzuführen usw. Man über-     <lb n="N010"/>
legt, wieviele Hilfskräfte auf einen Forscher kommen müssen, damit     <lb n="N011"/>
er möglichst "nutzeffektiv" werden kann.</p>
        <p><lb n="N001"/>
Seit 2500 Jahren so entscheidend die Forschung, das Nach-     <lb n="N002"/>
denken fördernde Verhältnisse wie freier Gedankenaustausch, echten     <lb n="N003"/>
(auch gedruckten) Meinungsstreit, Gelehrtengeselligkeit, all das     <lb n="N004"/>
vergißt man, ist dagegen oder heuchelt man. ,</p>
        <p><lb n="N001"/>
Man sage nicht, daß solohe Überlegungen den Weltklassenkampf,     <lb n="N002"/>
die Sicherheitsfrage außer acht lassen! Ich bin Überzeugt, daß     <lb n="N003"/>
man sehr wohl 20 Jahre ohne Gesellschaftswissenschaften, insbe-     <lb n="N004"/>
sondere auch in ihrem Zustand der letzten 20 Jahre, auskommen und</p>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[16/0408] N001 Haba einen großen Artikel über Burckhardt (ca. 90 Seiten) N002 fertig. Da er, glaube iah, wirklich gut geworden, glaube ich N003 nicht, daß ich ihn werde veröffentlichen können. N001 28.4.1969 N001 Vor kurzem stand, wohl im RD, ein Artikel, der etwa so N002 begannt "Kund 90 % unserer Erkenntnisse stammt aus dem letzten N003 halben Jahrhundert." Darauf kann man nur antworten! Auf dem N004 Gebiet der Gesellschaftswissenschaften haben es die 10 % von N005 Aristoteles bis zu Lenins Imperialismus dafür in sieh! N001 Im Grunde ist wissenschaftliches Denken den meisten Punk- N002 tionären immer noch völlig fremd. Zwischen Kenntnissen und Er- N003 kenntnissen wird kein Unterschied gemacht. Und der fruchtbare N004 Forscher wird in der Theorie zur Denkmaschine gemacht, die mög- N005 lichst viel Hilfskräfte haben soll, damit er Ja dauernd zum N006 Denken kommen 3011. BUcher in der Bibliothek (aus dem Magazin, N007 wo man, wenn die Bibliothek thematisch geordnet ist, einen groß- N008 artigen überblick Uber die Literatur hat) zu holen, ist seiner N009 unwürdig, ebenso wie Berechnungen durchzuführen usw. Man über- N010 legt, wieviele Hilfskräfte auf einen Forscher kommen müssen, damit N011 er möglichst "nutzeffektiv" werden kann. N001 Seit 2500 Jahren so entscheidend die Forschung, das Nach- N002 denken fördernde Verhältnisse wie freier Gedankenaustausch, echten N003 (auch gedruckten) Meinungsstreit, Gelehrtengeselligkeit, all das N004 vergißt man, ist dagegen oder heuchelt man. , N001 Man sage nicht, daß solohe Überlegungen den Weltklassenkampf, N002 die Sicherheitsfrage außer acht lassen! Ich bin Überzeugt, daß N003 man sehr wohl 20 Jahre ohne Gesellschaftswissenschaften, insbe- N004 sondere auch in ihrem Zustand der letzten 20 Jahre, auskommen und

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
TCF (tokenisiert, serialisiert, lemmatisiert, normalisiert)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Archiv der Berlin-Brandenburgische Akademie der Wissenschaften: Bereitstellung der Texttranskription. (2020-01-09T11:07:09Z) Bitte beachten Sie, dass die aktuelle Transkription (und Textauszeichnung) mittlerweile nicht mehr dem Stand zum Zeitpunkt der Übernahme des Werkes in das DTA entsprechen muss.
Matthias Boenig: Bearbeitung der digitalen Edition. (2020-01-09T11:07:09Z)

Weitere Informationen:

Bogensignaturen: keine Angabe; Druckfehler: dokumentiert; fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet; Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): keine Angabe; Seitenumbrüche markiert: ja; Silbentrennung: wie Vorlage; Vollständigkeit: vollständig erfasst; Zeichensetzung: wie Vorlage; Zeilenumbrüche markiert: ja;




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/kuczynski_tagebuch_1987
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/kuczynski_tagebuch_1987/408
Zitationshilfe: Kuczynski, Jürgen: Tagebuch. Berlin, 1987, S. 16. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/kuczynski_tagebuch_1987/408>, abgerufen am 28.06.2024.