Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Kuczynski, Jürgen: Tagebuch. Berlin, 1987.

Bild:
<< vorherige Seite

N001
Am Dienstag kommt Bruno Pre^ aus Wien zum Abendbrot*

N001
Wie viele und doch wie wenige Freunde von vor 30 und mehr N002
Jahren sind nooh am Leben.

N001
10.10.1962

N001
War am 25. rund 11/2 Stunden bei Walter Ulbricht. Ich ver- N002
sagte völlig, aber weiß nicht, was ich hätte tun sollen. Walter N003
war ganz besonders freundlich - aber es war unmöglich, irgendein N004
ernstes Problem ernsthaft zu diskutieren. Er meinte zum Beispiel, N005
unsere Landwirtschaft habe ihre Überlegenheit gegenüber der west- N006
deutschen auoh in der Höhe der Erträge, auch in der Intensität N007
der Ausnutzung der Maschinen bewiesen, wozu er noch grotesker- N008
weise bemerkte, daß wir unsere Erträge natürlich nicht veröffent- N009
lichten! Wenn ich eingewandt hätte, daß wir sie veröffentlichen N010
und daß sie niedriger sind als die westdeutschen, hätte er nur N011
die künftige Veröffentlichung verboten. Der Unsinn, den Walter N012
gewissermaßen in Befehlsform über die Wirtschaft daherredete, N013
war ganz einfach haarsträubend. Dazu die Theorie, daß alles immer N014
richtig zur richtigen Zeit gemacht worden sei! als ich darauf N015
hinwiös, daß wir schon vor 10 Jahren (Fritz Behrens, Kohlmey, N016
ich selbst) auf der Linie der Sowjetgenossen über Rentabilitäts- N017
berechnungen diskutiert hätten, erklärte er* damals waren die N018
Menschen dafür noch nicht reif! Und jetzt das geradezu Rührendei N019
"Siehst Du", sagte er, "die Maßnahmen des Rates für gegenseitige N020
Wirtschaftshilfe, die in diesem Jahr beschlossen wurden, habe N021
ich schon vor 3 Jahren gewollt, aber damals war es eben zu früh N022
- und so geht es auch bisweilen dem Genossen Chruschtschow." Es N023
ist wohl das letzte Mal, daß ich ihn so für mich vor mir hatte N024
(Berger, der noch dabei war, sagte praktisch nichts)* Persönlich

N001
Am Dienstag kommt Bruno Pre^ aus Wien zum Abendbrot*

N001
Wie viele und doch wie wenige Freunde von vor 30 und mehr N002
Jahren sind nooh am Leben.

N001
10.10.1962

N001
War am 25. rund 11/2 Stunden bei Walter Ulbricht. Ich ver- N002
sagte völlig, aber weiß nicht, was ich hätte tun sollen. Walter N003
war ganz besonders freundlich - aber es war unmöglich, irgendein N004
ernstes Problem ernsthaft zu diskutieren. Er meinte zum Beispiel, N005
unsere Landwirtschaft habe ihre Überlegenheit gegenüber der west- N006
deutschen auoh in der Höhe der Erträge, auch in der Intensität N007
der Ausnutzung der Maschinen bewiesen, wozu er noch grotesker- N008
weise bemerkte, daß wir unsere Erträge natürlich nicht veröffent- N009
lichten! Wenn ich eingewandt hätte, daß wir sie veröffentlichen N010
und daß sie niedriger sind als die westdeutschen, hätte er nur N011
die künftige Veröffentlichung verboten. Der Unsinn, den Walter N012
gewissermaßen in Befehlsform über die Wirtschaft daherredete, N013
war ganz einfach haarsträubend. Dazu die Theorie, daß alles immer N014
richtig zur richtigen Zeit gemacht worden sei! als ich darauf N015
hinwiös, daß wir schon vor 10 Jahren (Fritz Behrens, Kohlmey, N016
ich selbst) auf der Linie der Sowjetgenossen über Rentabilitäts- N017
berechnungen diskutiert hätten, erklärte er* damals waren die N018
Menschen dafür noch nicht reif! Und jetzt das geradezu Rührendei N019
"Siehst Du", sagte er, "die Maßnahmen des Rates für gegenseitige N020
Wirtschaftshilfe, die in diesem Jahr beschlossen wurden, habe N021
ich schon vor 3 Jahren gewollt, aber damals war es eben zu früh N022
- und so geht es auch bisweilen dem Genossen Chruschtschow.» Es N023
ist wohl das letzte Mal, daß ich ihn so für mich vor mir hatte N024
(Berger, der noch dabei war, sagte praktisch nichts)* Persönlich

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div type="chapter">
        <pb facs="#f0147"/>
        <p><lb n="N001"/>
Am Dienstag kommt Bruno Pre^ aus Wien zum Abendbrot*</p>
        <p><lb n="N001"/>
Wie viele und doch wie wenige Freunde von vor 30 und mehr     <lb n="N002"/>
Jahren sind nooh am Leben.</p>
        <p><lb n="N001"/>
10.10.1962</p>
        <p><lb n="N001"/>
War am 25. rund 11/2 Stunden bei Walter Ulbricht. Ich ver-     <lb n="N002"/>
sagte völlig, aber weiß nicht, was ich hätte tun sollen. Walter     <lb n="N003"/>
war ganz besonders freundlich - aber es war unmöglich, irgendein     <lb n="N004"/>
ernstes Problem ernsthaft zu diskutieren. Er meinte zum Beispiel,     <lb n="N005"/>
unsere Landwirtschaft habe ihre Überlegenheit gegenüber der west-     <lb n="N006"/>
deutschen auoh in der Höhe der Erträge, auch in der Intensität     <lb n="N007"/>
der Ausnutzung der Maschinen bewiesen, wozu er noch grotesker-     <lb n="N008"/>
weise bemerkte, daß wir unsere Erträge natürlich nicht veröffent-     <lb n="N009"/>
lichten! Wenn ich eingewandt hätte, daß wir sie veröffentlichen     <lb n="N010"/>
und daß sie niedriger sind als die westdeutschen, hätte er nur     <lb n="N011"/>
die künftige Veröffentlichung verboten. Der Unsinn, den Walter     <lb n="N012"/>
gewissermaßen in Befehlsform über die Wirtschaft daherredete,     <lb n="N013"/>
war ganz einfach haarsträubend. Dazu die Theorie, daß alles immer     <lb n="N014"/>
richtig zur richtigen Zeit gemacht worden sei! als ich darauf     <lb n="N015"/>
hinwiös, daß wir schon vor 10 Jahren (Fritz Behrens, Kohlmey,     <lb n="N016"/>
ich selbst) auf der Linie der Sowjetgenossen über Rentabilitäts-     <lb n="N017"/>
berechnungen diskutiert hätten, erklärte er* damals waren die     <lb n="N018"/>
Menschen dafür noch nicht reif! Und jetzt das geradezu Rührendei     <lb n="N019"/>
"Siehst Du", sagte er, "die Maßnahmen des Rates für gegenseitige     <lb n="N020"/>
Wirtschaftshilfe, die in diesem Jahr beschlossen wurden, habe     <lb n="N021"/>
ich schon vor 3 Jahren gewollt, aber damals war es eben zu früh     <lb n="N022"/>
- und so geht es auch bisweilen dem Genossen Chruschtschow.» Es     <lb n="N023"/>
ist wohl das letzte Mal, daß ich ihn so für mich vor mir hatte     <lb n="N024"/>
(Berger, der noch dabei war, sagte praktisch nichts)* Persönlich</p>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0147] N001 Am Dienstag kommt Bruno Pre^ aus Wien zum Abendbrot* N001 Wie viele und doch wie wenige Freunde von vor 30 und mehr N002 Jahren sind nooh am Leben. N001 10.10.1962 N001 War am 25. rund 11/2 Stunden bei Walter Ulbricht. Ich ver- N002 sagte völlig, aber weiß nicht, was ich hätte tun sollen. Walter N003 war ganz besonders freundlich - aber es war unmöglich, irgendein N004 ernstes Problem ernsthaft zu diskutieren. Er meinte zum Beispiel, N005 unsere Landwirtschaft habe ihre Überlegenheit gegenüber der west- N006 deutschen auoh in der Höhe der Erträge, auch in der Intensität N007 der Ausnutzung der Maschinen bewiesen, wozu er noch grotesker- N008 weise bemerkte, daß wir unsere Erträge natürlich nicht veröffent- N009 lichten! Wenn ich eingewandt hätte, daß wir sie veröffentlichen N010 und daß sie niedriger sind als die westdeutschen, hätte er nur N011 die künftige Veröffentlichung verboten. Der Unsinn, den Walter N012 gewissermaßen in Befehlsform über die Wirtschaft daherredete, N013 war ganz einfach haarsträubend. Dazu die Theorie, daß alles immer N014 richtig zur richtigen Zeit gemacht worden sei! als ich darauf N015 hinwiös, daß wir schon vor 10 Jahren (Fritz Behrens, Kohlmey, N016 ich selbst) auf der Linie der Sowjetgenossen über Rentabilitäts- N017 berechnungen diskutiert hätten, erklärte er* damals waren die N018 Menschen dafür noch nicht reif! Und jetzt das geradezu Rührendei N019 "Siehst Du", sagte er, "die Maßnahmen des Rates für gegenseitige N020 Wirtschaftshilfe, die in diesem Jahr beschlossen wurden, habe N021 ich schon vor 3 Jahren gewollt, aber damals war es eben zu früh N022 - und so geht es auch bisweilen dem Genossen Chruschtschow.» Es N023 ist wohl das letzte Mal, daß ich ihn so für mich vor mir hatte N024 (Berger, der noch dabei war, sagte praktisch nichts)* Persönlich

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Archiv der Berlin-Brandenburgische Akademie der Wissenschaften: Bereitstellung der Texttranskription. (2020-01-09T11:07:09Z) Bitte beachten Sie, dass die aktuelle Transkription (und Textauszeichnung) mittlerweile nicht mehr dem Stand zum Zeitpunkt der Übernahme des Werkes in das DTA entsprechen muss.
Matthias Boenig: Bearbeitung der digitalen Edition. (2020-01-09T11:07:09Z)

Weitere Informationen:

Bogensignaturen: keine Angabe; Druckfehler: dokumentiert; fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet; Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): keine Angabe; Seitenumbrüche markiert: ja; Silbentrennung: wie Vorlage; Vollständigkeit: vollständig erfasst; Zeichensetzung: wie Vorlage; Zeilenumbrüche markiert: ja;




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/kuczynski_tagebuch_1987
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/kuczynski_tagebuch_1987/147
Zitationshilfe: Kuczynski, Jürgen: Tagebuch. Berlin, 1987, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/kuczynski_tagebuch_1987/147>, abgerufen am 25.11.2024.