Kruse, Laurids: Nordische Freundschaft. In: Deutscher Novellenschatz. Hrsg. von Paul Heyse und Hermann Kurz. Bd. 6. 2. Aufl. Berlin, [1910], S. 1–105. In: Weitin, Thomas (Hrsg.): Volldigitalisiertes Korpus. Der Deutsche Novellenschatz. Darmstadt/Konstanz, 2016.seiner Leiche, und aufrecht, als wenn er noch lebte, trugen ihn Mads und Woldemar in das wartende Boot, wo der Letzte die theure Last an den Vordersteven hinstellte, mit den zugeschlossenen Augen gegen das Meer gekehrt, den Freund fest umschlingend, fest wie einst, da Jener ihn helfend auffaßte; während Mads, ehe er noch das Ruder ergriff, eifrig eine heimlich mitgenommene Flagge auf die Stange befestigte. Was machst du, Bursche? rief Woldemar, die Sonne ist ja nicht auf! Mads zeigte auf den vollen Mond, der zwischen den jagenden Wolken in dieser ziemlich stürmischen Nacht hervorblickte. Der Mond ist die Sonne der Todten, sagte er seufzend. Er war ein wackerer Seemann , und die Flagge muß zur Trauer auf halber Stange weben. Schnell lenkte er den scharfen Kiel durch die immer wilder rollenden Wogen, die von dem Winde aufgerührt das Boot hurtig in das immer offenere Meer hinausführten. Woldemar stand ruhig am Vordersteven, die Leiche des Freundes fest an seine Brust gedrückt, und so wie die horchenden Mädchen einst auf dem Balle durch die rauschende Musik Woldemar's sonore Stimme vernahmen, so schlug dieselbe auch jetzt durch Windesgeheul und Wellengebraus nur in dumpferen Tönen an Madsens Ohr, der mit leisem Geflüster die bekannten nur wenig veränderten Worte begleitete: seiner Leiche, und aufrecht, als wenn er noch lebte, trugen ihn Mads und Woldemar in das wartende Boot, wo der Letzte die theure Last an den Vordersteven hinstellte, mit den zugeschlossenen Augen gegen das Meer gekehrt, den Freund fest umschlingend, fest wie einst, da Jener ihn helfend auffaßte; während Mads, ehe er noch das Ruder ergriff, eifrig eine heimlich mitgenommene Flagge auf die Stange befestigte. Was machst du, Bursche? rief Woldemar, die Sonne ist ja nicht auf! Mads zeigte auf den vollen Mond, der zwischen den jagenden Wolken in dieser ziemlich stürmischen Nacht hervorblickte. Der Mond ist die Sonne der Todten, sagte er seufzend. Er war ein wackerer Seemann , und die Flagge muß zur Trauer auf halber Stange weben. Schnell lenkte er den scharfen Kiel durch die immer wilder rollenden Wogen, die von dem Winde aufgerührt das Boot hurtig in das immer offenere Meer hinausführten. Woldemar stand ruhig am Vordersteven, die Leiche des Freundes fest an seine Brust gedrückt, und so wie die horchenden Mädchen einst auf dem Balle durch die rauschende Musik Woldemar's sonore Stimme vernahmen, so schlug dieselbe auch jetzt durch Windesgeheul und Wellengebraus nur in dumpferen Tönen an Madsens Ohr, der mit leisem Geflüster die bekannten nur wenig veränderten Worte begleitete: <TEI> <text> <body> <div n="1"> <p><pb facs="#f0103"/> seiner Leiche, und aufrecht, als wenn er noch lebte, trugen ihn Mads und Woldemar in das wartende Boot, wo der Letzte die theure Last an den Vordersteven hinstellte, mit den zugeschlossenen Augen gegen das Meer gekehrt, den Freund fest umschlingend, fest wie einst, da Jener ihn helfend auffaßte; während Mads, ehe er noch das Ruder ergriff, eifrig eine heimlich mitgenommene Flagge auf die Stange befestigte.</p><lb/> <p>Was machst du, Bursche? rief Woldemar, die Sonne ist ja nicht auf!</p><lb/> <p>Mads zeigte auf den vollen Mond, der zwischen den jagenden Wolken in dieser ziemlich stürmischen Nacht hervorblickte. Der Mond ist die Sonne der Todten, sagte er seufzend. Er war ein wackerer Seemann , und die Flagge muß zur Trauer auf halber Stange weben.</p><lb/> <p>Schnell lenkte er den scharfen Kiel durch die immer wilder rollenden Wogen, die von dem Winde aufgerührt das Boot hurtig in das immer offenere Meer hinausführten. Woldemar stand ruhig am Vordersteven, die Leiche des Freundes fest an seine Brust gedrückt, und so wie die horchenden Mädchen einst auf dem Balle durch die rauschende Musik Woldemar's sonore Stimme vernahmen, so schlug dieselbe auch jetzt durch Windesgeheul und Wellengebraus nur in dumpferen Tönen an Madsens Ohr, der mit leisem Geflüster die bekannten nur wenig veränderten Worte begleitete:</p><lb/> </div> </body> </text> </TEI> [0103]
seiner Leiche, und aufrecht, als wenn er noch lebte, trugen ihn Mads und Woldemar in das wartende Boot, wo der Letzte die theure Last an den Vordersteven hinstellte, mit den zugeschlossenen Augen gegen das Meer gekehrt, den Freund fest umschlingend, fest wie einst, da Jener ihn helfend auffaßte; während Mads, ehe er noch das Ruder ergriff, eifrig eine heimlich mitgenommene Flagge auf die Stange befestigte.
Was machst du, Bursche? rief Woldemar, die Sonne ist ja nicht auf!
Mads zeigte auf den vollen Mond, der zwischen den jagenden Wolken in dieser ziemlich stürmischen Nacht hervorblickte. Der Mond ist die Sonne der Todten, sagte er seufzend. Er war ein wackerer Seemann , und die Flagge muß zur Trauer auf halber Stange weben.
Schnell lenkte er den scharfen Kiel durch die immer wilder rollenden Wogen, die von dem Winde aufgerührt das Boot hurtig in das immer offenere Meer hinausführten. Woldemar stand ruhig am Vordersteven, die Leiche des Freundes fest an seine Brust gedrückt, und so wie die horchenden Mädchen einst auf dem Balle durch die rauschende Musik Woldemar's sonore Stimme vernahmen, so schlug dieselbe auch jetzt durch Windesgeheul und Wellengebraus nur in dumpferen Tönen an Madsens Ohr, der mit leisem Geflüster die bekannten nur wenig veränderten Worte begleitete:
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