Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Krukenberg, Elsbeth: Die Frauenbewegung, ihre Ziele und ihre Bedeutung. Tübingen, 1905.

Bild:
<< vorherige Seite

lebendig geworden, wie das heutigentages der Fall ist. Noch
waren es nur wenige, ihrer Zeit vorausschreitende Frauen,
die an das Herz der Besitzenden energisch zu rühren wagten,
die auf das Elend, das weite Kreise der Arbeiterschaft be-
herrschte, furchtlos, ohne von Eigeninteresse getrieben zu sein,
lediglich um der Gerechtigkeit willen hinwiesen. Noch dachte
man nicht daran, die arbeitende Frau als Gleichberechtigte zu
behandeln, ihr bei ihren Versuchen, sich zu organisieren, Hilfe
zu leisten, oder wohl gar sie als Mitkämpferin im Befreiungs-
kampf der Frau heranzuziehen. Wohl wurde von seiten der
Besitzenden Wohltätigkeit in umfassendem Maße geübt. Al-
mosen wurden reichlich gegeben. Aber eine weite Kluft trennte
Reich und Arm, Hoch und Niedrig. Der Besitzende hätte es als
Anmaßung empfunden, wie er es z. T. auch jetzt noch tut,
wenn der Besitzlose, dessen ganzes Kapital seine Arbeitskraft
ist, sich mit ihm auf gleiche Stufe hätte stellen wollen. Ab-
hängigkeit des Dienenden, des Arbeitnehmers vom Arbeit-
geber erschien als gottgewollter Zustand. Auch die arbeitge-
bende Frau dachte in diesen Dingen genau wie ihr männlicher
Klassengenosse. Ein Hinweis auf die Dienstbotenfrage genügt,
um zu zeigen, wie auch die Frau der bürgerlichen Kreise an
altüberlieferten Rechten festhielt und sich Zugeständnisse den in
ihrem Hauswesen Arbeitenden gegenüber nur ungern und
widerwillig abringen ließ.

Zu jenen Ausnahmenaturen unter den Frauen, die sozial
empfanden, bevor das Wort "sozial" Mode geworden war,
die die Pflicht der Besitzenden allzeit mit seltener Klarheit er-
kannten, gehörte Luise Otto, die Gründerin des Allg. Dtsch.
Frauenvereins. Langsam nur ist die Menge der Frauen ihren
der Zeit kühn vorauseilenden Jdeen gefolgt, langsam nur hat
wenigstens ein Teil der wohlhabenden Frauen gelernt, was

lebendig geworden, wie das heutigentages der Fall ist. Noch
waren es nur wenige, ihrer Zeit vorausschreitende Frauen,
die an das Herz der Besitzenden energisch zu rühren wagten,
die auf das Elend, das weite Kreise der Arbeiterschaft be-
herrschte, furchtlos, ohne von Eigeninteresse getrieben zu sein,
lediglich um der Gerechtigkeit willen hinwiesen. Noch dachte
man nicht daran, die arbeitende Frau als Gleichberechtigte zu
behandeln, ihr bei ihren Versuchen, sich zu organisieren, Hilfe
zu leisten, oder wohl gar sie als Mitkämpferin im Befreiungs-
kampf der Frau heranzuziehen. Wohl wurde von seiten der
Besitzenden Wohltätigkeit in umfassendem Maße geübt. Al-
mosen wurden reichlich gegeben. Aber eine weite Kluft trennte
Reich und Arm, Hoch und Niedrig. Der Besitzende hätte es als
Anmaßung empfunden, wie er es z. T. auch jetzt noch tut,
wenn der Besitzlose, dessen ganzes Kapital seine Arbeitskraft
ist, sich mit ihm auf gleiche Stufe hätte stellen wollen. Ab-
hängigkeit des Dienenden, des Arbeitnehmers vom Arbeit-
geber erschien als gottgewollter Zustand. Auch die arbeitge-
bende Frau dachte in diesen Dingen genau wie ihr männlicher
Klassengenosse. Ein Hinweis auf die Dienstbotenfrage genügt,
um zu zeigen, wie auch die Frau der bürgerlichen Kreise an
altüberlieferten Rechten festhielt und sich Zugeständnisse den in
ihrem Hauswesen Arbeitenden gegenüber nur ungern und
widerwillig abringen ließ.

Zu jenen Ausnahmenaturen unter den Frauen, die sozial
empfanden, bevor das Wort „sozial“ Mode geworden war,
die die Pflicht der Besitzenden allzeit mit seltener Klarheit er-
kannten, gehörte Luise Otto, die Gründerin des Allg. Dtsch.
Frauenvereins. Langsam nur ist die Menge der Frauen ihren
der Zeit kühn vorauseilenden Jdeen gefolgt, langsam nur hat
wenigstens ein Teil der wohlhabenden Frauen gelernt, was

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <p><pb facs="#f0260" n="250"/>
lebendig geworden, wie das heutigentages der Fall ist. Noch<lb/>
waren es nur wenige, ihrer Zeit vorausschreitende Frauen,<lb/>
die an das Herz der Besitzenden energisch zu rühren wagten,<lb/>
die auf das Elend, das weite Kreise der Arbeiterschaft be-<lb/>
herrschte, furchtlos, ohne von Eigeninteresse getrieben zu sein,<lb/>
lediglich um der Gerechtigkeit willen hinwiesen. Noch dachte<lb/>
man nicht daran, die arbeitende Frau als Gleichberechtigte zu<lb/>
behandeln, ihr bei ihren Versuchen, sich zu organisieren, Hilfe<lb/>
zu leisten, oder wohl gar sie als Mitkämpferin im Befreiungs-<lb/>
kampf der Frau heranzuziehen. Wohl wurde von seiten der<lb/>
Besitzenden Wohltätigkeit in umfassendem Maße geübt. Al-<lb/>
mosen wurden reichlich gegeben. Aber eine weite Kluft trennte<lb/>
Reich und Arm, Hoch und Niedrig. Der Besitzende hätte es als<lb/>
Anmaßung empfunden, wie er es z. T. auch jetzt noch tut,<lb/>
wenn der Besitzlose, dessen ganzes Kapital seine Arbeitskraft<lb/>
ist, sich mit ihm auf gleiche Stufe hätte stellen wollen. Ab-<lb/>
hängigkeit des Dienenden, des Arbeitnehmers vom Arbeit-<lb/>
geber erschien als gottgewollter Zustand. Auch die arbeitge-<lb/>
bende Frau dachte in diesen Dingen genau wie ihr männlicher<lb/>
Klassengenosse. Ein Hinweis auf die Dienstbotenfrage genügt,<lb/>
um zu zeigen, wie auch die Frau der bürgerlichen Kreise an<lb/>
altüberlieferten Rechten festhielt und sich Zugeständnisse den in<lb/>
ihrem Hauswesen Arbeitenden gegenüber nur ungern und<lb/>
widerwillig abringen ließ.</p><lb/>
        <p>Zu jenen Ausnahmenaturen unter den Frauen, die sozial<lb/>
empfanden, bevor das Wort &#x201E;sozial&#x201C; Mode geworden war,<lb/>
die die Pflicht der Besitzenden allzeit mit seltener Klarheit er-<lb/>
kannten, gehörte <hi rendition="#g">Luise Otto</hi>, die Gründerin des Allg. Dtsch.<lb/>
Frauenvereins. Langsam nur ist die Menge der Frauen ihren<lb/>
der Zeit kühn vorauseilenden Jdeen gefolgt, langsam nur hat<lb/>
wenigstens ein Teil der wohlhabenden Frauen gelernt, was<lb/></p>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[250/0260] lebendig geworden, wie das heutigentages der Fall ist. Noch waren es nur wenige, ihrer Zeit vorausschreitende Frauen, die an das Herz der Besitzenden energisch zu rühren wagten, die auf das Elend, das weite Kreise der Arbeiterschaft be- herrschte, furchtlos, ohne von Eigeninteresse getrieben zu sein, lediglich um der Gerechtigkeit willen hinwiesen. Noch dachte man nicht daran, die arbeitende Frau als Gleichberechtigte zu behandeln, ihr bei ihren Versuchen, sich zu organisieren, Hilfe zu leisten, oder wohl gar sie als Mitkämpferin im Befreiungs- kampf der Frau heranzuziehen. Wohl wurde von seiten der Besitzenden Wohltätigkeit in umfassendem Maße geübt. Al- mosen wurden reichlich gegeben. Aber eine weite Kluft trennte Reich und Arm, Hoch und Niedrig. Der Besitzende hätte es als Anmaßung empfunden, wie er es z. T. auch jetzt noch tut, wenn der Besitzlose, dessen ganzes Kapital seine Arbeitskraft ist, sich mit ihm auf gleiche Stufe hätte stellen wollen. Ab- hängigkeit des Dienenden, des Arbeitnehmers vom Arbeit- geber erschien als gottgewollter Zustand. Auch die arbeitge- bende Frau dachte in diesen Dingen genau wie ihr männlicher Klassengenosse. Ein Hinweis auf die Dienstbotenfrage genügt, um zu zeigen, wie auch die Frau der bürgerlichen Kreise an altüberlieferten Rechten festhielt und sich Zugeständnisse den in ihrem Hauswesen Arbeitenden gegenüber nur ungern und widerwillig abringen ließ. Zu jenen Ausnahmenaturen unter den Frauen, die sozial empfanden, bevor das Wort „sozial“ Mode geworden war, die die Pflicht der Besitzenden allzeit mit seltener Klarheit er- kannten, gehörte Luise Otto, die Gründerin des Allg. Dtsch. Frauenvereins. Langsam nur ist die Menge der Frauen ihren der Zeit kühn vorauseilenden Jdeen gefolgt, langsam nur hat wenigstens ein Teil der wohlhabenden Frauen gelernt, was

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
TCF (tokenisiert, serialisiert, lemmatisiert, normalisiert)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Texte der ersten Frauenbewegung, betreut von Anna Pfundt und Thomas Gloning, JLU Gießen: Bereitstellung der Texttranskription. (2017-11-13T13:59:15Z) Bitte beachten Sie, dass die aktuelle Transkription (und Textauszeichnung) mittlerweile nicht mehr dem Stand zum Zeitpunkt der Übernahme des Werkes in das DTA entsprechen muss.
Anna Pfundt: Bearbeitung der digitalen Edition. (2015-08-20T13:59:15Z)
Anna Pfundt: Konvertierung nach DTA-Basisformat. (2015-08-06T11:00:00Z)

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet; Druckfehler: gekennzeichnet; fremdsprachliches Material: keine Angabe; Geminations-/Abkürzungsstriche: keine Angabe; Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): wie Vorlage; i/j in Fraktur: keine Angabe; I/J in Fraktur: wie Vorlage; Kolumnentitel: keine Angabe; Kustoden: wie Vorlage; langes s (ſ): als s transkribiert; Normalisierungen: keine Angabe; rundes r (ꝛ): keine Angabe; Seitenumbrüche markiert: ja; Silbentrennung: wie Vorlage; u/v bzw. U/V: keine Angabe; Vokale mit übergest. e: keine Angabe; Vollständigkeit: vollständig erfasst; Zeichensetzung: keine Angabe; Zeilenumbrüche markiert: ja;




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/krukenberg_frauenbewegung_1905
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/krukenberg_frauenbewegung_1905/260
Zitationshilfe: Krukenberg, Elsbeth: Die Frauenbewegung, ihre Ziele und ihre Bedeutung. Tübingen, 1905, S. 250. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/krukenberg_frauenbewegung_1905/260>, abgerufen am 12.05.2024.