Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Krukenberg, Elsbeth: Die Frauenbewegung, ihre Ziele und ihre Bedeutung. Tübingen, 1905.

Bild:
<< vorherige Seite

denken, um Familien, denen jedes aus der Schule entlassene,
dann gleich mitverdienende Kind Erleichterung bedeutet. Daß
in solchen Familien die Eltern über den Augenblick hinaus
auch an die Zukunft der Töchter und deren einstige Familien
denken sollen, ist eine nur selten und schwer zu verwirklichende
Forderung. Einzig und allein durch Zwang ist einheitliche
Schulung unseres Volkes bis zum 14. Lebensjahr zu erreichen
gewesen. Auch Weiterbildung nach der Volksschule wird nur
durch pflichtmäßigen Besuch der Fortbildungsschule zu erreichen
sein. Jetzt fehlen, ohne den Schulzwang, gerade die Mäd-
chen, denen Unterweisung, sittliche Beeinflussung am bittersten
not täte.

Die Möglichkeit, Fortbildungsschulzwang - über die
Volksschulzeit hinaus - durch Ortsstatut festzusetzen, ist in
Preußen, unserm größten deutschen Bundesstaate, soweit Mäd-
chen
in Betracht kommen, bisher nur in einem einzigen Falle
gegeben. Diesen Ausnahmefall hat vor 2 Jahren die Reichs-
gewerbeordnung gebracht. Sie setzt fest, daß den Gemeinden
das Recht zusteht, für alle männlichen Arbeiter unter 18 Jahren
den Besuch einer Fortbildungsschule obligatorisch zu machen.
Für Frauen ist solches Recht der Gemeinden nur insoweit vor-
gesehen, als es sich um weibliche Handlungsgehilfinnen
und Lehrlinge unter 18 Jahren handelt (§ 120).

Daß diese den Gemeinden zustehende Befugnis bisher nur
vereinzelt zur Anwendung kam, daß obligatorische Fortbildungs-
kurse für Handlungsgehilfinnen hie und da sogar heftig bekämpft
wurden, das liegt z. T. an Widerstand von seiten der Arbeitgeber,
z. T. an mangelndem Jnteresse und daher mangelnder Jnitiative
der Eltern, z. T. an fehlendem Verständnis der bei der Errichtung
der Fortbildungsschulen ausschlaggebenden Stellen für alle, Be-
rufsschulung der Mädchen berührende Fragen. "Hier wie auf an-

denken, um Familien, denen jedes aus der Schule entlassene,
dann gleich mitverdienende Kind Erleichterung bedeutet. Daß
in solchen Familien die Eltern über den Augenblick hinaus
auch an die Zukunft der Töchter und deren einstige Familien
denken sollen, ist eine nur selten und schwer zu verwirklichende
Forderung. Einzig und allein durch Zwang ist einheitliche
Schulung unseres Volkes bis zum 14. Lebensjahr zu erreichen
gewesen. Auch Weiterbildung nach der Volksschule wird nur
durch pflichtmäßigen Besuch der Fortbildungsschule zu erreichen
sein. Jetzt fehlen, ohne den Schulzwang, gerade die Mäd-
chen, denen Unterweisung, sittliche Beeinflussung am bittersten
not täte.

Die Möglichkeit, Fortbildungsschulzwang – über die
Volksschulzeit hinaus – durch Ortsstatut festzusetzen, ist in
Preußen, unserm größten deutschen Bundesstaate, soweit Mäd-
chen
in Betracht kommen, bisher nur in einem einzigen Falle
gegeben. Diesen Ausnahmefall hat vor 2 Jahren die Reichs-
gewerbeordnung gebracht. Sie setzt fest, daß den Gemeinden
das Recht zusteht, für alle männlichen Arbeiter unter 18 Jahren
den Besuch einer Fortbildungsschule obligatorisch zu machen.
Für Frauen ist solches Recht der Gemeinden nur insoweit vor-
gesehen, als es sich um weibliche Handlungsgehilfinnen
und Lehrlinge unter 18 Jahren handelt (§ 120).

Daß diese den Gemeinden zustehende Befugnis bisher nur
vereinzelt zur Anwendung kam, daß obligatorische Fortbildungs-
kurse für Handlungsgehilfinnen hie und da sogar heftig bekämpft
wurden, das liegt z. T. an Widerstand von seiten der Arbeitgeber,
z. T. an mangelndem Jnteresse und daher mangelnder Jnitiative
der Eltern, z. T. an fehlendem Verständnis der bei der Errichtung
der Fortbildungsschulen ausschlaggebenden Stellen für alle, Be-
rufsschulung der Mädchen berührende Fragen. „Hier wie auf an-

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <p><pb facs="#f0023" n="13"/>
denken, um Familien, denen jedes aus der Schule entlassene,<lb/>
dann gleich mitverdienende Kind Erleichterung bedeutet. Daß<lb/>
in solchen Familien die Eltern über den Augenblick hinaus<lb/>
auch an die Zukunft der Töchter und deren einstige Familien<lb/>
denken sollen, ist eine nur selten und schwer zu verwirklichende<lb/>
Forderung. Einzig und allein durch <hi rendition="#g">Zwang</hi> ist einheitliche<lb/>
Schulung unseres Volkes bis zum 14. Lebensjahr zu erreichen<lb/>
gewesen. Auch Weiterbildung nach der Volksschule wird nur<lb/>
durch pflichtmäßigen Besuch der Fortbildungsschule zu erreichen<lb/>
sein. Jetzt fehlen, ohne den Schulzwang, gerade <hi rendition="#g">die</hi> Mäd-<lb/>
chen, denen Unterweisung, sittliche Beeinflussung am bittersten<lb/>
not täte.</p><lb/>
        <p>Die Möglichkeit, Fortbildungsschulzwang &#x2013; über die<lb/>
Volksschulzeit hinaus &#x2013; durch Ortsstatut festzusetzen, ist in<lb/>
Preußen, unserm größten deutschen Bundesstaate, soweit <hi rendition="#g">Mäd-<lb/>
chen</hi> in Betracht kommen, bisher nur in einem einzigen Falle<lb/>
gegeben. Diesen Ausnahmefall hat vor 2 Jahren die Reichs-<lb/>
gewerbeordnung gebracht. Sie setzt fest, daß den Gemeinden<lb/>
das Recht zusteht, für alle männlichen Arbeiter unter 18 Jahren<lb/>
den Besuch einer Fortbildungsschule obligatorisch zu machen.<lb/>
Für Frauen ist solches Recht der Gemeinden nur insoweit vor-<lb/>
gesehen, als es sich um weibliche <hi rendition="#g">Handlungsgehilfinnen</hi><lb/>
und Lehrlinge unter 18 Jahren handelt (§ 120).</p><lb/>
        <p>Daß diese den Gemeinden zustehende Befugnis bisher nur<lb/>
vereinzelt zur Anwendung kam, daß obligatorische Fortbildungs-<lb/>
kurse für Handlungsgehilfinnen hie und da sogar heftig bekämpft<lb/>
wurden, das liegt z. T. an Widerstand von seiten der Arbeitgeber,<lb/>
z. T. an mangelndem Jnteresse und daher mangelnder Jnitiative<lb/>
der Eltern, z. T. an fehlendem Verständnis der bei der Errichtung<lb/>
der Fortbildungsschulen ausschlaggebenden Stellen für alle, Be-<lb/>
rufsschulung der Mädchen berührende Fragen. &#x201E;Hier wie auf an-<lb/></p>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[13/0023] denken, um Familien, denen jedes aus der Schule entlassene, dann gleich mitverdienende Kind Erleichterung bedeutet. Daß in solchen Familien die Eltern über den Augenblick hinaus auch an die Zukunft der Töchter und deren einstige Familien denken sollen, ist eine nur selten und schwer zu verwirklichende Forderung. Einzig und allein durch Zwang ist einheitliche Schulung unseres Volkes bis zum 14. Lebensjahr zu erreichen gewesen. Auch Weiterbildung nach der Volksschule wird nur durch pflichtmäßigen Besuch der Fortbildungsschule zu erreichen sein. Jetzt fehlen, ohne den Schulzwang, gerade die Mäd- chen, denen Unterweisung, sittliche Beeinflussung am bittersten not täte. Die Möglichkeit, Fortbildungsschulzwang – über die Volksschulzeit hinaus – durch Ortsstatut festzusetzen, ist in Preußen, unserm größten deutschen Bundesstaate, soweit Mäd- chen in Betracht kommen, bisher nur in einem einzigen Falle gegeben. Diesen Ausnahmefall hat vor 2 Jahren die Reichs- gewerbeordnung gebracht. Sie setzt fest, daß den Gemeinden das Recht zusteht, für alle männlichen Arbeiter unter 18 Jahren den Besuch einer Fortbildungsschule obligatorisch zu machen. Für Frauen ist solches Recht der Gemeinden nur insoweit vor- gesehen, als es sich um weibliche Handlungsgehilfinnen und Lehrlinge unter 18 Jahren handelt (§ 120). Daß diese den Gemeinden zustehende Befugnis bisher nur vereinzelt zur Anwendung kam, daß obligatorische Fortbildungs- kurse für Handlungsgehilfinnen hie und da sogar heftig bekämpft wurden, das liegt z. T. an Widerstand von seiten der Arbeitgeber, z. T. an mangelndem Jnteresse und daher mangelnder Jnitiative der Eltern, z. T. an fehlendem Verständnis der bei der Errichtung der Fortbildungsschulen ausschlaggebenden Stellen für alle, Be- rufsschulung der Mädchen berührende Fragen. „Hier wie auf an-

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
TCF (tokenisiert, serialisiert, lemmatisiert, normalisiert)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Texte der ersten Frauenbewegung, betreut von Anna Pfundt und Thomas Gloning, JLU Gießen: Bereitstellung der Texttranskription. (2017-11-13T13:59:15Z) Bitte beachten Sie, dass die aktuelle Transkription (und Textauszeichnung) mittlerweile nicht mehr dem Stand zum Zeitpunkt der Übernahme des Werkes in das DTA entsprechen muss.
Anna Pfundt: Bearbeitung der digitalen Edition. (2015-08-20T13:59:15Z)
Anna Pfundt: Konvertierung nach DTA-Basisformat. (2015-08-06T11:00:00Z)

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet; Druckfehler: gekennzeichnet; fremdsprachliches Material: keine Angabe; Geminations-/Abkürzungsstriche: keine Angabe; Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): wie Vorlage; i/j in Fraktur: keine Angabe; I/J in Fraktur: wie Vorlage; Kolumnentitel: keine Angabe; Kustoden: wie Vorlage; langes s (ſ): als s transkribiert; Normalisierungen: keine Angabe; rundes r (ꝛ): keine Angabe; Seitenumbrüche markiert: ja; Silbentrennung: wie Vorlage; u/v bzw. U/V: keine Angabe; Vokale mit übergest. e: keine Angabe; Vollständigkeit: vollständig erfasst; Zeichensetzung: keine Angabe; Zeilenumbrüche markiert: ja;




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/krukenberg_frauenbewegung_1905
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/krukenberg_frauenbewegung_1905/23
Zitationshilfe: Krukenberg, Elsbeth: Die Frauenbewegung, ihre Ziele und ihre Bedeutung. Tübingen, 1905, S. 13. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/krukenberg_frauenbewegung_1905/23>, abgerufen am 01.05.2024.